Teil 3 zur literarischen Hochblüte im Hochmittelalter

Fritz Peter Knapp entführt in die Welt der Lyrik, des Schauspiels und der altnordischen Gattungen

Von Ruth IsserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ruth Isser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Fritz Peter Knapp konzentriert sich in seinem dreibändigen Werk Blüte der europäischen Literatur des Hochmittelalters auf Europa als kulturelle Einheit in Geisteshaltung, Literatur und Kunst. Damit konzipiert er einen Überblick zu Gattungen und Werken des europäischen Hochmittelalters aus einer einheitlichen Perspektive.

In diesem dritten Teil behandelt er liturgische und geistliche Lyrik, Liebeslyrik sowie satirische, didaktische und politische Lyrik. Daneben beschäftigt sich dieses Werk mit der Gattung des Schauspiels und mit den altnordischen Gattungen der Skaldendichtung, der Edda und der Saga.

Knapp beginnt diesen Band mit einem ausführlichen Kapitel zu liturgischer, paraliturgischer und geistlicher Lyrik. Voran stellt er die allgemeine Definition von Lyrik als „Gedicht(e) geringen Umfangs in gebundener Form, ausgesagt von einem Sprecher-Ich ohne mimetische Absicht“. Eine grundsätzliche Betrachtung des Zusammenhangs von Wort und Ton spiele bei Lyrik dabei ebenfalls eine große Rolle. Als ersten wesentlichen Dichter liturgischer Lyrik nennt Knapp Petrus Abaelardus. Den eigentlichen Höhepunkt dieser Art von Dichtung verknüpft er aber mit dem Namen Adam von St. Victor. Im Folgenden bringt er einige Textbeispiele verschiedener wichtiger Vertreter*innen der Gattung und behandelt diverse Formen wie beispielsweise den Hymnus und die Sequenz, geht aber auch auf unterschiedliche Motive näher ein. So analysiert er in diesem Kapitel Texte von unter anderem Gottfried von Breteuil, Walther von der Vogelweide, Gautier de Coinci oder Peire Cardenal.

Im anschließenden, sehr umfangreichen Kapitel zur Liebeslyrik verfährt Knapp auf gleiche Weise. Er gibt einen weitreichenden Überblick über die Liebeslyrik des europäischen Hochmittelalters und bringt einige Beispiele dazu. Dabei geht er nicht nur auf die Verfasser ein, sondern auch auf Form und Aufbau, auf unterschiedliche Funktionen der Lyrik, deren Inhalte und (mögliche) Ursprünge sowie auf deren literarische Qualität. Vertiefter befasst er sich dabei mit dem Schaffen von Jaufre Rudel, Bernart de Ventadorn, Arnaut Daniel, der Kürenberger, Reinmar, Heinrich von Morungen, Walther von der Vogelweide (der kaum irgendwo fehlen darf, wenn es um mittelhochdeutsche Lyrik geht), Guiraut de Bornelh, Wolfram von Eschenbach und Petrus von Blois. Diese Namen stellen aber nur einen Bruchteil der Dichter dar, die Knapp in diesem Kapitel behandelt. Er versteht es, in seinen Darstellungen Verbindungen zwischen den Lyrikern, deren Werken und den verschiedenen Ausprägungen und Strömungen herzustellen, aber auch, Differenzen aufzuzeigen.

Der dritte große Abschnitt zur Lyrik widmet sich satirischer, didaktischer und politischer Dichtung. In diesem Gebiet herrschen lateinische Überlieferungen vor, da vor allem hier die Tradition der Antike fortgeführt wird. Auch hier geht Knapp wieder auf inhaltliche und formale sowie auf metrische und rhythmische Aspekte ein. Ein umfangreiches Unterkapitel behandelt den Vagantendichter Archipoeta. Besonders auf das Lied Estuans intrinsecus ira vehementi, das auch durch Carl Orffs musikalische Verarbeitung in der Carmina Burana bekannt ist,geht Knapp genauer ein. Einen weiteren Schwerpunkt setzt er mit Textbeispielen und Analysen von Werken des Bertran de Born, des Peire Cardenal und des Walther von der Vogelweide. Aber auch hier gilt, dass Knapp immer wieder mit Zitaten aus verschiedensten Werken Verbindungen und Differenzen zu anderen Lyrikern herstellt.

Was folgt, ist eine Auseinandersetzung mit dem hochmittelalterlichen Schauspiel. Knapp beschreibt in anschaulicher Weise das Zusammenspiel von christlicher Abscheu gegenüber aller Arten von Schaustellung auf der einen Seite und von theatralischem Ausdruck innerhalb kirchlicher Riten und dem Gottesdienst auf der anderen. Dabei entwickelte sich das darstellerische Potential im Laufe der Jahrhunderte immer weiter. Zu differenzieren ist dabei zwischen „Feier“ (ordo) und dem sich daraus entwickelnden „Spiel“ (ludus). Ausschlaggebend dabei ist, dass bei der „Feier“ ausschließlich heilige Personen dargestellt werden dürften, wohingegen beim „Spiel“ diese Beschränkung nicht gilt. Knapp beschreibt und analysiert im Folgenden einzelne Oster- und Passionsspiele. Auch Weihnachtsspiele und Verarbeitungen anderer Themenkreise nimmt er in seine Betrachtung mit auf und veranschaulicht damit den Übergang zwischen „Feier“ und „Spiel“. Daneben verabsäumt er es nicht, volkssprachliche Beispiele (wie das Adamsspiel Jeu d’Adam) aufzunehmen. Ein ganzes Unterkapitel widmet Knapp dem Spiel vom heiligen Nikolaus des Jean Bodel, das sich von seinem liturgischen Ursprung so weit entfernt habe wie kein anderes geistliches Spiel des Hochmittelalters. Diesen Abschnitt abrundend betont Knapp die Bedeutung des weltlichen wie vor allem des geistlichen Spiels für die weithin leseunkundige Gesellschaft des Hochmittelalters als Massenmedium.

Das letzte Kapitel dieses dreiteiligen Werks zur Blüte der europäischen Literatur im Hochmittelalter unterscheidet sich in gewissen Punkten von den vorangegangenen. So wird das komparatistische Darstellungsprinzip durchbrochen und nur altnordische Literatur behandelt. Des Weiteren stehen Gattungen im Blickpunkt, die nur dem Norden eigen sind: Skaldendichtung, Edda und Saga. Gleichzeitig stammen diese Gattungen aus der Wikingerzeit, sind in ihren Wurzeln also frühmittelalterlich und aus einer Zeit mündlicher Kultur. Die Aufnahme in die Darstellung europäischer hochmittelalterlicher Literatur rechtfertigt sich dadurch, dass schriftliche Aufzeichnungen erst ab dem 13. Jahrhundert überliefert sind.

Knapp beginnt damit, Funktion und Tätigkeit der Skald*innen zu skizzieren und den Unterschied der Skaldenstrophen zu mittelalterlicher, europäischer Lyrik anderer Regionen darzustellen. Des Weiteren analysiert er Form, Metrik, Ausdruck und Inhalt und geht sogar auf die Rezeption ein. In einem weiteren Abschnitt gibt er einen Überblick über den bedeutendsten Autor des isländischen Mittelalters Snorri Sturluson und seiner Snorra Edda. Folgend beschreibt er in knapper Weise die mythologischen Lieder und die Heldenlieder aus dem Codex Regius, der auch als Ältere Edda, Lieder-Edda oder Poetische Edda bekannt ist. Aus diesem Korpus widmet sich Knapp etwas genauer dem Atlilied. Abschließend folgt die Betrachtung der dritten großen Gattung: der Sagas. Im Unterschied zu den vorhergehenden Gattungen der Skaldendichtung und der Edda, handelt es sich bei den Sagas um eine rein hochmittelalterliche Erscheinung, die sich dafür bis in die Neuzeit fortsetzt. Inhaltlich berichten die Sagas von (meist) isländischen Familien, von Biographien einzelner Personen oder von Genealogien und Ereignissen, die mehrere Generationen betreffen. Ins Zentrum seiner Betrachtung rückt Knapp die Hrafnkels saga freysgoða, die Gísla saga Súrssonar und die Njáls saga.

Abschließend bleibt zu sagen, dass es sich bei diesem dritten Band zur Blüte der europäischen Literatur im Hochmittelalter um ein äußerst gelungenes Werk handelt. Fritz Peter Knapp vermag es, die verschiedenen literarischen Gattungen in einer umfangreichen komparatistischen Weise darzustellen und das in einer sehr spannenden Art und Weise. Als Leser*in bekommt man einen weitreichen Überblick über die ausgewählten Gattungen und zusätzlich spezifischen Einblick in einzelne analysierte Beispiele. Insofern ist dieser Band besonders für all jene empfehlenswert, die sich bereits vor der Lektüre für das Thema begeistern konnten. In diesem Fall können nämlich viele neue Erkenntnisse gewonnen werden, die in anderen – nicht komparatistisch ausgelegten – Darstellungen zur mittelalterlichen Literatur ausbleiben. All jenen, die nur einen groben Überblick zu Strömungen in der europäischen Literatur des Mittelalters suchen, könnte dieses Werk – trotz beeindruckender Prägnanz – langatmig erscheinen, da einige behandelte literarische Beispiele nicht nur erwähnt, sondern eben auch zitiert und analysiert werden. Genauso ist darauf zu achten, dass Knapp durchaus auch Vorwissen voraussetzt, besonders bei seinem Gebrauch von Fachwortschatz, was für den einen oder die andere das Verständnis erschweren könnte. Mein abschließendes Fazit beläuft sich aber dennoch auf sehr lesenswert. Die Mühe lohnt sich!

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

Titelbild

Fritz Peter Knapp: Blüte der europäischen Literatur des Hochmittelalters 3. Lyrik – Schauspiel – altnordische Gattungen.
Hirzel Verlag, Stuttgart 2019.
305 Seiten, 44,00 EUR.
ISBN-13: 9783777626536

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