Unangenehm

Roland Krauses Kriminalroman „Garmischer Mordstage“ verspricht einen spannungsgeladenen Mordfall im ländlichen Garmisch-Partenkirchen, liefert aber eine unrealistische Handlung mit unerträglichen Charakteren

Von Agnieszka Wiktoria SwitalaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Agnieszka Wiktoria Switala

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Tierärztin Laura findet auf der Weide eines Bauers eine menschliche Leiche. Als erster Tatverdächtigter liegt der Stier nahe, der die Weide bewohnt. Doch nicht nur der Bauer, sondern auch Laura haben Zweifel daran, dass dieser den Mann getötet hat. Der Tote entpuppt sich als ein Gast der Pension Wiesegger, die von Lissy geleitet wird. Ihr Bruder Ben ist Journalist und nach einem langjährigen Aufenthalt in Amerika wieder in seinen Heimatort Garmisch zurückgekehrt. Lissy Wiesegger wird von der Polizei verdächtigt, etwas mit dem Mord zu tun zu haben, weshalb Ben zusammen mit Laura und einigen alten Freunden alles daransetzt, den Fall so schnell wie möglich aufzuklären.

Was erst einmal nach einer spannenden Handlung klingt, wird schnell von Gedankenlosigkeiten der Figuren überschattet. Angefangen mit dem Bauer, auf dessen Weide die Leiche gefunden wird: Er versucht bei Anwesenheit einer Zeugin, nämlich Laura, die Leiche in einen Graben zu werfen, damit sein Stier nicht des Mordes beschuldigt wird. Dass die Polizei die Spuren auf der Wiese sowieso sehen wird, zumal er die Leiche über eine längere Zeit hin- und herschiebt, scheint er dabei nicht zu beachten. Laura nimmt sich aus reiner Neugier dem Fall an und versucht die Unschuld des Stieres zu beweisen. Ihre Anteilnahme an der Lösung des Falls ist dabei genauso unmotiviert, wie sie klingt: Laura hat absolut keinen Grund dafür, sich mit dem Thema länger als nötig zu befassen, tut es aber trotzdem. Unrealistisch ist auch das unprofessionelle Verhalten der Polizei. Nach einigen Flirtversuchen mit dem Polizisten kommt Laura leicht an interne Informationen. Das Ende des Romans ist gleichermaßen fragwürdig wie absurd, sodass man sich des Öfteren die Frage stellt, ob das alles noch gewollt humoristisch sein kann oder längst einfach nur noch unsinnig ist.

Krause skizziert zudem Hauptcharaktere, die man nur unsympathisch finden kann. Ben ist arrogant, versucht das aber als „Selbstbewusstsein“ zu verkaufen. Obwohl er sich selbst als den Unschuldigen darstellt, provoziert er doch immer wieder bewusst die Personen, mit denen er schon vor 20 Jahren Streitigkeiten hatte. Seine eigenen Fehler verharmlost er dabei sodass der Sex mit der Verlobten seines Freundes für ihn nur ein  „Ausrutscher“ und „kleiner Spaß“ ist.

Laura hingegen fällt mit ihrer äußerst anstrengenden Art auf. Sie verbessert unentwegt den Sprachgebrauch anderer Personen, was spätestens nach dem dritten Mal einfach nur nervig ist. Fragwürdig ist auch Lauras Umgang mit Tieren und Fleisch. Gerade als Tierärztin ist ihr das Wohl der Tiere besonders wichtig. Ihre Kommentare zu ihrem Beruf und zu ihrem Essverhalten verwundern aber. So hat sie beispielsweise Heißhunger auf ein bestimmtes Steak, das „frisch aus Attilas Rippen geschnitten“ ist, also aus genau dem Tier, das sie behandelt. Ein anderes Mal kommentiert sie, dass es positiv ist, Kälbchen auf die Welt zu bringen, denn „sonst wird das Kalbsgeschnetzelte rar“. Freude an der Behandlung und Pflege von Tieren zu haben, weil man sich darauf freut, diese zu verspeisen, erscheint nicht nur makaber, sondern auch unsinnig und hat wenig mit Krauses angepriesenen „schrägen Charakteren“ zu tun. Ebenso Lauras Männerbild. Sie vergleicht die Tiere, die sie behandelt, immer wieder mit Menschen und freut sich besonders auf Kastrationen, „weil jedwede männliche Kreatur hodenlos weniger aufbrausend ist“. Das mag ja alles witzig gemeint sein, funktioniert hier aber leider gar nicht.

