Über eine große, rothaarige Frau in Dallas

Kathleen Kent bringt zusammen, was in den Krimi passt: „Die Tote mit der roten Strähne“

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Krimi ist ein gefräßiges Genre. Er ist nicht nur in einer endlosen Überbietungsspirale gefangen, sondern er neigt auch dazu, verschiedene, teilweise deutlich gegensätzliche Motivstränge zu integrieren, um daraus eine neue Gemengelage zu schaffen, die wiederum gleich wieder die nächste aufkommende Handlungsidee zu vereinnahmen versucht. Das führt zu exzessiven Gewaltdarstellungen und immer komplexer werdenden Plots, wobei die extremen Gewaltentwürfe eben nicht nur skandinavischen Krimis vorbehalten sind (die es da zu gruseliger Meisterschaft gebracht haben), sondern sich auch zu einer Art Goldstandard des Genres entwickelt haben. Jeder Krimi muss eben noch eins drauf setzen und noch irrsinniger, gewalttätiger und grausamer sein als der vorige. Aber diese Gewaltmuster hängen auffallender Weise mit bestimmten Plots zusammen, vor allem mit Geschichten über internationale Drogenkartelle, die Gewalt nicht zuletzt als Sprache einsetzen, über die sie mit ihren Feinden kommunizieren.

Zugleich muss der Krimi, um seine Vorrangstellung im Literarischen zu behaupten, immer wieder gesellschaftlich relevante, vor allem also angesagte Themen aufnehmen. Das kann er auf verschiedenen Ebenen durchführen, etwa durch die Wahl der Hauptfigur oder die Konstruktion des Plots. Die zunehmende Zahl aktionistischer weiblicher oder melancholischer männlicher Ermittler gehört im Rahmen der Problematisierung von Geschlechtstypologien zu solchen Aktualisierungsversuchen ebenso wie die Gestaltung dynamischer Verhältnisse, deren Referenz die Auflösung fester Strukturen in modernen Gesellschaften ist. Mit anderen Worten und aufs Wesentliche konzentriert: Der Krimi kann und will alles, was es an relevanten Strömungen und Themen gibt, verarbeiten – und er macht das, gegen jede Erwartung, außerordentlich erfolgreich. Jedenfalls ist ein Ende seines Erfolgs nicht abzusehen.

Diese Gemengelage lässt sich an dem ersten Krimi der in Dallas, Texas, lebenden Autorin Kathleen Kent recht genau beobachten. In Die Tote mit der roten Strähne, was im Original deutlich lakonischer unter The Dime firmiert (aber „Der Groschen“ wärs auch nicht gewesen), packt sie so ziemlich alles, was an amerikanischen Themen derzeit im Schwange ist: Zuwanderung, Clash of Cultures (hier zwischen der urbanen Ostküstenkultur und der ländlichen in Texas), Drogenclans, Rockergangs, Gewaltorgien, Gendergeschichten, Polizeiinterna und komische Ideen von der „Zuchtwahl“, wie der schöne deutsche Begriff für Ideen ist, die meinen, dass man nur die richtigen Gene zusammenbringen muss, um die wahre Herrenrasse wieder zum Aufblühen zu bringen.

Die aus einer polnisch stämmigen Familie stammende Kriminalbeamtin (was im Englischen schicker „Detective“ heißt) Betty Rhyzyk hat sich aus New York ins ferne Dallas und dann auch noch ins Drogendezernat versetzen lassen. Dort ist sie gleich als mehrfache Außenseiterin oder Exotin positioniert. Als rothaarige, große, lesbische Ostküstenfrau bringt sie eigentlich nur eine Eigenschaft mit, die zur texanischen Polizeibehörde passt, in die sie es verschlagen hat: Sie kommt aus einer Polizistenfamilie, wobei der eigenen Lektüre vorbehalten sei, welche Lasten nun damit wieder zusammenhängen (enttäuschte Vaterwünsche, missratene oder tote Söhne, die Tochter als falsche Erbin, das ergibt schon Muster). Aber zugleich bleibt zu fragen, wie Polen denn so in Dallas angesehen sind. Unabhängig davon zieht Rhyzyk die Aufmerksamkeit auf sich, aber eben auch den Neid, den Spott und die Häme der Kollegen (was hier nur Männer meint).

Nachdem das soweit geklärt ist, läuft ein Beobachtungseinsatz, den Rhyzyk leitet, aus dem Ruder und mündet in eine wahllose Schießerei. Also sind Rhyzyk und Team hinter dem Dealer her, der das Massaker angerichtet hat, was dann Gelegenheit dafür ist, in die Drogendealer-ist-auf-der-Flucht-und-wird-geschnappt-Geschichte eine absurde Wendung zu bringen, mit der dann Rhyzyk Gründungsmutter einer durchgeknallten, drogeninduzierten Zuchtanstalt werden soll, mit der – in diesem Fall – die rothaarige Rasse ihre angestammte und zweifellos verdiente Vorherrschaft antreten soll.

Das ist soweit nicht unsinniger als jede andere arische oder sonstige Suprematiebehauptung, die dann noch Bemühungen in Gang setzt, die jeweilige Rasse neu zu begründen. Die intensive Inszenierung dieses zweiten Teils von Kents Krimi könnte jedoch weniger als Entlarvung solcher Absurditäten, denn als fast schon süffisanter, ironischer Kommentar solcher Denkgewohnheiten aufgefasst werden.

Aber das ist hier nur ein Teil des (Lese-) Spaß: Naheliegend muss sich Kent in diesem Teil ihres Romans eben auch mit der Frage beschäftigen, wie sie ihre Heldin einigermaßen plausibel aus der aussichtslosen Lage befreien kann, in die sie sie hineinmanövriert hat (der Krimi lebt nicht zuletzt auch von solchen intellektuellen Übungen) – und wenn aus Rhyzyk eine Serienheldin werden soll, muss sie das alles auch überleben. Das bedient freilich auch nur die moralischen Grundanforderungen an das Genre, dass nämlich das Böse zwar immer und überall ist, aber das Gute letztlich siegen muss, knapp vielleicht und nur vorläufig, aber immerhin so deutlich, dass ein vorläufiger Schlusspunkt gesetzt werden kann. Und Leser das Buch hinreichend beruhigt weglegen können, was eben auch heißt, dass das nicht zu lange währen darf, ist doch der nächste Band schon in der Mache. Der liegt auch schon vor und heißt, wie der Verlag mitteilt, The Burn. Auf das Buch und seinen deutschen Titel kann man gespannt sein.

Titelbild

Kathleen Kent: Die Tote mit der roten Strähne. Thriller.
Aus dem Amerikanischen von Andrea O’Brien.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2021.
361 Seiten, 16,95 EUR.
ISBN-13: 9783518471708

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