Komponieren als Lebenswerk

In Liu Solas Novelle „Du hast keine andere Wahl“ geht es um eine Komponistenklasse mit ihren Höhen und Tiefen

Von Patricia BoglowskaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Patricia Boglowska

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Liu Sola verknüpft in ihrer Erzählung, die bereits 1985 in China erschien, ihre eigenen Erfahrungen als Studentin des Musikkonservatoriums mit denen ihrer damaligen KommilitonInnen. Sie alle lebten für das Komponieren und machten es zu ihrem Lebensziel. In diesem Sinne kann man Du hast keine andere Wahl als Hommage an ihre Mitstudierenden lesen, mit denen sie 1977 das Konservatorium besucht hat. Zusammen waren sie die erste Kompositionsklasse, die dort nach der Kulturrevolution unterrichtet wurde. Einer Kulturrevolution, die ganz China ins Chaos stürzte und die Universitäten und sonstige Bildungs- und Kulturbetriebe zum Erliegen brachte. Solas Buch fängt die Zeit des gewaltigen Umbruchs ein und gilt als eine der ersten avantgardistischen Novellen Chinas.

Die Protagonisten der Erzählung sind junge Studenten, die – wie auch die Autorin und ihre damaligen Kommilitonen – einer Kompositionsklasse angehören. Voller Leidenschaft, Begeisterung und Tatendrang widmen sie sich der Erforschung neuer Musikrichtungen des 20. Jahrhunderts. Die angehenden Komponisten werden als verschrobene, passionierte und eigensinnige Charaktere gezeichnet, die auf unterschiedliche Weise mit dem hohen Leistungsdruck des Konservatoriums umgehen. Von den besonderen Momenten des Studentendaseins lebt Solas Text. Die fehlende lineare Handlung und der fragmentartige Aufbau der Novelle tun dem Lesevergnügen dabei keinen Abbruch. Zahlreiche Situationen aus dem Leben der Studierenden werden erzählt, in Bezug zueinander gesetzt und immer wieder aufgegriffen, wie etwa der große Musikwettbewerb, der sowohl die Professoren als auch die Studierenden in helle Aufregung versetzt.

Der Titel des Buches wird bereits im ersten Kapitel aufgegriffen: dort wird einem Studenten vor Augen geführt, dass er keine andere Wahl habe als zu komponieren. Immer wieder wird in der Erzählung betont, wie sehr die Protagonisten für die Musik leben und sich so auf sie fokussieren, dass sie sogar die wichtigsten Grundbedürfnisse vernachlässigen, etwa genügend zu essen und zu schlafen. Ihr Leben haben sie dem jahrelangen Studium gewidmet, das viel von ihnen abverlangt, besonders während der Prüfungszeiten. Trotz allem stehen sie hinter ihren Entscheidungen, Komponisten zu werden, denn „mit einem Sieg bei einem Wettbewerb, hast du alles gewonnen, egal, wie groß der Druck im Leben ist“.

Das Streben nach Individualität und Einzigartigkeit sowie das Verlangen, sich neben den großen Musikern wie Bach, Chopin und Mozart zu beweisen, ist die zentrale Motivation: „Gab es keinen Klang, der wahrhaftig ein Teil seiner selbst war? Wo war das, was er suchte? Wo lag seine eigene Kraft?“ Die Suche nach dem eigenen Stil wird durch den Konflikt zwischen der traditionellen Musik Chinas und der modernen westlichen Musik zusätzlich erschwert. Zwei Professoren spiegeln diesen Zwiespalt in der Novelle wider: Während der eine auf Disziplin und Tradition setzt, betont der andere die Wichtigkeit der Kreativität. Sogar ihr Auftreten und ihr äußerliches Erscheinungsbild vermitteln deren klare Standpunkte. Beide liefern sich immer wieder ein Kräftemessen. In den Augen des strengen Professors Jia sind die Studierenden von jeglicher Moral, Disziplin und dem Sinn für die Reinheit der Musik befreit: „Ihr enttäuscht mich sehr, wirklich bedauerlich, ihr seid unglaublich unkultiviert, eure üblichen, bisherigen Werke sind dafür wahrlich Beweis genug.“ Professor Jin hingegen lässt den angehenden Komponisten die Freiheit, ihren musikalischen Weg selbst zu bestimmen, weswegen sie eigenverantwortlich entscheiden dürfen, welche Musikstücke sie beim großen Kompositionswettbewerb vorstellen wollen.

Die Sprache im Buch verleiht der Novelle ein gewisses Flair und betont, wie allgegenwärtig Musik ist: „Mit dem Kopf im Takt nickend fuhr sie mit ihrer Abschrift fort, machte sie einen Fehler, verbesserte sie ihn im Rhythmus, indem sie mit einem scharfen Messer das Papier abschabte und auf einem betonten Schlag die Papierkrümel wegpustete.“ Die Schilderungen und Vergleiche machen die musikalischen Sequenzen im Buch greifbarer und offenbaren, wie gekonnt Sola mit ausdrucksstarken Beschreibungen fesseln kann. Trotz mancher Verwirrungen beim Lesen, die der fragmentierten Handlung und dem ungewohnten Umgang mit unzähligen chinesischen Namen geschuldet sind, ist eine Spannung gegeben, die durch die eindrucksvolle Sprache aufrechterhalten und weitergetragen wird. Sola beschreibt eine bunte schillernde Welt der Musik, die sie den Lesern auf amüsante und klangliche Weise mithilfe sympathischer und zugleich eigentümlicher Protagonisten näherbringt. Lustige Momente finden darin ebenso anklang wie Momente der Trauer und Frustration. Auch die Liebe spielt immer wieder eine Rolle, wenn auch in erster Linie die Liebe und Hingabe zur Musik.

Titelbild

Liu Sola: Du hast keine andere Wahl.
Übersetzt aus dem Chinesischen von Johannes Grosz.
Iudicium Verlag, München 2019.
131 Seiten, 13,00 EUR.
ISBN-13: 9783862056163

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