Eine maritime Tramperin mit Mission

Charlotte McConaghys starkes Debüt „Zugvögel“

Von Martin GaiserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Gaiser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Frauen, vor allem junge Frauen, sind derzeit die Heldinnen in Sachen Klimaschutzaktivismus. Allen voran Greta Thunberg, die seit Jahren das Gesicht dieser internationalen Bewegung ist. Hierzulande ist es vor allem Luisa Neubauer, die mit großem Engagement und klarer Haltung für dieses so wichtige Thema streitet. Auf literarischem Gebiet tritt nun Charlotte McConaghy (Jahrgang 1988) mit einem sehr gut lesbaren und unterhaltsamen, dabei in der Botschaft ebenfalls sehr klaren Roman an: Zugvögel lautet der Titel ihres Debüts. Und mit Franny Lynch hat sie eine bemerkenswerte Protagonistin erschaffen, eine von unbändigem Freiheitswillen und wildem Charakter geprägte Frau, die voller Liebe für die Natur, aber nicht nur, ein waghalsiges Abenteuer beginnt.

In Tasiilaq auf Grönland stattet sie drei Küstenseeschwalben, es sind beinahe die letzten ihrer Art, mit Peilsendern aus. Ihr Plan ist, diese auf ihrem Flug von der Arktis in die Antarktis zu begleiten, ihnen zu folgen, ihre Route zu bestimmen. Und sie hat die Hoffnung, dass die ausdauernden Vögel dort ankommen werden, um sich zu vermehren.

Charlotte McConaghy hat einen dystopischen, beinahe apokalyptischen Roman geschrieben, der mit den Sätzen „Die Tiere sterben. Bald sind wir hier ganz allein.“ beginnt. Franny Lynch hat kein Team, wenig Ausrüstung, dafür jedoch sehr viel Willen und erstaunlich viel Kraft. Diese setzt sie ein, um ein Schiff zu finden, das sie mitnimmt, man könnte sie als maritime Tramperin, als ornithologische Anhalterin bezeichnen. Wobei: das mit der Ornithologin stimmt nur zum Teil, Franny hat nicht im akademischen Sinne studiert, sondern ihren Mann, den Ornithologen Professor Niall Lynch, der an der National University of Ireland in Galway lehrt, ebendort in ihrer Eigenschaft als Putzfrau kennengelernt.

Aber zurück nach Grönland, wo Franny auf haarsträubende und hochkomische Weise Ennis Malone begegnet, Kapitän der Saghani, eines Fischfangschiffes, das in Kürze wieder auslaufen wird. Durch ihre unnachgiebige Art, nicht zuletzt aufgrund ihrer überzeugenden Argumente – die Vögel werden auf ihrem Flug und ihrer Futtersuche dermaßen viele Fischschwärme aufspüren, dass sich damit die wirtschaftliche Situation der Crew erheblich verbessern wird – schafft sie es tatsächlich, Crewmitglied auf der Saghani zu werden.

Mühelos gelingt es der Autorin, ihrer Geschichte die Intensität eines Seefahrerromans zu verleihen, geschult an den großen Vorbildern. Sie zeigt die Dynamik der Crewmitglieder untereinander, die unerbittliche See, das harte Handwerk an Deck, die undurchdringliche Miene des Kapitäns, dessen Pläne und Gedanken keiner kennt.

Doch McConaghy bleibt nicht auf dieser Ebene, sie geht zurück in Frannys Biografie, schreibt über ihre verworrene Familiengeschichte, über die Begegnung mit ihrem späteren Mann Niall, über eine sehr dunkle Phase in ihrem Leben und immer wieder über einzelne Exkursionen, die von ihrer Liebe zu den Vögeln bestimmt werden. So ist sie unter anderem in Norwegen, im Yellowstone Nationalpark und in den schottischen Cairngorms. Es wird immer deutlicher, dass Franny auf der Flucht ist, sowohl vor den Behörden als auch vor sich selbst und ihrer Vergangenheit. Weit weniger auf Spannung und Auflösung hin geschrieben als beispielsweise Delia Owens Erfolgsroman Der Gesang der Flusskrebse, findet sich auch in Zugvögel ein Handlungsstrang, der mit Gewalt, Verbrechen und Strafe zu tun hat, doch Charlotte McConaghy vermeidet die zu klare Hinwendung zum Spannungsroman, tariert sensibel und umsichtig ihre unterschiedlichen Erzählmotive aus.

„Vergiss die Sicherheit. Lebe, wo du zu leben fürchtest.“ Dieses dem Roman vorangestellte Zitat des Sufi-Mystikers Rumi passt sehr gut zu Franny Lynch, einer Romanfigur, die man so schnell nicht vergisst. Mag sein, dass Charlotte McConaghy ihre Heldin in all ihrer Widersprüchlichkeit und Zerrissenheit darstellen wollte, doch wenn es eine Schwachstelle an Zugvögel gibt, dann die manchmal beinahe kitschigen Beschreibungen von Gefühlen und schmerzhaften Erinnerungen. Insgesamt aber hat sie einen handwerklich gut gearbeiteten und sehr unterhaltsamen Roman mit Botschaft geschrieben, der das Potenzial zum Bestseller und zur Filmvorlage hat.

Titelbild

Charlotte McConaghy: Zugvögel. Roman.
Aus dem Englischen von Tanja Handels.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2020.
400 Seiten , 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783103974706

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