Männliche Individualmassaker, seit Jahrtausenden kollektiv erlaubt
Christina Lamb legt in „Unsere Körper sind euer Schlachtfeld“ bedrückende Reportagen über Kriegsvergewaltigungen vor
Von Kai Sammet
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDies ist ein wichtiges Buch. Christina Lamb, Journalistin und Reporterin der Sunday Times, bereiste die halbe Welt, um jenen Frauen eine Stimme zu geben, die Opfer männlicher Kriegsgewalt wurden. Dabei seien ihre Berichte nicht vollständig, sie konzentriere sich auf Orte, wo sexuelle Gewalt „gegen eine bestimmte Gemeinschaft und von oben gesteuert als Kriegswaffe eingesetzt wurde“, überdies behandele sie nicht Vergewaltigungen von Männern (über die noch weniger bekannt ist als über Vergewaltigungen von Frauen).
Wo soll man mit Lamb diese Reise in die Hölle für Frauen beginnen, wen erwähnen, wen nicht? Käme das nicht einem impliziten Werten gleich? Lamb fährt nach Mossul, wo der Islamische Staat wütete, Frauen als sabaya, Sklavinnen, hielt und vergewaltigte. Sie fährt nach Leros in Griechenland in ein Flüchtlingslager für Jesiden, einer ethnisch-religiösen Minderheit, wieder vom IS verfolgt, sie fährt in einen kleinen Ort in Baden-Württemberg, der jesidische Flüchtlinge aufnahm, sie fährt nach Chibok in Nordnigeria, wo Boko Haram vergewaltigte, tötete, vertrieb. Sie reist zu den Rohingja, die seit der Unabhängigkeit Birmas (Myanmar) immer wieder Verfolgung und Vertreibung ausgesetzt waren. Sie besucht das Liberation War Museum in Bangladesh, wo sich eine kleine Ausstellung über sexuelle Gewalt während des Befreiungskrieges 1971 befindet. Sie fährt nach Ruanda, um dort betroffene Frauen über sexuelle Gewalt während des Genozids der Hutu durch die Tutsi 1994 berichten zu lassen, nach Bosnien, in den Kongo zum Hospital Dennis Mukweges, sie spricht mit den sogenannten Lolas, „Trostfrauen“, in Manila, die von japanischen Soldaten während des Zweiten Weltkriegs systematisch missbraucht wurden, sie berichtet von weiblichen Opfern der argentinischen Militärdiktatur.
Und sie ergänzt diese katastrophale und monotone Geschichte mit Ausflügen in die Historie. Seit es Krieg gibt, „haben sich Männer an Frauen bedient“. Lamb skizziert die Vergewaltigungen, die die Rote Armee im Zweiten Weltkrieg verübte, wobei sie ergänzt, dass auch „britische, französische und kanadische Soldaten“ deutsche Frauen „vergewaltigten, allerdings in deutlich geringerer Zahl“.
Bis heute wird sexuelle Gewalt in Kriegen verschwiegen, tabuisiert, viel zu wenig beachtet. Vergewaltigung führt zu Verstümmelungen in mehrfachem Sinn. Körperlich, so wenn Boko Haram Kämpfer so brutal vergewaltigten, dass betroffene Frauen einen Einriss „in der Wand zwischen Vagina und Blase oder Enddarm hatten“, so dass „Urin oder Stuhl“ unkontrolliert abgingen; so wenn in Ruanda Frauen Stöcke in die Vagina gestoßen wurden; so wenn im Kongo gar weibliche Säuglinge vergewaltigt wurden. Das sind Individualmassaker von Männern an Frauen.
Verstümmelnd ist Kriegsvergewaltigung auch psychisch. Naima, in Mossul „Sklavin“ eines Mullahs, der sie immer wieder vergewaltigte, berichtet, dass sie danach „einfach nur da“ lag und „versuchte, meinen Geist über meinem Körper schweben zu lassen, als würde es jemand anderem passieren, damit er mir nicht alles rauben konnte“. Rohijan, eine Jesidin, bemerkt, sie glaube nicht, dass sie „jemals darüber hinwegkomme“, es werde „niemals vergehen“. Und Bakira Hasecic in Bosnien:
Diese Männer haben uns doch alles genommen, was schön an uns war. Es gibt keinen Zauberstab, mit dem sich das, was geschehen ist, auslöschen und das Leiden beenden lässt […], als ich nach der Vergewaltigung das erste Stück Seife in die Hände bekam, habe ich mich gewaschen, bis ich blutete.
Doch die Verstümmelung ist nicht nur körperlich und seelisch, sondern auch sozial. Die Opfer werden in ihren Herkunftsgemeinschaften stigmatisiert – so erzählte eine „Trostfrau“, sie seien „als von den Japanern verschlissene Kleidung“ beschimpft worden. Vergewaltigte Frauen werden als „ehrlos“ beschimpft, aus der Gemeinschaft ausgestoßen, teilweise gezwungen, die durch die Vergewaltigung entstandenen Babies abzutreiben. Pramila Patten, seit 2017 UN-Sonderbeauftragte für sexuelle Gewalt in Konflikten, bemerkte, Vergewaltigung sei „das einzige Verbrechen, bei dem die Gesellschaft eher das Opfer stigmatisiert, als den Täter bestraft“.
