Kelten welken selten

Bernhard Maier begibt sich in einem übersichtlich gehaltenen Band auf die Spuren von „Geschichte, Kultur und Sprache“ der Kelten

Von Jörg FüllgrabeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jörg Füllgrabe

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Kelten, Kelten, Kelten – ein Wort respektive ein Ruf, der in der mediterranen Welt des vierten und dritten vorchristlichen Jahrhunderts Entsetzen, ja Panik ausgelöst hat. Dieser Begriff ist seit einigen Dekaden von nachgerade hypnotisierender Anziehungskraft für Neo-Pagane, Esoterisch-Ökologische sowie uneingestandene Freundinnen und Freunde des Romantischen. Und spätestens mit Halloween, der in der Tat Grauen erregenden Kommerzialisierung tatsächlicher wie vermeintlicher keltischer Religiosität, sind die Kelten mehr oder minder im Bewusstsein der Allgemeinheit angekommen.

In der Tat bieten sie sich als ‚Naturvolk‘, die ‚Verlierer der Geschichte‘ und was an weiteren Attributen passen mag, als Projektionsfläche für die an der Malaise der Gegenwart Leidenden an. So entsteht das vermeintliche Bild einer ökologisch wie gesellschaftlich gerechten Gemeinschaft, die zwar einerseits traditionell, andererseits jedoch auch weltoffen war, sensibel für die Position von Frauen wie vermutlich auch hinsichtlich der Frage nach Gendergerechtigkeit. Da die so in Dienst Genommenen sich allerdings nicht wehren können, entstehen seit Jahrzehnten nicht nur unzählige populäre Kelten-Publikationen, sondern auch Reenactment-Gruppen sowie zahlreiche Foren, in denen diese Fragen ausgebreitet und debattiert werden.

So gesehen ist es – auf den ersten Blick zumindest – positiv zu bewerten, dass ein im Taschenbuchformat gehaltenes Werk mit griffigem Titel hier Sachinformationen bietet, die so manches geradezurücken vermögen. Und da Bernhard Maiers Die Kelten aktuell in der zweiten Auflage erschienen sind (die erste stammt aus dem Jahr 2015), kann implizit von einer erfolgreichen Publikationsgeschichte ausgegangen werden.

Der zweite Blick evoziert indes ein anderes Ergebnis, wird doch trotz des überschaubaren Umfangs (zu) viel versprochen, wie ein Blick auf den Informationstext des äußeren Rückumschlag erweist. Dort heißt es:

Dieses Buch gibt eine prägnante, übersichtliche und gut verständliche Gesamtdarstellung des gegenwärtigen Stands der internationalen keltologischen Forschung mit ausführlichen Hinweisen auf weiterführende Literatur. […] Der Band richtet sich nicht nur an Keltologen, sondern auch an Studierende und Vertreter benachbarter Fächer wie etwa der Archäologie, Geschichte, Sprach-, Literatur- und Religionswissenschaft. Darüber hinaus bietet er allen Interessierten eine Fülle zum Teil nur schwer zugänglicher Informationen und vielfältige Anregungen zu einer vertieften Beschäftigung mit diesem Thema.

Nun ist der Markt der wissenschaftlichen Literatur ein umkämpfter, ein Markt, der entsprechend beworben werden will und eines verkaufsfördernden Inputs bedarf. Allerdings sollten diese sich in einem realistischen Rahmen halten, und diese Mahnung gilt bedauerlicherweise auch für die vorliegende Publikation. Bereits vorab ist zu konstatieren, dass selbstverständlich nicht allumfassende Informationen vorgelegt werden können, allein deshalb schon, weil der Umfang des Bandes eben bei knapp 250 Seiten liegt, und es ist mit Fug und Recht zu bezweifeln, dass auch mehr als 1000 Seiten dem hier formulierten Ziel gerecht werden könnten. Aber genau deshalb, weil das gar nicht geleistet werden kann, wirken Ausführungen wie die oben zitierten ärgerlich.

