Die Große Seelenwanderung
Nicolas Mahler zeichnet den „Ulysses“ neu
Von Stefan Höppner
Nicolas Mahler ist ein Meister der literarischen Comicadaptation. Seit er 2011 Thomas Bernhards Alte Meister ins Bild setzte, hat sich der Wiener Zeichner eine ganze Reihe von Texten der Hochliteratur vorgenommen und sein Vorgehen dabei immer weiter verfeinert. Am schönsten gelang ihm das bisher im Mann ohne Eigenschaften (2013), der Robert Musils tausendseitiges Meisterwerk auf eine Erzählung fast ohne Worte eindampfte. Mahlers Stil ist unverwechselbar: minimalistisch, mit wenigen dicken Linien und sparsamem Farbeinsatz.
Seine Figuren sind langnasige Strichmännchen ohne jede Mimik. Keine üppige, möglichst werkgetreue Wiedergabe der Vorlage, wie etwa in Stéphane Heuets monumentaler Umsetzung von Prousts Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, sondern Aneignungen mit deutlichen Änderungen in der Handlung, zugleich Hommage und voller Komik. Wer sich mit Mahlers Comicumsetzungen die Lektüre des Originals sparen will, sei es für die Schule oder fürs Literaturseminar an der Uni, ist verloren.
Nun also der Ulysses. Man fragt sich, wie das gehen soll, einen Roman im Comic nachzuerzählen, der nicht nur einen griechischen Mythos, sondern die ganze Welt seiner Zeit zusammenfassen will, und das in einem einzigen Tag, an einem einzigen Ort – dem 16. Juni 1904 in Dublin.
Nun, das geht – indem man den Roman radikal reduziert, etwa von 18 auf 7 Kapitel mit einem kurzen Prolog. Auf den knapp 300 Seiten hält Mahler an erstaunlich vielen Elementen aus Joyces Vorlage fest, vom Turm als Schauplatz der Eröffnungsszene bis zu Passagen, die beim Erscheinen des Ulysses skandalwürdig waren und etwa einen Gang auf die Toilette oder einen Akt der Selbstbefriedigung beschreiben. Auch der furiose Schlussmonolog der Molly Bloom, der Bewusstseinsstrom ohne Punkt und Komma, fehlt bei Mahler nicht.
Zugleich konzipierte Joyce seinen Roman als Porträt seiner Heimatstadt. Wie schafft es Mahler, Dublin im Bild festzuhalten? Gar nicht. Er versetzt seinen Ulysses kurzerhand nach Wien, bleibt aber beim 16. Juni 1904. Aus dem Anzeigenakquisiteur Leopold Bloom wird Leopold Wurmb, der denselben Beruf beim – realen – Wiener Neuigkeits-Welt-Blatt ausübt. Und so bekommt Mahler auch die Montagetechnik der Vorlage ins Bild: Nach dem ersten Drittel baut er immer wieder Schnippsel aus dem Neuigkeits-Welt-Blatt vom 16. Juni 1904 und anderen österreichischen Zeitungen vom selben Monat ein, so dass die Panels manchmal geradezu von einer Textflut überschwemmt werden.
Eine weitere eigene Note gewinnt Mahlers Ulysses dadurch, dass er verschiedene Gestalten des Romans als Comicfiguren der Jahrhundertwende auftreten lässt, sei es Richard Outcaults Yellow Kid, der traditionell als erste Comicfigur überhaupt gilt, sei es George Herrimans wunderbare Krazy Kat oder die Figuren aus E.C. Segars Evergreen Popeye. Wer den Ulysses kennt, vielleicht auch die Comicfiguren, kommt in diesem Buch auf seine Kosten, lautes Lachen eingeschlossen. Das aber ist ein Kritikpunkt an Mahlers Version, vielleicht der einzige: Wer mit Joyce und seinem Kosmos nicht wenigstens in groben Zügen vertraut ist, für den droht das Buch kryptisch und rätselhaft zu bleiben.
An einer Stelle reflektiert Nicolas Mahler sein Verfahren deutlich, und zwar mit Hilfe eines Dialogs zwischen Leopold und Molly Wurmb, der auch im Original vorkommt. Dort möchte Molly wissen, was das Wort ‚Metempsychose‘ bedeutet. „Das ist griechisch“, antwortet ihr Leopold Wurmb. „Bedeutet Transmigration der Seelen. […] Reinkarnation kann man auch dazu sagen. […] Dann geht’s als Schwein weiter. Oder als Baum. […] Oder als IRGENDWAS.“ Und das ist vielleicht das Schönste, was man über Mahlers Ulysses sagen kann: Er ist etwas, was bei Comic-Adaptionen selten genug vorkommt – eine große Seelenwanderung.
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