Die Umlaute-Verprügeln-Methode

In „Deutsch für alle. Das endgültige Lehrbuch“ karikiert Abbas Khider die aktuelle Hass- und Nörgelkultur

Von Martin SchönemannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Schönemann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Abbas Khider ist in der deutschen Literaturlandschaft längst kein Unbekannter mehr. 1973 in Bagdad geboren, kam er nach jahrelanger Flucht nach Deutschland und konnte sich hier seinen Jugendtraum erfüllen, Schriftsteller zu werden – auch wenn er sich nie hatte träumen lassen, ein deutscher Schriftsteller zu werden. Seine ersten drei Bücher verarbeiten die komplizierte Geschichte seiner politischen Verfolgung im Irak und seiner Flucht durch verschiedene Länder des Nahen Ostens und des südlichen Europa. Mit ihrer leichten, poetischen Sprache und der Fähigkeit, auch grausamste Ereignisse spielerisch und mit Ironie, aber nie zynisch oder abgeklärt zu erzählen, gehören sie zum Schönsten, was in den letzten Jahren auf Deutsch geschrieben wurde.

Einem breiteren Publikum bekannt wurde Khider mit seinem vierten Buch Die Ohrfeige (2016), da dieser Roman über einen Asylbewerber in Deutschland zufällig genau passend zur aktuellen Diskussion über Flüchtlinge erschien. Hier wagt sich der Autor zum ersten Mal an eine Geschichte mit deutschem Schauplatz und prompt büßt der Roman im Vergleich zu seinen Vorgängern etwas an Stringenz ein, nicht immer gelingt es ihm, anekdotische Einsprengsel oder politische Überlegungen organisch in die Geschichte einzubinden. Mit Deutsch für alle wählt Khider jetzt eine ganz andere Vorgehensweise, die ebendiese Schwächen in Stärken verwandelt: Er tarnt sein Buch als ernsthaften Sachtext, einen Rationalisierungsvorschlag für die deutsche Grammatik, und nutzt eine straffe, scheinrationale Argumentation als Aufhänger für anekdotische Anmerkungen. So bekommt der Text einen festen Rahmen und lässt doch Raum für verschiedenartige, sich mitunter sogar widersprechende Gedanken, für Erinnerungsfetzen oder freie Assoziationen.

Das Buch beginnt autobiografisch mit einer eindringlichen Schilderung von Khiders persönlichem Deutsch-Lernprozess, die den Leser die Mühen des Zweitspracherwerbs unmittelbar nacherleben lässt und ihn so von der Sinnhaftigkeit des Vorhabens überzeugt, diese Nöte für künftige Lerner zu reduzieren. Dann kommen die Vorschläge, und zwar Schlag auf Schlag. Der Autor will die Deklination und die grammatischen Geschlechter abschaffen und die Formen von Pronomen reduzieren. Das ist drastisch, aber auf den ersten Blick scheint vieles davon vernünftig, zumal die jeweils angefügten Beispielsätze, die Alltagsszenen von Ausländern in Deutschland zum Inhalt haben, die Dringlichkeit des Unternehmens zusätzlich unterstreichen. Die Übersetzung dieser Sätze in Khiders „Neudeutsch“ zeigt dann aber schnell, dass das Unterfangen unsinnig ist – und mit jedem Kapitel und jeder neu erfundenen Regel unsinniger wird. Die neudeutschen Sätze klingen hässlich, abgehackt und uniform. Der Leser ist zunehmend irritiert darüber, wohin sich diese doch so überzeugend klingenden Überlegungen verirren. Mitunter wähnt man sich bei der Lektüre auf einer populistischen Meinungs-Webseite der politischen Rechten, auch dort wird ja oft von wirklichen Problemen und authentischen Nöten aus- und zu radikalen, diktatorischen Vorschlägen übergegangen.

Aber natürlich meint Khider seine Vorschläge gar nicht ernst – er nennt sie zu Beginn selbst „Schwachsinn“ und er demonstriert im Folgenden sehr gut, wie solcher Schwachsinn entsteht: indem man tatsächliche Probleme brachial, durch Dekrete von oben herab, lösen will. Dennoch ist sein „endgültiges Lehrbuch“ mehr als eine satirische Fingerübung. Viele der eingestreuten Erzählungen überzeugen durch eben das, was das angeblich geforderte Neudeutsch vermissen lässt – Lebendigkeit und sprachliche Schönheit –, und mitunter haben auch kleine Randbemerkungen ihren Hintersinn.

Da wird zum Beispiel über die Irrwege des deutschen Nebensatzes gelacht, über die sich schon Mark Twain mokierte, und der Vergleich zu den Irrwegen deutscher Behördenentscheidungen gezogen. Sicher gibt es zwischen diesen beiden Phänomenen keinen kausalen Zusammenhang, einen mentalen aber schon. Und die Beobachtung, dass die Vorliebe der Deutschen für trennbare Verben irgendwie an deutsche Familien erinnert, deren Mitglieder nicht selten genauso übers Land verstreut sind wie die Bestandteile der trennbaren Verben über den Satz, wirkt gerade in ihrer Absurdität erhellend: Khider hält uns den Spiegel vor.

Allerdings nicht nur uns Deutschen, sondern uns allen, auch sich selbst. In „Die Präpositionen von Allah“ berichtet der Autor, wie er sich selbst einmal verrannt hat in dem Bemühen, eine endgültige, vernünftige Ordnung zu finden: indem er als Jugendlicher einem Buch mit dem Titel Die Vollkommenheit des Islam auf den Leim ging. Damals fand er aus pubertärer Zerrissenheit zu innerer Ruhe, indem er das Unordentliche, etwa „die libanesischen Zeitschriften mit den halbnackten Frauen“, konsequent aus seinem Leben verbannte. Interessant ist, was ihn von diesem Irrweg heilte: Er fand bei Allah und im Koran nicht die Schönheit, die ihm wenig später bei dem Dichter Khalil Gibran begegnete. Fundamentale Überzeugungen geben innere Ruhe, schön sind sie nicht.

Das ist die eigentliche Botschaft dieses „Lehrbuchs“: Es ist hässlich, wenn man das Leben aussperrt – so wie die Islamisten, die freizügige Bilder verbieten, so wie die Neurechten, die die ungezogenen Ausländer weghaben wollen, und so wie Khiders besserwisserisch nörgelndes alter ego, das die Ambivalenzen der deutschen Sprache ausradiert. Am Ende münden die Vorschläge des Autors in eine „Umlaute-Verprügeln-Methode“. Nach dem Vorbild derjenigen Deutschen, die auf Ausländer einschlagen, die ihnen bedrohlich vorkommen, will Khider die Elemente der deutschen Sprache verprügeln, deren Aussprache er nicht beherrscht. Sein Rationalisierungsvorschlag endet, wo jede Rationalisierung endet, wenn man sie nur konsequent genug dekretiert: im Hass.

Abbas Khiders Deutsch für alle ist umwerfend komisch, es ist – wie alle Bücher Khiders – in einem eleganten Deutsch verfasst, das selbst umgangssprachliche Einsprengsel poetisch klingen lässt. Aber vor allem ist es menschenfreundlich und klug.

Titelbild

Abbas Khider: Deutsch für alle. Das endgültige Lehrbuch.
Carl Hanser Verlag, München 2019.
128 Seiten, 14,00 EUR.
ISBN-13: 9783446261709

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch