Flüssiger Sound

Mischa Kopmanns erster Roman „Aquariumtrinker“

Von Oskar AnsullRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oskar Ansull

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In der Underdogwelt Hamburgs und der Nobelwestside Blankenese spielt Mischa Kopmanns Roman, der eine ästhetisch hochinstrumentierte und doch leichtfüßig und flüssig entwickelte Erzählung ist und erst am Ende auf handfesten Sex & Crime hinausläuft, was irritierend poetisch, genüsslich inszeniert stattfindet. Da dann schon wirklich alles vom Autor gesagt wurde, ist es nur folgerichtig, dass es endlich wie mehrfach angekündigt mörderisch abgehen kann, darf – muss!

Fehlanzeige, wer unter Aquariumtrinker eine unkonventionelle Aquarianer-Zeitschrift oder einen Ratgeber alternativer Wasserkuren vermutet. Es ist ein Roman. Romane sind weite Mäntel des Erzählens, alles Schreiben ist biographisch, wie es auch gedreht und gewendet wird, aber wer nur einer biographischen Spur folgen will, ist zumeist auf dem Holzweg. So wartet auch dieser Roman im Innenfutter mit drei Nutzanweisungsetiketten >alles erfunden< auf, nachdem er zuvor das gute Stück erst mal rasch und knapp, die herzerwärmende Geste: für Suse kennzeichnet, was aber weitere Leserinnen und Leser nicht ausschließen soll. Suse kommt namentlich weiter nicht vor, das wäre ja noch schöner.

Der Protagonist, Leon Spihr, ist zugleich Alter Ego und erfundene Figur, spielt in einer Band und hat Frau und Kinder. Der Autor Kopmann ist 1968 in einer Provinzstadt der Südheide geboren und lebt inzwischen selbst an der Elbe. In subtilen Rückblenden wird von einer Kindheit und Jugend der 70er- und 80er-Jahre am Rande der Südheide, in einer „Fachwerkperle“ von Stadt erzählt, wo sich der Protagonist nirgendwo richtig zugehörig fühlt. Beleuchtet wird nebenher ein wenig bekanntes Kapitel bundesdeutscher Provinzlebenswirklichkeit aus der Sicht eines Heranwachsenden, die sich fern von studentischen Metropolen, RAF und Blumenkindern abspielte, die aber die Zeit der heute noch nicht ganz oder schon Fünfzigjährigen grundierte. Dabei entsteht Abschnitt für Abschnitt ein Sog geglückten Erzählens. Es lassen sich die sprachmusikalisch durchkomponierten, bisweilen ausufernden und doch schön zu lesenden Endlossätze förmlich trinken. Ein Sound, den Mischa Kopmann schon in seiner mit dem Walter-Serner-Preis prämierten Erzählung Monsieur Lumière 2004 anstimmte: „Abends, dann, der Weg zurück in die Stadt, am Wasser entlang, in dem das Laub sich spiegelt, rot und grün, und die Sonne Schlieren zieht, fahl und ölig und regenbogenschimmernd, zwischen den Schleppkähnen und Schiffskränen am Hafen.“

Das vorangestellte Motto des Aquariumtrinker-Romans verweist direkt auf den merkwürdigenTitel: „I am an American aquarium drinker/I assassin down the avenue.“ Zwei Zeilen aus dem Song: I am trying to break your heart vom Album Yankee Hotel Foxtrot (2002) der Band Wilco. Der Songwriter Jeff Tweedy hat hier einen eigenen und neuen Ausdruck für den maßlosen Durst gefunden, der auf normale Weise nicht zu stillen ist, der wahrscheinlich auf das englische: „To drink like a fish“ anspielt, verriet mir der irisch-bremische Autor Ian Watson. Auch das ins Verb gesetzte „assassin“ sei original und originell, es funkelt hier in mehrfach meuchelmörderischer Bedeutung, wie eine Chiffre des Romans. Wilco, eine US-Independent-Band aus Chicago, spielt seit gut 20 Jahren populären Country- und Krautrock. Mit Ohrstöpseln lässt sich das beim Lesen reinziehen, wie überhaupt Musik als Generalbass das auf 222 Seiten Erzählte durchwirkt, neben reichlich flüssigen und pulverisierten Drogen.

Die Kapitel nehmen einen Drive auf als hörte man einen Song statt zwei, drei Seiten gelesen zu haben; der dann mit einigen brüchigen Akkorden am Kapitelende ausklingt. Schon nach wenigen Romanseiten löst Mischa Kopmann einen Wasch- und Schleudergang durch mehr als fünfzig Jahre Rock- und Popgeschichte aus.

Also: Leon, der Sohn eines deutschen Maschinenschlossers und einer amerikanischen Kunsthistorikerin liebt Krimhild, eigentlich Katharina Kriems, später verheiratete Kunstmann, die große Liebe und Verletzung seiner Jugend, neben zahlreichen anderen Wunden, die dem „wilden Mann in Leon“, sprich Lee-on, reichlich Nahrung geben. Wunderbares, Schönes, Gutes ereignet sich wohl auch, aber seltener und wenn, dann weiß der Autor um das Fragile, wie es ein „ultramarinblaues Unterwasseruniversum“ sein kann, weiß das wunderbar zu erzählen. 

„Und alle Kreise schließen sich und mein übervolles Herz läuft über […].“ Was ist hier noch zu sagen, um nicht das eigene Lesen vorwegzunehmen. Ja, der Roman ist eine einzige, bittere Abrechnung. Der Autor hat lange dafür gebraucht. Ende der 90er-Jahre und 2004 erhielt er für zwei Erzählungen quasi aus dem Stand Literaturpreise, dann kam die große Pause. Als „in Arbeit“ angekündigt war der Roman schon vor zwölf Jahren, sollte Nachwinter heißen. Doch zwei real heranwachsende Kinder gehen vor und die wechselnden Jobs, um die Familie über Wasser zu halten, die schließlich buchstäblich ins Erzählpanorama einfließen: Klärgrubenreiniger, Barkeeper und Langstreckenkurier. 2006 benennt sich eine alternative Countryband American Aquarium, nach dem zitierten Song von Wilco. Leon Spihr wird „in den aquariumhaften Tiefen seiner winterfest verbarrikadierten Souterrainwohnung unten am Hafen […] zwischen all den Flaschenreihen“situiert.

Übrigens, nur Zwischendrein bemerkt: Ein aufmerksames Lektorat kommt jedem Buch zustatten, auch hier wäre es angebracht gewesen, wenn es etwa heißt: „[…] bernsteinfarbenen Klumpen kristallisierte nationalsozialistische Senfgasvorrat, hergestellt in bester Endsiegstimmung tief in der Lüneburger Heide“. Der Senfgasvorrat war oder ist meines Wissens nicht nationalsozialistisch, sondern nur Senfgasvorrat und schon so schlimm genug.

Der Roman zieht einen großen Bogen, kreist dabei ausschließlich um Spihr, der alles durstig „aufsaugte“, vom Kindesmund an ein „Aquarientrinker“, ein Junge, der sich der bürgerlichen Welt nicht zugehörig fühlte, der „Wasser aus Aquarien trank, die beflissene Bürgerkinder ihren Müttern und Vätern abgerungen hatten, um etwas Leben zu haben, das ihnen gehörte“. Leon Spihr erscheint als ein nicht unsympathischer, sensibler Deklassierter, dem alles in die Brüche gegangen ist, der alle Brücken abgebrochen hat. Einer, der schließlich – von Rache beseelt – an einem Punkt seiner kleinen Welt die Zerstörung einer in seinen Augen falschen, „völlig verschissenen“ Welt und des darin falschen Lebens fast heiter-lustvoll inszeniert. Am Ende des Buches schlägt der Lebensmittellieferant von Blankenese, Leon Spihr, nach einem ausgeklügelten Plan zu, liefert den Tod, entfacht eine meuchelmörderische Orgie, die vielleicht doch nur in seinem Kopf stattfindet. „Die wirkliche Welt“, sinniert Lee-on zuvor, „die man gemeinhin als Leben bezeichnet: Die wirkliche Welt ist nie dort, wo du bist.“ Ehe er die Leichen dann drapiert, als würden sie aus dem Pool trinken, löscht er seinen unglaublichen Durst: „Zuerst trinke ich, gierig und durstig, direkt aus dem Wasserhahn.“

Es ist ein (fast) romantischer Roman aus der Generation, die mit dem Beginn des 21. Jahrhunderts mehr oder weniger geschichtslos in Führungspositionen aufstieg und Verantwortung übernehmen musste, die das angehäufte Vermögen der Eltern erben wird, die einfach unter die Räder kam, in alle Zukunft abgehängt wurde oder nur skrupellos weiter Geschäfte macht und gut leben will, wie zu allen Zeiten. „Knöpfe die Jacke zu gegen die aufkommende Kälte und lasse das Streichholz fallen“, lautet unmissverständlich der letzte Satz, ein Nachhall der radikalisierten 70er des letzten Jahrhunderts. Ob Leon Spihrs in den Flammen der von ihm inszenierten Schlacht- und Hinrichtungsstätte in der „elitären Republik“Blankenese mit umkommt? Der Autor lässt es offen, kein Tatortkommissar ermittelt.

Titelbild

Mischa Kopmann: Aquariumtrinker. Roman.
Osburg Verlag, Berlin 2017.
230 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783955101268

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