Verdammt gut, Aristoteles!
In Thomas Klupps Studie legitimieren antike Poetik- und Rhetoriklehren den gegenwärtig boomenden Schreibratgeber-Markt
Von Franz Fromholzer
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseLiterarische Schreibratgeber haben in den letzten Jahrzehnten in Deutschland eine zuvor ungekannte Konjunktur erfahren. Doch zeigt insbesondere das ökonomische Nutzwertversprechen, mit dem die Werke werben, dass weniger ein handwerklich sorgfältig erlerntes Dichten die Leserinnen und Leser umtreibt, sondern der monetäre Erfolg nach Rezept. Thomas Klupps Untersuchung Literarische Schreibratgeber. Eine typologisierend-vergleichende Untersuchung plädiert dennoch offensiv für eine akademische Legitimierung der Gattung.
Ist es nicht an der Zeit, mit der Genieästhetik des 18. Jahrhunderts endgültig zu brechen, wenn es um die Ausbildung junger deutschsprachiger Autorinnen und Autoren geht? Populäre, zumeist aus dem Amerikanischen übersetzte Schreibratgeber verheißen Bestseller. Wie man einen Erfolgsroman schreibt oder Wie man einen verdammt guten Roman schreibt – und sind mit ihren rein kommerziellen Versprechungen aus literaturwissenschaftlicher Perspektive bisher kaum einer Betrachtung gewürdigt worden. Zu unrecht? Wenn Schreibakademien in Leipzig und Hildesheim Creative Writing im angloamerikanischen Raum entschieden als erfolgreiches Vorbild propagieren, so scheinen tiefsitzende deutsche Vorurteile gegenüber einer akademisch verankerten Schreiblehre allerdings längst zu wanken. Und schließlich hat insbesondere die universitäre Schreibdidaktik seit den 1970er Jahren für den Unterricht innovative Modelle entwickelt, die Kreativität von Schülerinnen und Schülern zu fördern (beginnend mit Karl-Heinz Brokerhoff, Gundel Mattenklott und Günter Waldmann).
Vor dem Hintergrund der dynamischen Entwicklung im expandierenden Schreibratgeber-Buchmarkt, der zunehmenden Etablierung von Creative Writing im deutschsprachigen Universitätsbetrieb und der fundierten Auseinandersetzung mit Kreativität im Deutschunterricht ist es Thomas Klupp in seiner Untersuchung darum zu tun, eine „Art vergleichende Poetik der zeitgenössischen Ratgeberproduktion“ zu entwerfen. Für Klupp treten damit zwei ganz wesentliche Aspekte in den Hintergrund, die das Bemühen um eine größere Wertschätzung kreativen Schreibens lange Zeit prägten: die politische Dimension einer basisdemokratischen Literaturproduktion und die quasi therapeutische Dimension des Schreibens als eine Form von Persönlichkeitsentwicklung und Selbstfindung. Die damit unweigerliche Fokussierung der poetologischen Analysen auf eine am Nutzwert orientierte Schreibratgeberliteratur mag insofern als problematisch erscheinen. Doch soll die Auswertung von Werken, die im Titel bereits Versprechen tragen wie Schreibübungen für Schriftsteller, 20 Masterplots, Schreiben wie gemalt, Anleitung zum Schreiben und Leben als Schriftsteller oder eben Wie man einen verdammt guten Roman schreibt, zeigen, dass (Prosa-)Literatur als erlernbares Handwerk begriffen werden kann. Die Dissertation konzentriert sich letztlich auf die präzisere Analyse nur weniger Ratgebeberbücher. Damit verfolgt die Studie des am Literaturinstitut Hildesheim ausgebildeten Autors implizit aber auch das Ziel, zu einem „absehbaren Imagewechsel“ der Ratgeberliteratur beizutragen.
Thomas Klupp schlägt drei „Elementarmodelle“ literarischer Ratgeberschaft vor: das ergebnisorientierte, das prozessorientierte und das persönlichkeitsorientierte Modell. Der ergebnisorientierte Ratgeber verspricht seiner Leserschaft das fertige Buch, mithin das abgeschlossene Werk. Die Ausarbeitung von Figuren und Charakteren stellt hier eine gegenüber der Handlung vorgeordnete Kategorie dar, wobei ein sich langsam entwickelnder Konflikt favorisiert wird. Der Ratgeberautor tritt häufig als autoritäre Lehrerfigur auf, das Verhältnis zu den Lesern ist streng hierarchisch. Im prozessorientierten Modell wird Schreiben als praktisch erlernbare Fähigkeit vermittelt, die eines intensiven Trainings bedarf. Mustergültige Texte dienen der Anleitung. Übungen werden vorgeschlagen. Die Ratgeberautoren treten als Lehrpersonen eher zurück. Im persönlichkeitsorientierten Modell (Paradebeispiel: Schriftsteller werden von Dorothea Brandes) soll dagegen gezeigt werden, wie eine schriftstellerische Persönlichkeit entwickelt werden kann beziehungsweise wie eine schöpferische Lebensweise auszubilden sei. Der Habitus des Schriftstellers erweist sich hier für den literarischen Ausdruck als zentral.
So plausibel und hilfreich Thomas Klupps Kategorien sind, im jeweils abschließenden Kapitel zur historischen Dimension der Modelle wird die entscheidende Tendenz der Studie überdeutlich: Klupp bemüht hier zur Analyse der nutzwertorientierten Schreibratgeber antike Autoren wie Aristoteles, Quintilian und Horaz. Letztlich schreiben, so die kühne These, die Ratgeberautorinnen und -autoren für den aktuellen Büchermarkt jene Traditionen fort, die in der Antike Literatur als erlernbare Techne begriffen hatten. Satirische Schilderungen bei Horaz, Dichter würden sich weder die Nägel schneiden noch zum Friseur gehen, dienen Klupp als Hinweis darauf, die Ars Poetica sei als am Schriftsteller-Habitus interessierte Ratgeberliteratur zu begreifen – in deren Tradition wiederum Brandes‘ Schriftsteller werden stehe. Ebenso sei die Dramentheorie von Aristoteles in Freys Wie man einen verdammt guten Roman schreibt wiedererkennbar. Der gegenwärtig boomende Markt an Ratgeberliteratur wird folglich mit höchster antiker Autorität legitimiert (es kann aber auch Gustav Freytag sein).
Befindet sich die Gegenwartsliteratur folglich an einem Wendepunkt hin zur an Lehrbüchern orientierten Poetik? Selbstverständlich. „Rund zwei Drittel der seit den späten 1970er Jahren geborenen und heute in renommierten Verlagen veröffentlichten Autoren hat ein Studium an einer der genannten Schreibschulen absolviert“, weiß Klupp zu berichten. Die Behauptung bleibt freilich ohne Beleg und Fußnote. Die zweifellos gutgemeinte pro domo-Studie des Hildesheimer Literaturinstitut-Absolventen schießt zuweilen doch über das Ziel hinaus.
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