Gottentfremdetes Culturweiberthum

Johann Georg Lughofer und Milan Tvrdík haben „interdisziplinäre Beiträge zu Leben und Werk“ Bertha von Suttners herausgegeben

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Erst kürzlich hat Johann Georg Lughofer anlässlich des 100. Todestages Bertha von Suttners gemeinsam mit Stéphane Pesne einen Sammelband zu Literarischem Pazifismus und pazifistischer Literatur herausgegeben. Nur wenige Monate später ließ er – nun gemeinsam mit Milan Tvrdík – einen zweiten Sammelband folgen, dessen Beiträge sich diesmal mit den Kontexten des Lebens und Werks der ersten Friedensnobelpreisträgerin befassen. Der auf eine Prager Konferenz aus dem Jahr 2014 zurückgehende Band „unterstreicht einerseits die Bedeutung Suttners im zentraleuropäischen Kontext, andererseits trägt er dem generellen interdisziplinären Interesse der Autorin und ihren Werken Rechnung“. Gleich einem Prisma, das weißes Licht in ein weites Farbspektrum auffächert, blättern die Seiten des vorliegenden Bandes zahlreiche Kontexte auf, in denen Person und Wirken Suttners beleuchtet werden – von dem als Gräfin Kinsky geborenen „Sprössling aus dem berühm­ten böhmischen Adelsgeschlecht“ (Milan Tvrdík) über „Suttners Verhältnis zu den Tschechen“ (Viera Glosikovä) und dem etwas abschweifenden Blick auf das jeweilige Verhältnis von Vlasta Pittnerovä, Jindfiska Wurmovä, Pavla Moudrä und Anna Pammrovä  zur tschechischen Friedensbewegung (Libuse Heczkovä und Olga Slowik) bis hin zu Suttners Weg als Pazifistin (Mira Miladinovic Zalaznik).

Wie bereits in Literarischer Pazifismus und pazifistische Literatur beklagt Lughofer auch in dem hier anzuzeigenden Band jedoch zunächst einmal die mangelnde Resonanz und Wertschätzung, die das literarische Schaffen Suttners erfuhr. So wiederholt er zwar manches von dem, was er erst unlängst dargelegt hat, falsch ist es darum aber keineswegs. Auch beschränkt er sich nicht darauf, sondern beleuchtet im vorliegenden Band vor allem zeitgenössische „Stereotype und Vorwürfe in Sachen Bertha von Suttner“, der etwa „Naivität, Sentimentalität und aristokratische Borniertheit“ nachgesagt wurde. Dabei zeigt Lughofer auf, wie unberechtigt derlei pejorativen Zuschreibungen sind.

Nur scheinbar den geografischen Kontexten der Literatur Bertha Suttners und ihres ebenfalls schriftstellerisch tätigen Mannes Arthur Gundaccar gehen Alexandra Millner und Katlin Teller nach, indem sie den „Reisespuren“ in den Werken beider folgen. Tatsächlich dient ihnen die Exkursion vielmehr dazu, Unterschiede im Schreiben der Eheleute aufzuzeigen. So machen sie etwa „in Bezug auf die Geschlechterrollen gewisse Akzentverschiebungen“ zwischen ihren und seinen Werken aus oder konstatieren, dass Bertha von Suttner „in ihren literarischen Universen eine Diversität politischer Wertesysteme“ etabliert, während sich die Literatur ihres Mannes darauf beschränkt, „im trivialen Sinne moralisierend“ wirken zu wollen.

Die meisten der anderen Beiträge kaprizieren sich ebenfalls keineswegs auf geografische Kontexte. Werner Winterstein beleuchtet „aus heutiger Sicht“ Bertha von Suttners Bemühungen, den Krieg zu verhindern, der bis zum zweiten Völkerschlachten des 20. Jahrhunderts „der Große“ genannt wurde. Weit davon entfernt, ihr „liberales Weltbild“ oder ihre – wie der Autor in orthodox-marxistischer Manier formuliert – „durch ihre Klassenherkunft beschränkte Sichtweise“ zu „verteidigen“, zollt Winterstein Suttner doch seine Anerkennung dafür, „wie konsequent und kritisch sie die politischen Entwicklungen ihrer Zeit zu erkennen und zu kommentieren in der Lage war und wie unermüdlich und beharrlich sie vor der drohenden Katastrophe des Weltkriegs gewarnt hatte“. Allerdings habe es ihr an der Fähigkeit gemangelt, die „politischen, ökonomischen und ideologischen Kräfte“, die trotz all ihrer Bemühungen doch zum Krieg führten, „genau zu analysieren und gezielt zu bekämpfen“. Immerhin aber habe sich „Suttners ethischer Pazifismus“ gegenüber dem  „‚wissenschaftlichen‘ Pazifismus“ ihres Mitstreiters Alfred H. Fried – gemeinsam gaben sie die Zeitschrift Die Waffen nieder! heraus – als „das schärfere Instrument der Analyse und Kritik“ erwiesen.

