Das Monster im Mann

Meena Kandasamys Roman „Schläge. Ein Porträt der Autorin als junge Ehefrau“ erzählt die nur scheinbar individuelle Leidensgeschichte einer tyrannisierten Ehefrau

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In nicht wenigen gesittet, womöglich gar kultiviert und charmant erscheinenden Männern haust bekanntlich insgeheim ein blindwütiges Monster voller Frauenhass. Wann und wo es zum Vorschein kommt, ist höchst unterschiedlich: bei einigen nach Alkoholgenuss, bei anderen während des ersten Dates, im Bordell oder nach der Hochzeit wie im Fall des Ehemanns der Ich-Erzählerin in Meena Kandasamys Roman Schläge. Lässt der deutsche Titel offen, wer hier wen schlägt, so führt derjenige des englischsprachigen Originals When I Hit You die Lesenden in die Irre, weckt er doch die Erwartung, es werde aus der Sicht der schlagenden Figur erzählt. Dem ist aber gerade nicht so.

Vielmehr handelt es sich bei der Ich-Erzählerin um eine von ihrem Mann immer wieder gedemütigte, misshandelte, verprügelte und vergewaltigte Frau. Das Ehepaar lebt zwar im indischen Kerala, einem an der Westküste des Subkontinents gelegenen Bundesstaat des für seine besonders ausgeprägte Frauenfeindlichkeit berüchtigten Landes. Doch ist es eine traurige Tatsache, dass zahlreiche Frauen in aller Herren Länder von ihren Ehemännern oder sonstigen ‚Partnern’ auf vergleichbare Weise traktiert und manchmal sogar getötet werden – und zwar nicht nur in der Literatur.

Als bloß individuelles und zufälliges Schicksal einer von ihrem despotischen Mann gepeinigten Frau hätte uns das traurige Ehedasein der Protagonistin nicht sehr viel zu sagen. So erklärt die Ich-Erzählerin denn auch einmal, „[d]ie Autopsie meiner Ehe enthüllt mehr über die Menschen und ihre Vorurteile als über mich oder meinen Mann“. Eben darum geht es letztlich nicht um diese eine Ehe und diesen einen monströsen Mann, „ein kleiner Tyrann“, der sich „einem Machtrausch hingibt“, sondern um den Typus monströser Männlichkeit sowie ganz grundsätzlich um von Hierarchie und Gewalt geprägte Geschlechterverhältnisse und die gesellschaftlichen Zustände, in denen sie gedeihen.

Deutlich wird das etwa daran, dass sowohl der gewalttätige Ehemann wie auch alle anderen Figuren des Romans namenlos bleiben. Sie alle stehen zwar auch für bestimmte menschliche Typen, sind jedoch beileibe keine bloßen Stereotype. Vielmehr schenkt die Autorin einer jeden von ihren Figuren eine individuelle Persönlichkeit und haucht ihnen somit Leben ein. Gerade die Protagonistin, eine intellektuelle, ebenso gebildete wie reflektierte Schriftstellerin, leuchtet selbst noch die tiefsten Tiefen ihres Innenlebens aus. 

Das Geschehen des Romans konzentriert sich zwar auf das nur vier Monate dauernde Zusammenleben des Paares, doch berichtet die Ich-Erzählerin über ihre Ehe nicht etwa linear von der Hochzeit bis zur Trennung, sondern in verschiedenen Rückblicken, die auch schon einmal über die gemeinsame Zeit hinausgreifen. So setzt der Roman mit der ironisierenden Erzählung darüber ein, wie ihre Mutter Ehe und Trennung ihrer Tochter im Nachhinein darstellt, so dass sie selbst fast die Hauptrolle bei der Flucht spielt. Dieser leichte ironisierende Ton zu Beginn des Romans verliert sich jedoch bald, wenngleich auch später immer wieder einmal humoristische Wendungen hervorblitzen. Die brutalen Vergewaltigungen in der Ehe lassen allerdings nicht den leisesten Anflug von Humor zu. Sie sind des Tyrannen „Waffe, um sie zu zähmen“ und verfolgen das „Ziel“, „alles“ in ihr „aus[zu]löschen“.

Den Szenen aus der Ehe der Ich-Erzählerin zwischengeschaltet sind eine Reihe von verzweifelten Telefonaten mit ihren zu Beginn beschwichtigenden Eltern sowie heimliche Liebesbriefe an einen imaginären Liebhaber. Hinzu treten Erinnerungen an ihre allererste große Liebe, die, wie sich versteht, unerfüllt blieb, sowie an ihren ersten Geliebten, ein wesentlich älterer Politiker, der sie zwar nicht mit Schlägen traktierte, jedoch gnadenlos ausnutzte, betrog und psychisch misshandelte. Die titelstiftenden Schläge sind also nicht immer körperlicher Art.

Die Muster, nach denen sich die Ich-Erzählerin in beide Männer verliebte, gleichen sich fast aufs Haar. Beide Herren sind sehr von sich selbst eingenommene, überlegen erscheinende Männer, zu denen die junge, aber bereits nicht ganz unbekannte Schriftstellerin bewundernd aufblickt. Handelt es sich im einen Fall um einen angesehenen Politiker, so im anderen um einen marxistischen Hochschullehrer, der – so prahlt er zumindest vor ihr – einst im bewaffneten Untergrund kämpfte. Ihn wird sie ehelichen.

Nach der Heirat erweist er sich schnell als grauenhafter Despot mit psychopathischen Zügen, der die Notwendigkeit der völligen Unterwerfung seiner Frau mit pseudorevolutionären Sophistereien und dialektischen Taschenspielertricks zu begründen versucht, bei denen die Ehe zum „Umerziehungslager“ mutiert, in dem sie ihr Handy abgeben, sich aus den sozialen Netzwerken abmelden und ihm das Passwort ihrer E-Mail-Adresse sagen muss. Mails, die in ihrem Postfach ankommen, beantwortet er fortan selbst. Die Ich-Erzählerin belässt es nicht bei der Beschreibung der alltäglichen Tyrannei ihres Mannes, sondern offenbart den Lesenden zugleich ihr eigenes inneres Ringen darum, ihr Selbstwertgefühl, ihre innere Freiheit, kurz ihre Identität nicht zu verlieren. Halt findet die höchst belesene Protagonistin in der westlichen wie auch fernöstlichen Literatur, namentlich in zahlreichen feministischen Werken, auf die sie immer wieder Bezug nimmt.

Zwar hat ihr eheliches Gefängnis viele Mauern, innere wie äußere, familiäre, traditionelle, gesellschaftliche und psychische. Dennoch entwickelt die Ich-Erzählerin die Kraft und das Geschick, nach nur vier Monaten zu fliehen. Die Flucht selbst wird nur beiläufig erwähnt. Ausführlicher werden die wenig empathischen Reaktionen ihrer FreundInnen und Bekannten wie auch die der Öffentlichkeit geschildert, nachdem die Ich-Erzählerin aus dem ehelichen Orkus wieder aufgetaucht ist. Oft suchen sie zumindest einen Teil der Schuld an den Misshandlungen bei ihr selbst. Warum hat sie es überhaupt zugelassen geschlagen zu werden, warum ist sie nicht früher gegangen, lauten zwei ihrer ebenso verständnislosen wie vorwurfsvollen Fragen.

Kandasamys überaus kunstvoll durchkomponierter Roman mit seinem insbesondere zu Beginn humoristischen Zungenschlag entwickelt über die oft nur schwer erträgliche Darstellung der ehelichen Tyrannei zum Ende hin eine postmodern anmutende Selbstreflexivität auch über den Schreibprozesses und dessen nicht nur psychische Funktion für die Ich-Erzählerin. Gleich wohl bleibt er auch dann noch tief in der patriarchalisch geprägten Realität verwurzelt. Bei all diesen literarischen Wandlungen verliert er nie seine ganz eigene Poesie, die Welten von der literarischen Stangenware entfernt ist, wie sie nicht selten von AutorInnen angeboten wird, die Studiengänge in Creative Writing absolviert haben.

 

Titelbild

Meena Kandasamy: Schläge. Ein Porträt der Autorin als junge Ehefrau.
Aus dem Englischen von Karen Gerwig.
CulturBooks, Hamburg 2020.
264 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783959881487

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch