Neue Perspektiven auf das Werk von Georg Hermann
Ein Tagungsband weckt das Interesse und das Verständnis für das Schaffen des Schriftstellers
Von Manfred Orlick
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseZum 150. Geburtstag des deutsch-jüdischen Schriftstellers Georg Hermann (eigentl. Georg Hermann Borchardt, 1871-1943) hatte der Wallstein Verlag Ende 2021 eine Edition seiner Werke in Einzelbänden gestartet. Bisher sind fünf Titel erschienen: Spielkinder (1896), Der etruskische Spiegel (1936), Jettchen Gebert (1906), Henriette Jacoby (1908) und der bisher unveröffentlichte Roman Die daheim blieben (2023).
Außerdem fand im März 2022 unter dem Titel „Vom gesicherten und ungesicherten Leben“ eine Internationale Tagung zum Werk des deutsch-jüdischen Schriftstellers Georg Hermann an der Bergischen Universität Wuppertal statt, von der jetzt der Tagungsband ebenfalls im Wallstein Verlag erschienen ist. Er versammelt die zwölf Beiträge von renommierten Literaturwissenschaftlern, die den Blick vorrangig auf solche Aspekte richten, die in der bisherigen wissenschaftlichen Rezeption weniger Beachtung fanden.
In seiner Einleitung gibt der Herausgeber des Bandes und der Georg Hermann-Edition Christian Klein eine kurze Übersicht zum Werk des Schriftstellers, das aus achtzehn Romanen und über zwanzig Essaybänden besteht. Im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts war Hermann einer der meistgelesenen und produktivsten Autoren seiner Zeit, dessen Werk aber nach 1945 kaum noch den Weg zu der literarisch interessierten Öffentlichkeit fand.
Den Auftakt macht Ulrike Zitzlsperger, die sich in ihrem Beitrag der „Heimat“ in Hermanns Berliner Familienromanen widmet. Mit der Beobachtung des Alltags (er galt oft als „Meister des Auges“) gelang es Hermann, neben der präzisen Topographie der Stadt viel Zeit- und Lokalkolorit einzufangen. Die Metropole Berlin war jedoch nicht nur ein zentraler Schauplatz in seinen Romanen, sondern über Jahrzehnte hinweg auch Thema in seinen Feuilletons und Essays. Till Greite beschäftigt sich mit Hermanns Großstadtminiaturen und seiner spezifischen Poetik eines „Unvergesslichen im Kleinen“. So nahm Hermann vielfach eine scheinbar beiläufige Begegnung zum Ausgangspunkt seiner Texte. Das bedurfte einer „mentalen Aufnahmebereitschaft und einer Offenheit für das Unwillkürliche“, die einem aufmerksamen Flaneur eigen sind und schließlich seinen bildhaften Skizzenstil auszeichneten.
Michael Wedel beleuchtet ausführlich Hermanns Verhältnis zum Film, dem bereits zu Lebzeiten nachgesagt wurde, sich mit dem neuen Film nicht unbedingt intensiv auseinandergesetzt zu haben. Seine Ablehnung („die andauernde hektische Bewegtheit“ und „falsche Sentimentalität“) dokumentierte Hermann in seiner programmatischen Schrift Antikino. Obwohl er sich der Verfilmung seiner Romane Jettchen Gebert, Henriette Jacoby und Kubinke nicht verschlossen hatte, forderte Hermann weiterhin eine strikte Trennung von „Film und Literatur, Filmmarkt und Buchmarkt“.
Hermanns Roman November achtzehn (1924) handelt in der Zeit von zwei letzten Kriegstagen im November 1918. Erhard Schütz untersucht in seinem Beitrag u.a. den Kontext des Romans zu zeitgleichen oder anschließenden Werken von Theodor Plevier, Alfred Döblin oder Erich Maria Remarque.
Im niederländischen Exil arbeitete Hermann an seinem letzten großen, vierteilig angelegten Roman Die daheim blieben, der jedoch ein Fragment blieb und über viele Jahrzehnte als verschollen galt. Godela Weiss-Sussex gibt einen Überblick über das vorhandene Material, vor allem der beiden ersten Teile. Besonders wichtig ist ihr dabei, „das Interesse an diesen letzten Schriften Hermanns zu wecken“.
Christoph Gardian widmet sich dem Thema „Der Romancier als Dramatiker“. Hermann hatte einige seiner Romane selbst dramatisiert. Von der Kritik wurden die Adaptionen teilweise wohlwollend aufgenommen. Ihr Bühnenerfolg basierte aber weitgehend auf der Beliebtheit der Romane. Abschließend untersucht Ulrike Schneider die Rezeptionsgeschichte von Hermanns Werk in der DDR. Der ehemalige Verlag “Das Neue Leben“ hatte sich die Edition seines Oeuvres zur Aufgabe gemacht. Dabei wurden seine Erfolgsromane in die „sozialistische Nationalliteratur“ eingebettet und Hermann selbst als „sozialkritischer und humanistischer Schriftsteller“ gelesen. Außerdem gibt die Autorin einen kurzen Überblick zu den journalistischen und literaturwissenschaftlichen Beiträgen, die zu Hermanns Werk und seiner Person in der DDR erschienen sind.
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