Dietmar Goltschnigg vergleicht nicht das Wirken zweier PazifistInnen, sondern macht auf die vielleicht einzige, jedenfalls aber wenig erfreuliche Gemeinsamkeit aufmerksam, die zwei ganz unterschiedliche AutorInnen teilen mussten. Sowohl „die Pazifistin Bertha von Suttner“ als auch die „den Krieg impressionistisch verklärende Reporterin Alice Schalek“ gerieten – qua Geschlecht – ins „Visier der Fackel“. Anhand etlicher Zitate zeigt Goltschnigg, zu welch perfiden stilistischen Mitteln der misogyne Journalist Karl Kraus – denn was war die Fackel anderes als ein aufs Feuilleton reduziertes Journal? – griff, wenn es darum ging, schreibende oder sich anderweitig emanzipierende Frauen sexistisch zu schmähen. Dennoch urteilt auch Goltschnigg Suttners Beiträge in der Neuen Freien Presse als „naiv-sentimentale, kitschige Trivialitäten“ ab. Ob Mitherausgeber Lughofer die Pazifistin auch gegen dieses Verdikt zu verteidigen gewusst hätte?

Ulrike Tanzer stellt ebenfalls misogyne Angriffe nebeneinander, denen zwei Autorinnen um 1900 ausgesetzt waren. Bei der einen handelt es sich – angesichts des ihr gewidmeten Sammelbandes wenig verwunderlich – wiederum um Suttner. Ihr stellt die Autorin die fast eine Generation ältere Marie von Ebner-Eschenbach zur Seite. Beide wurden in einem zeitgenössischen Text als „wahre Typen eines gottentfremdeten Culturweiberthums“ verunglimpft. Tanzer geht es aber weniger um gemeinsam durch Frauenfeinde erlittene Verbalinjurien, sondern um tatsächliche Gemeinsamkeiten beider Autorinnen. Hierzu nimmt sie das „persönliche Verhältnis“ der beiden miteinander nicht nur korrespondierenden Frauen und ihr jeweiliges „literarisch-gesellschaftliches Umfeld“ in Augenschein. Sowohl Suttner als auch Ebner-Eschenbach waren Mitglieder des Vereins der Schriftstellerinnen und Künstlerinnen in Wien. Interessanter aber ist das beiderseitige Engagement gegen den heraufziehenden Krieg. Denn auch Ebner-Eschenbach kann als Pazifistin gelten. Öffentlich als solche auftreten mochte sie allerdings nicht. Vielmehr wollte sie – wie sie Suttner schrieb – eine „stille Bekennerin“ bleiben, deren Engagement sich auf Geldspenden beschränkte. Wie Tanzer festhält, standen sich beide Frauen auch über das pazifistische Engagement hinaus „weltanschaulich […] durchaus nahe“, doch harmonierten ihre Empfindungen füreinander nur in Grenzen. So beschreibt Tanzer ihr Verhältnis als  „freundschaftlich-distanziert von Seiten Ebner-Eschenbachs, überschwänglich-fordernd von Seiten Suttners“. Wie die Autorin zitiert, notierte Ebner-Eschenbach in ihrer typisch aphoristischen Art denn auch einmal in ihrem Tagebuch, Suttner sei eine „Friedensfreundin, die einem keinen Frieden giebt“.

Laurie R. Cohen wiederum hebt einen oft vernachlässigten, aber nicht ganz unwichtigen Aspekt von Sutters Wirken hervor, indem sie thematisiert, dass die unermüdliche Streiterin für den Erhalt des Friedens zudem „grundlegend feministisch eingestellt“ war und zwar „in ihrem Denken ebenso wie in ihrem Handeln“. Als Beleg für ersteres verweist sie etwa auf Suttners Roman Das Maschinenzeitalter. Ein zweites einschlägiges Werk, den ebenfalls in der Zukunft angesiedelten Roman Der Menschheit Hochgedanken, zieht sie hingegen nicht heran. Dabei lässt gerade er die Grenzen des Suttnerschen Feminismus hervortreten. Dafür aber zeigt Cohen, dass die Autorin keineswegs dem Irrtum anhing, „dass die Friedensidee etwas spezifisch ‚Feminines‘ wäre“ und zitiert die feministische Pazifistin mit den Worten „der Feminismus ist ja auch nicht ‚feminin‘ – im Gegenteil: seine Gegner werfen ihm vor, unweiblich zu sein“.

Insgesamt gewähren die informativen Beiträge des vorliegenden Bandes manchen Blick auf bislang nur wenig oder gar unbekannte Aspekte von Suttners Wirken. Für diverse Fachbibliotheken – natürlich für germanistische, aber auch für kultur- und geschichtswissenschaftliche oder der Friedensforschung verpflichtete – lohnt sich deshalb seine Anschaffung.

Titelbild

Johann Georg Lughofer / Milan Tvrdik (Hg.): Suttner im KonText. Interdisziplinäre Beiträge zu Werk und Leben der Friedensnobelpreisträgerin.
Unter Mitarbeit von Konstantin Kountouroyanis.
Universitätsverlag Winter, Heidelberg 2017.
238 Seiten, 44,00 EUR.
ISBN-13: 9783825365523

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