Was sind Gründe für Kriegsvergewaltigungen? Sicher gibt es ein komplexes Konglomerat von Ursachen. Frauen sind in vielen Gesellschaften unterdrückt, werden als minderwertig angesehen. Oft wird sexualisierte Kriegsgewalt gegenüber ethnischen Minderheiten ausgeübt, die ebenfalls als minderwertig angesehen werden, Vergewaltigung dient als Kriegswaffe. Der Feind soll gedemütigt werden, es soll Rache (für was auch immer) genommen werden, Lust soll befriedigt werden.
Lambs Gewährsmann für Kriegsvergewaltigungen durch die Rote Armee im Zweiten Weltkrieg, der Militärhistoriker Anthony Beevor, äußerte, es habe damals wohl keinen direkten Befehl gegeben, vielmehr herrschte „die unterschwellige Wahrnehmung“, dass Vergewaltigungen gebilligt wurden, dass die Täter straflos ausgingen. Frauen erniedrigen, sie und die gesamte Gesellschaft traumatisieren, innerlich zerstören – all das können Motive für Kriegsvergewaltigungen sein.
Auch männlich dominierte islamistische Gruppen scheinen selbstverständlich zu vergewaltigen. Teils sind Plünderung und Vergewaltigung „Mittel zur Entlohnung unbezahlter Rekruten“. Teils stellen Gruppenvergewaltigungen Mittel zur Gruppenkohäsion dar.
Doch warum vergewaltigen einige Armeen/Gruppen eher als andere? Das liege an der jeweiligen „Militärkultur“. In Ländern mit hoher häuslicher Gewalt und dort, wo Vergewaltigung in der Ehe keine Straftat darstellt, ist die Wahrscheinlichkeit wohl höher. Armeen, in denen Frauen Dienst tun, sind eher vor dieser Pest gefeit, wie sich am Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern sehen lässt.
Hat sich inzwischen etwas zum Besseren geändert? Ja und nein. Es ist ein zähes Unterfangen. Zuerst ist es wichtig, dass Vergewaltigung überhaupt zur Kenntnis genommen wird und nicht einfach unter anderen Kriegsverbrechen verschwindet. Hier spielt schon eine Rolle, dass es wenige weibliche KriegsberichterstatterINNEN gibt.
Eine der ersten Festschreibungen gegen Kriegsvergewaltigung, Abraham Lincolns Allgemeine Bestimmung Nr. 100 aus dem Jahr 1863, die Kriegsvergewaltigung unter Todesstrafe stellte, zeigte womöglich kaum Wirkung. Im Juni 2008 verabschiedete der UN-Sicherheitsrat die Resolution 1820 über sexuelle Gewalt in Konflikten, Kriegsvergewaltigung gilt als Kriegsverbrechen. 2009 wurde eine Sonderbeauftragte ernannt.
Hat das etwas gebracht? Wie erwähnt muss dieses Kriegsverbrechen als solches benannt und angeklagt werden. Hier hilft es, wenn RichterINNEN und AnklägerINNEN vertreten sind – wie im Fall der ersten Verurteilung wegen Kriegsvergewaltigung in Ruanda. Oft müssen Frauen das Heft des Handelns selbst in die Hand nehmen, wie zum Beispiel Bakira Hasecic aus Bosnien, die Jagd auf Kriegsverbrecher macht und die Association of Women Victims of War gründete: „Wir Frauen müssen das tun, weil die Polizei kein Interesse daran hat – so viele von ihnen sind selbst Kriegsverbrecher.“ Aber es bleibt mühsam und es ist fraglich, ob es hier wirklich Fortschritt gibt. Erstens profitieren in vielen Kriegen Konfliktpartien von Chaos und Terror. Zweitens bleibt Kriegsvergewaltigung noch oft unter der Wahrnehmungsschwelle. So reist Lamb im März 2018 nach Ninive, wo Prozesse gegen Mitglieder des IS stattfanden. Doch verhandelten die Gerichte dort im Schnellverfahren, Vergewaltigung wurde nicht in den Blick genommen, verschwand unter dem Globalanklagepunkt ‚Terrorismus‘.
Oft ändert sich die gesamtgesellschaftliche Atmosphäre, so dass Frauenfeindlichkeit quasi offizielle Politik wird. 2016 wurde Rodrigo Duterte Präsident der Philippinen, ein aggressiver Frauenhasser. So soll er philippinischen Soldaten gesagt haben, sie dürften in kriegerischen Konflikten bis zu drei Frauen vergewaltigen oder man solle kommunistischen Rebellinnen in die Vagina schießen – Joan May Salvador, Leiterin der Frauenorganisation Gabriela auf den Philippinen, bemerkte, „sexuelle Gewalt“ habe unter Duterte „derart zugenommen, dass jede Stunde eine Frau vergewaltigt“ werde: „Wenn der mächtigste Mensch im Land Witze über Gewalt gegen Frauen macht, denken die Menschen, das ist schon okay“.
Dies also ist ein wichtiges Buch, weil es berichtet, damit sich etwas ändert.
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