Auch Bodyshaming scheint sowohl für Laura als auch für Ben eine Freizeitbeschäftigung zu sein. Laura fällt beim ersten Treffen mit Ben direkt dessen „Rettungsring um die Hüfte“ auf. Es hört leider nicht bei der Beschreibung der Körper der Hauptfiguren auf. Auch „die Mayer, mit ihren hundert Kilo an geballter Fröhlichkeit“, der neue Freund von Bens Ex-Freundin, der mittlerweile hoffentlich ein „verfetteter Couch-Potato“ geworden sei oder der Junge, dem „eine Wank-Wanderung die Speckwaden gestrafft hätte“ werden allesamt zum Ziel der Körperkritik. Dass alle diese Personen unwesentlich für die Handlung sind und anscheinend nur dafür da, um über ihr Gewicht zu witzeln, macht die Sache besonders schlimm.

Die Reduzierung auf den Körper geht in Garmischer Mordstage jedoch nicht nur in die Richtung Fatshaming, sondern erreicht ihren Höhepunkt bei der Sexualisierung der Frauenfiguren. Am deutlichsten wird das bei der Protagonistin Laura, deren Attraktivität immer wieder betont wird. Dass gerade die weibliche Protagonistin ihre Verführungskünste als Mittel zum Zweck verwenden muss, ist ein Klischee, das im Jahr 2022 keinen Platz mehr haben sollte. Sexualisiert wird Laura aber nicht nur durch den Polizisten, der sich ein weiteres Treffen mit ihr erhofft, sondern auch vom Kellner, der die beiden auf einem Date bedient. Auch der männliche Protagonist Ben reiht sich in diese Gruppe ein. Bei ihrem ersten Treffen beschreibt er Laura als „auf eine rohe animalische Weise verdammt attraktiv“ und bemerkt, dass sie „bestimmt kein unbeschriebenes Blatt“ sei. Als wären das die ersten Gedanken, die man sich macht, wenn man einer Frau erstmals begegnet. Für Ben scheint das allerdings eine gewöhnliche Haltung zu sein, denn selbst bei der 17-jährigen Tochter seines alten Freundes bemerkt er, dass sie „eine Menge an Dekolleté unbedeckt ließ“.

Was ein Kriminalroman über den Widerspruch zwischen dem Brauchtum auf dem Land und der immer näher rückenden urbanen Moderne hätte sein können, wird somit leider vollkommen verdorben. Dabei ist die Mischung aus regionalem Dialekt und Neologismen sowie neomodischen Anglizismen im Sprachgebrauch der Figuren eigentlich gelungen. Auch die Einbeziehung von Nebeninformationen zu regionalen Spezialitäten, Gepflogenheiten, Landschaften und dem Tourismus ist nett. Durch die unrealistischen Handlungen der Figuren, dem ständigen Bodyshaming und der Sexualisierung der weiblichen Figuren gehen diese positiven Aspekte aber vollkommen unter und der Roman wird schlicht ungenießbar. Damit lässt sich Krauses Kriminalroman Garmischer Mordstage mit einem Wort zusammenfassen: unangenehm.

Anmerkung der Redaktion: Die Rezension gehört zu den studentischen Beiträgen, die im Rahmen eines Lehrprojekts im Sommersemester 2022 entstanden sind und gesammelt in der Oktoberausgabe 2022 erscheinen.

Titelbild

Roland Krause: Garmischer Mordstage. Kriminalroman.
Emons Verlag, Köln 2022.
320 Seiten, 13,00 EUR.
ISBN-13: 9783740814502

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