Abschied von den Lesern

Das letzte Kapitel ihrer „Memoiren“ (1851)

Von Lola MontezRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lola Montez

Vorbemerkung der Redaktion: Die neue Biographie der Historikerin Marita Krauss über das Leben der vor 200 Jahren, am 17. Februar 1821, geborenen Lola Montez, hat einen langen, programmatischen Obertitel – ein Zitat: „Ich habe dem starken Geschlecht überall den Fehdehandschuh hingeworfen“. Entnommen ist es dem abschließenden Kapitel des neunten und letzten Bandes der „Memoiren“ von Lola Montez (Gräfin v. Landsfeld).  Sie sind zuerst 1851 in der französischen Tageszeitung „Le pays“ , noch im selben Jahr in deutscher Übersetzung als Buch erschienen und „in weiten Teilen als fiktionaler literarischer Text zu lesen“ (Marita Krauss), an dem auch andere mitgeschrieben haben. Die Veröffentlichung des Kapitels in literaturkritik.de zum 200. Geburtstag der Autorin (mehr dazu in Kürze hier) bietet unseren Leserinnen und Lesern die Möglichkeit, sich selbst ein Bild über die Zusammenhänge zu machen, in denen das feministische Zitat steht. T.A.

 

Hundertneunundsiebenzigstes Kapitel.

_______________

Abschied von den Lesern.

Mein Streben. – Der Kampf der Welt. – Religion. – Politik. – Philosophie.

 

Wir stehen an dem Schlusse dieser Memoiren.

Zwar noch viel, sehr viel könnte ich niederschreiben.

Ich könnte noch manche männliche Thorheit enthüllen, auch noch von mancher weiblichen Schwäche erzählen.

Aber ist es nöthig, dass man alles ausplaudert, was man weiß?

Ich habe dem starken Geschlechte überall den Fehdehandschuh hingeworfen und ihm gezeigt, wie wenig Recht es hat, sich in moralischer Hinsicht über uns Frauen zu erheben.

Ich habe den Frauen gezeigt, dass, – wenn sie verständen, die Schwäche der Männer zu nutzen, sie überall aufhören würden, das schwache Geschlecht zu sein.

Es wäre kein Unrecht sich jedes Vortheils gegen die Eitelkeit und Anmaßung der Männer zu bedienen.

Ich war weit entfernt, mich besser darzustellen, als ich bin, und meine Schuld ist es nicht, wenn ich dadurch besser geworden bin, als der Ruf mich gemacht hat.

Der Ruf einer Frau ist oft weiter nichts, als der Widerhall der Bosheit jene Männer, welche die Frauen so gern schwach und schlecht sehen und hinterher eine moralische Entrüstung heucheln.

Ihr habt gar kein Recht, über die Tugend einer Frau den Stab zu brechen, – solange ihr nicht strenger gegen euch selbst seid.

Ich habe euch den Fehdehandschuh hingeworfen und werde mit euch kämpfen, so lange ich lebe, in allen Lagen und unter jeder Form.

Ich werde gegen eure Anmaßung, gegen eure Uebertreibung, gegen eure Unverschämtheit ankämpfen bis zu meinem letzten Athemzuge, und mögt ihr dann immerhin sagen, wenn ich gestorben sein werde:

Sie war ein Weib, – sie war ein schlechtes Weib! –

Ich werde in meinem Grabe auf den verfälschten Ausdruck einer sich selbst betrügenden Erkenntniß keinen Werth legen, und der Himmel wird ein Wesen nicht verstoßen, das, – wie sehr es auch gefehlt haben mag, – doch niemals sich die Mühe gab, mit seinem Gewissen unter die Maske der Scheinheiligkeit sich zu flüchten.

Gegen das Böse habe ich mich stets aus allen Kräften gesträubt, aber meine Natur gestattete es mir nicht, ein Weib der Gewohnheit, ein so zu sagen traditionelles Weib zu sein, ein Weib, welches sein höchstes Glück darin setzt, dem Manne eine gute Brühe und ein freundliches Gesicht zu machen.

Ich habe über mich selbst, über meine Mitmenschen und die Welt stets zu viel nachgedacht, um das Hergebrachte stets befriedigt durch das Sieb der gewöhnlichen Kritik laufen zu lassen.

Bei der Zerrissenheit unserer Zeit, bei der Zerfallenheit aller Zustände, bei der Bewußtlosigkeit aller Gewissen habe ich überall nach einem Anhaltspunkte gestrebt, welcher sowohl der menschlichen Würde als auch unserer Bestimmung entspricht, und es ist nicht meine Schuld, wenn die Herren zuweilen einen Schwindel bekommen haben und vor dem hohen Standpunkte schaudernd zurückbebten, welchen ich einzunehmen suchte.

Dann verfolgte mich ihr Spott, dann war ich frech, dann trachtete ich nach einer Krone.

Aber leben wir nicht in einer Zeit, in der man sich kümmern muss wie ein Wurm, wenn man nicht den Muth besitzt, sich oben zu erhalten?

Die Welt ist jetzt ein Land.

Der Menschengeist, so zersetzend er geworden ist, hat Zeit und Raum verschlungen; ist es ein Wunder, wenn er sich nun verliert in diesem unermeßlichen Raum, in welchem er alle Schranken, alle Wegweiser, alle Meilenzeiger niedergerissen hat? –

Wir haben den Ocean entdeckt, wir haben die neue Welt gefunden, – aber wir sind noch nicht im Stande gewesen, einen Kompaß zu erfinden.

Einen Kompaß? –

Ist es nicht die Religion und immer die Religion, welche stets nach Nord und Süd zeigt, welche den Menschen stets belehrt, wo er sich befindet zwischen Himmel und Erde? –

Einen Kompaß? –

Ist es nicht die Politik, die den Menschen zur äußeren Freiheit verhelfen will, um ihn zur innern reif zu machen? –

Einen Kompaß? –

Ist es nicht die Philosophie, welche den Menschen über die Wahrheit der Gottheit, über den geistigen Gehalt der Welt belehrt, und ihm genau sein Ziel vorschreibt?

Ach, – was will nicht Alles Kompaß sein in dieser Zeit des kreuzritternden Menschengeistes, welcher nicht ausgezogen ist, ein heiliges Grab, – sondern eine neue Welt zu erobern; welcher nicht gegen die Sarazenen, – sondern gegen die Dogmen kämpft, welche alt oder neu das Leben, die Entwicklung gefangen hält.

Und doch ist es wahr, daß, – wie die Zeiten auch sein mögen, wie Schlimmes und Entsetzliches sich auch vorbereite, – es nur einen Kompaß giebt, welcher das Menschengeschlecht zu retten vermag: – Gott.

Gott! – Wehe Allen, welche es nicht wissen, daß dieser Gott kein Dogmengott ist, sondern daß er der Gott der Duldung, der Milde, der Verzeihung und der Liebe ist!

Aber leider beherrscht der Haß und die Heuchelei unsere Zeit! –

Man täusche sich nicht: – Hass ist keine Kraft; – Heuchelei ist keine Klugheit.

Wer haßt, gesteht seine Schwäche; wer heuchelt, seinen Unverstand.

Es giebt nur eine Waffe, die Welt zu erobern:

Wahrheit und Liebe.