Unter muss er gehen

Ted Lewis‘ kleine Geschichte vom Untergang eines Gangsterbosses: „Schwere Körperverletzung“

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Gangsterbosse sind auch nur Könige, und sie gehen unter wie sie: entweder im Kampf oder gemeuchelt von den eigenen Gefolgsleuten, wenn‘s denn nicht die Altersschwäche ist, die sie dahinrafft. Und wie das Beispiel Syrien zeigt, sind die Könige, die gnadenlos jeden Widerstand brechen, noch die, die die größten Überlebenschancen haben. Das widerspricht im Grundsatz einem Prinzip, das Norbert Elias in den 1930er Jahren in seiner Habilitationsschrift über die Höfische Gesellschaft beschrieben hat. Das „Königsprinzip“, dessen lateinische Kurzformel wohl „divide et impera“ lautet, rekurriert auf die alte Weisheit, dass Autokraten nur an der Macht bleiben können, wenn genügend große Gruppen ihrer Untergebenen von ihrer Herrschaft profitieren. Der innere Kreis kann sich bedenkenlos bereichern, für die weiteren Kreise fällt immer noch soviel ab, dass sie sich unter anderen Verhältnissen schlechter stellen würden. Darauf ist das besondere Interesse von autokratischen Systemen am materiellen Wohlbefinden der breiteren Bevölkerung begründet. Davon absehen lässt sich nur kurzzeitig mit einem Aggressionskrieg gegen böswillige Nachbarn oder aufsässige Untertanen, wenngleich die Kosten eines solchen Kriegs genau kontrolliert werden müssen, soll er nicht mit dem eigenen Untergang bezahlt werden. Greift der Herrscher die Gewalten- und Güterteilung an, auf der seine Macht ruht, geht er unter. Wird er zu gierig, geschieht‘s ihm ebenso. Und will er zu viel, bleibt ihm am Ende nichts.

Solche Abläufe hat man im Großen und im Kleinen schon beobachten können. Im kleinen, kriminellen Milieu führt Ted Lewis dieses Muster meisterhaft vor. George Fowler und seine Gefährtin Jean betreiben ein weitläufiges kriminelles Pornonetzwerk im England der 1970er Jahre. Pornos sind illegal, was weder das Angebot noch die Nachfrage daran merklich behindert. Ganz im Gegenteil, das Verbot erhöht die Attraktivität des Gewerbes erheblich. Fowler hat eine Art Abonnementsystem entwickelt, mit festen Abnehmern und guten Preisen. Das mindert das Risiko und sichert den Umsatz und den Profit, für ihn, seinen Apparat, seinen inneren Kreis, die Polizei, die auf klare Verhältnisse setzt.

Seinen Vertrieb regiert Fowler mit harter Hand und einer Reihe gewalttätiger und gewissenloser Kombattanten, die am Profit hinreichend gut beteiligt sind, um Fowler den Platz an der Spitze der Nahrungskette zu sichern.

Das ändert sich mit dem Moment, mit dem Jean, die die Bücher des kriminellen Konzerns prüft, feststellen muss, dass sich irgendwer nicht an die vereinbarten Einbehalte hält, sondern mehr in die eigene Tasche wirtschaftet als zugesagt. Eine solche Insubordination kann keine Autokratie hinnehmen – und um etwas anderes handelt es sich bei Fowlers Geschäft nicht. Also lädt Fowler einen seiner Vertriebsleiter nach dem anderen ein und nimmt ihn in die Mangel, was gegebenenfalls bleibende gesundheitliche Schäden nach sich zieht. 

Je länger er seinen gewalttätigen Aufklärungszug vorantreibt, desto größer sind die Verluste, mit anderen Worten, Fowler beginnt die Binnenstruktur seines Konzern zu demontieren, weil er ihn aufrecht erhalten will. Das zieht noch weitere Kreise, als er eine Kooperation seines untreuen Vertrieblers mit den ärgsten Rivalen annimmt. Die werden gleich mit attackiert, was insgesamt die Kosten seines Feldzuges, an dem er andererseits auch nicht vorbeikommt, immer mehr in die Höhe treibt. Soll heißen, er zerstört nicht nur seinen eigenen Laden, er gefährdet auch den Profit seiner wichtigsten Vasallen, der engeren Kamarilla bis hin zu den korrupten Polizisten, die am kriminellen Konzern mitverdienen. Das können sie aber nicht, wenn der einen Feldzug betreibt, der auch außerhalb des Milieus Aufsehen erregt. Eben das lässt die Situation eskalieren, soweit schließlich, dass Jean gekidnappt, gefoltert und geköpft wird. Der geschockte Fowler sieht sich daraufhin gezwungen, sich aus dem Geschäft – wie er glaubt – vorläufig zurückzuziehen. 

Immerhin hat er ein Exil, eine Villa in einem englischen Küstenort, von dem außer ihm niemand weiß. Hier verbringt er seine Tage mit zu viel Alkohol und wenigen, eintönigen Sozialkontakten, was ihn am Ende – standesgemäß – in den Wahnsinn treibt. Der Tyrann fällt über seine eigenen Taten. Dem unvermeidlichen Tod entkommt er dabei ebensowenig. Dazu ist die Geschichte zu sehr auf den Untergang dieses Unterweltbosses hin gestrickt. Es sind – soviel darf verraten werden – seine engsten Vertrauten, die ihn beseitigen, weil er ihr Geschäft und ihren Profit zu zerstören droht. 

Eine paradigmatische, sehr lehrreiche Geschichte, die Lewis hier erzählt. Und er tut dies auf eine sehr interessante Weise, sehr stark aus der Perspektive Fowlers. Aufgeteilt ist das Buch in einen Erzählstrang, der am Exilort, dem englischen Badeort und in der Gegenwart spielt, sowie einen zweiten, der die gewalttätigen Exkursionen abhandelt, die Fowler unternommen hat, um das korrupte Element im mittleren Management zu entlarven. Das ist stringent erzählt und, bei aller Subjektivität, sehr präzise gesteuert. Bemerkenswert. 

Titelbild

Ted Lewis: Schwere Körperverletzung.
Aus dem Englischen von Angelika Müller.
Pulp Master, Berlin 2020.
330 Seiten , 14,80 EUR.
ISBN-13: 9783946582045

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