Dennoch wird auch der ‚fortgeschrittene‘ erste Blick zunächst gut bedient. Das Bändchen untergliedert sich einschließlich des bibliographischen Anhangs sowie des Registers in neun sinnvoll überschriebene Schwerpunkte beziehungsweise Sachbereiche. So weit, so gut – doch schon in der Einleitung werden Benutzerinnen und Benutzer über etwas stolpern, das eigentlich bereits in Proseminaren gebrandmarkt wird: Unter der Einleitung (Abschnitt 1) ist zwar „Geschichte und Stand der keltologischen Forschung“ mit einer Sub-Einteilung (Abschnitt 1.1) ausgeführt, ein Abschnitt 1.2 fehlt jedoch. Das wäre als Inkonsequenz vielleicht nicht weiter schlimm, da die Publikation aber unter der Flagge auch eines Studienhelfers segelt, ist das doch zumindest leidig. Es steht zu vermuten, dass hier die Zählung den folgenden Kapiteln angepasst wurde, wo sie, eben weil entsprechende Untereinheiten vorliegen, auch Sinn ergibt.

Im Einzelnen folgen die Großeinheiten „Archäologie“, „Geschichte“, „Sprachwissenschaft“, „Literaturwissenschaft“, „Theologie und Religionswissenschaft“ (wobei hier unter der Maßgabe, dass Theologie in diesem Zusammenhang auf christlich-kirchliche Aspekte verweist, die unpassende Reihenfolge gewählt wurde) sowie „Europäische Ethnologie“. Dass dieser Themenkatalog auf 250 Seiten nicht abgearbeitet werden kann, liegt auf der Hand, aber Enttäuschungen scheinen dennoch vorprogrammiert.

Dies gilt zunächst für den Bereich bibliographischer Dichte und Aktualität, zumal letztere allein schon aufgrund der unumgänglichen Verzögerungen zwischen Erstellen des Textes und Fertigstellung der Publikation mehr oder minder ‚veraltet‘ ist, aber es gibt durchaus geschicktere Ansätze, dieses Manko auszugleichen. Im vorliegenden Fall scheint eine nicht immer glückliche Vorauswahl getroffen, die für das Spektrum der Publikationen zur Keltologie und ihren Randbereichen zumindest manches Relevante auslässt. So finden sich zwar immerhin die Nachantike Keltenrezeption von Helmut Birkhan und auch der lesenswerte Band Kelten heute von Eva-Maria Winkler – allerdings nicht dort, wo die Angaben dem Aufbau des Bandes entsprechend zu erwarten wären, nämlich unter dem Abschnitt zur „Europäischen Ethnologie“, sondern sie sind den bibliographischen Angaben der „Einleitung“ angefügt. Dass ein Verweis auf Birkhans opulenten Band zur Geschichte der Kelten (Kelten: Versuch einer Gesamtdarstellung ihrer Kultur) fehlt, ist mehr als ärgerlich, und auch ein Hinweis auf das Artus-Lexikon von Rudolf Simek wäre, ergänzend zu den aufgelisteten englischsprachigen Artus-Lexika, nicht ungeschickt gewesen.

In diesen Kontext gehört auch die Frage, warum der „bibliographische Anhang“ nicht noch einmal die im Band angegebene Literatur alphabetisch ausweist. Stattdessen ist er recht schmal gehalten und bietet eine Auflistung „neuerer keltologischer Festschriften“ (die mit dem Jahr 1999 anhebt); eine zumindest explizite Erwähnung der entsprechenden Tagungen respektive der daraus resultierenden Tagungsbände etwa ist nicht zu finden. Die aufgelisteten analogen wie digitalen Publikationen zu digitalen Quellen, bibliographischen Zugangswegen sowie vornehmlich sprachwissenschaftlichen Aspekten der Keltologie entsprechen sicherlich am ehesten dem Anspruch, einen Leitfaden für Studierende vorzulegen. Das Personen- und Sachregister wiederum ist überschaubar, aber durchaus nutzungsorientiert.

Dementsprechend ist der Aufbau des Bandes zwar grundsätzlich stringent, doch eben nicht unbedingt ausgewogen. So werden sowohl zum Längs- als auch zum Querschnitt der keltischen Kultur selbstverständlich interessante Aspekte angeführt und Informationen geliefert, die hinreichend belegt sind, aber es tun sich auch mitunter befremdliche Überraschungen auf. Dass manches angesichts des Missverhältnisses von Vorhaben und Umfang mitunter (zu) kurz gehalten wird, ist nicht überraschend; unschön aber ist, dass dann an anderer Stelle eine zumindest hinterfragenswerte Ausführlichkeit an den Tag gelegt wird.

Und wirklich ärgerlich sind falsche Informationen. Dass etwa die Ausführungen zu dem Sensationsfund der 90er-Jahre, dem Glauberg-Komplex (immerhin im Register erfasst), an zwei Stellen (S. 25 und S. 40) gerade einmal drei Zeilen umfasst, die angeführte „Interpretation als Zentralheiligtum“ ohne Verweise auf zumindest die sogenannte ‚Prozessionsstraße‘ auskommt und der Aspekt ‚Fürstensitz‘ allenfalls aufscheint, mag ja noch akzeptabel sein. Dass die, wenngleich nur in einem Fall vollständig, ansonsten nur in Fragmenten erhaltenen, vier Stelen, deren Dimensionen von unterlebens- bis überlebensgroß reichen, auf „die Fragmente dreier lebensgroßer Sandsteinstelen“ reduziert werden, ist jedoch nicht nachvollziehbar. Und der knappe Hinweis auf entsprechende Objekte aus dem gallischen Bereich würde durch die Erweiterung der Beispiele an Dichte gewinnen. Dass etwa die entsprechenden Funde aus Heidelberg, Holzgerlingen und – deutlich früher anzusetzen – Hirschlanden unerwähnt blieben, macht das Ganze auch nicht besser.

Die demgegenüber im folgenden Abschnitt ausgeführte ‚breitere Aufstellung‘ der auch gegenwärtig mit Kelten in Verbindung gebrachten Regionen und Nationen wie Schottland, Wales, der Bretagne und selbstverständlich Irland geht durchaus in Ordnung. Voraus geht zudem ein knapper Abriss zur vorrömischen und römerzeitlichen Geschichte keltisch besiedelter Regionen. Ob hinsichtlich Nordirland nicht nur die grundsätzliche Konfliktsituation, sondern gleich auch noch die Diskussion der Binnenmarktprobleme zwischen Irland und Nordirland nach dem Brexit in diese Publikation gehören, wäre zu hinterfragen. Stringenter hingegen sind die Bereiche zur Sprach- und zu Literaturwissenschaft, auch wenn hier das Thema „Europäische Adaption keltischer Stoffe“ mit dem Artus-Motiv durchaus angemessen, hinsichtlich des, wie der Verfasser auch ausführt, imaginierten „Ossian“ indes eher unglücklich vertreten ist.

„Theologie und Religionswissenschaft“ sind sowohl in ihren paganen als auch christlichen Aspekten angemessen dargestellt. Hier irritiert allerdings der Blick auf „Neuheidentum und moderne Keltenideologie“. So wird die Wicca-Bewegung, die teils auf (vermeintlich) keltisches Erbe zurückgreift, nicht erwähnt und das „Neuheidentum“ mithin auf ‚Neodruidentum‘ reduziert. Und dass etliches an Platz der Organisation Ancient Order of Druids in America sowie deren Konkurrenz-Organisation Reformed Druids of North America, die sich auch auf zen-buddhistische, hinduistische und daoistische Traditionen bezieht, eingeräumt wird und dazu auch noch deren diverse Weihegrade aufgeführt werden, sorgt für manches Stirnrunzeln.

Überdies wird der Kreis der Leserinnen und Leser mit dem Umstand konfrontiert, dass letztere Vereinigung nach der Abspaltung der New Reformed Druids of North America und der Schismatic Druids of North America keine verbindlichen Beschlüsse mehr zu fassen in der Lage war, was nur noch fassungslos machen kann. Worin die in der Sub-Überschrift erwähnte „Keltenideologie“ besteht, wird übrigens auch nicht weiter ausgeführt. In vergleichbarer Weise wird auch das Feld der „Europäischen Ethnologie“ beackert, das sich mit dem eben diskutierten letzten Unterabschnitt zu Aspekten der Religion teils überschneidet. Immerhin wird in diesem Zusammenhang wenigstens auf die Asterix-Reihe verwiesen.

Aber auch diese Comic-Reihe, die vermutlich für viele die erste Begegnung mit Gallien und somit dem keltischen Phänomen darstellt(e), wird im Gegensatz zu den eben erwähnten Informationen zum Neo-Druidentum nur kurz abgehandelt. Und nicht nur die unterschiedliche Ausführlichkeit der textlichen Darstellung verwundert: Merkwürdig ist auch die Bebilderung, die im Vorwort sogar explizit im Sinne einer daraus resultierenden Verbesserung des Informationsgehaltes erwähnt wird.

Manches davon ist tatsächlich eine Ergänzung zum Fließtext, vieles allerdings definitiv nicht. So ist es zwar nett, eine zweisprachige Ortsnamenstafel (die selbstverständlich ein Stations- und kein „Ortsschild“ ist) des Bahnhofs Bridgend/Pen-y-Bont im Abschnitt zum Walisischen zu sehen. Aber da explizite Informationen beziehungsweise weitere Ausführungen fehlen, also im Grunde auch jede andere zweisprachige Abbildung des Schilds einer Bahnstation  (oder eines zweisprachigen Ortseingangsschilds) gepasst hätte, erhöht derlei lediglich den Druckaufwand. Ähnliches gilt für den markig dastehenden „modernen Druiden“ auf einem Grabhügel bei Stonehenge. Der (junge?) Mann könnte bis hin zu einem Jedi-Meister alles Mögliche darstellen wollen, und nur weil die Fotografie das Kapitel zum Neo-Heidentum illustriert, ergibt sich daraus nicht zwangsläufig ein Mehrwert an Information.

Festgehalten werden kann, dass das vorliegende Büchlein einen gewissen Reiz hat. Gerade im Bereich der Sprachwissenschaft, aber auch zur Literatur und Geschichte werden profunde Informationen vermittelt. Gleichwohl ist nicht zu verhehlen, dass die Publikation den vom Verlag (und vom Autor?) selbst gestellten Anforderungen nur bedingt gerecht wird. Dies ist umso bedauerlicher, als von Bernhard Maier eine ganze Reihe lesenswerter Publikationen zu haben sind, an denen gemessen Die Kelten deutlich schlechter performen. Wäre der Band etwa – vor allen Dingen ohne den Anspruch, (zukünftige) Studierende der Keltologie in das Fachgebiet einzuführen – unter dem Titel Die Kelten. Wissenswertes und Kurioses herausgegeben worden, wäre das dem hier vorliegenden Ergebnis gegenüber deutlich angemessener gewesen.

Und um auf grundlegende Informationen zu verweisen: Wer diese sucht, wird, auch wenn bereits einiges an Zeit ins Land gezogen ist, im deutschsprachigen Bereich nicht an Helmut Birkhans Kelten vorbeikommen, einem Band, der trotz seiner Opulenz den Untertitel Versuch einer Gesamtdarstellung ihrer Kultur trägt und damit eine Zurückhaltung zum Ausdruck bringt, die vorliegender Publikation zu wünschen wäre. Als knappes Fazit lässt sich konstatieren, dass das Buch zwar nicht halten kann, was die schicke Werbung verspricht, aber in Verbindung mit soliderer Literatur zumindest abwechslungsreich ist.

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

Titelbild

Bernhard Maier: Die Kelten. Geschichte, Kultur und Sprache.
2. überarbeitete und aktualisierte Auflage.
Narr Francke Attempto Verlag, Tübingen 2024.
248 Seiten, 28,00 EUR.
ISBN-13: 9783825263508

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