Zwischen Hörsaal, Atelier und Uckermark

Miku Sophie Kühmels Debütroman „Kintsugi“ über das Zerbrechen von Teetassen und Liebe

Von Bernhard WalcherRSS-Newsfeed neuer Artikel von Bernhard Walcher

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wie ein Netz von Bruchlinien eine wieder zusammengesetzte Teetasse überzieht, so durchzieht Miku Sophie Kühmels Debütroman, der jüngst mit dem Aspekte-Literaturpreis ausgezeichnet worden ist und auf der Shortlist des deutschen Buchpreises stand, eine Symbolstruktur, die sich aus japanischen, im Anhang erklärten Begriffen zusammensetzt. Der Titel des Romans, Kintsugi, bezeichnet das japanische Kunsthandwerk, zerbrochenes Porzellan durch Gold zu kitten. Nach der Reparatur, so könnte man meinen, ist das zerbrochene Objekt durch seine Goldüberzüge wertvoller. In Wirklichkeit aber treten die Bruchlinien damit aber umso deutlicher hervor und gemahnen zudem daran, dass ein vergangener Zustand durch etwas Neues ersetzt worden ist, was nur noch wie das Alte aussieht.

Um dieses Motiv des Zerbrechens, das Kühmel auf die im Mittelpunkt des Romans stehenden Beziehungen, Gefühlswelten und Lebenseinstellungen überträgt, organisiert die Autorin ihre vier Erzähler. Der junge Archäologieprofessor Max, sein bisweilen schriller und exzentrischer Lebenspartner und angesagte Künstler Reik, dessen erster und Ex-Freund Tonio sowie dessen Tochter Pega kommen dabei als Ich-Erzähler nacheinander und gleichberechtigt zu Wort. Sie alle blicken zurück, kommentieren aber vor allem ihre Sicht und ihren Erlebnishorizont eines Wochenendes im Ferienhaus von Max und Reik in der Uckermark, an dem die beiden sich nach 20 Jahren Beziehung trennen. Daneben geht man in unterschiedlichen Konstellationen spazieren, isst gemeinsam und macht sich gegenseitig immer wieder etwas vor, was die tatsächlichen eigenen Gefühle anbelangt. Das machen besonders die zwischen die einzelnen Ich-Erzählungen eingeschalteten kurzen Abschnitte deutlich, die im dramatischen Modus gehalten sind und die Figuren am Küchentisch wie Protagonisten eines Stückes sprechen lassen. Was auf den ersten Blick etwas irritiert, ist hinsichtlich der künstlerischen Anlage des Romans durchaus klug konzipiert: Neben die ja nur aus ihrer Sicht berichtenden vier Personen, die von keiner übergeordneten Erzählinstanz kommentiert oder charakterisiert werden, öffnen diese dramatischen Einlagen den Blick auf die Protagonisten, deren Paarverhalten, Liebes- und Freundschaftsbegriffen etwas Inszeniertes anhaftet, wovon sie selbst in ihren erzählenden Passagen aber gar keine Kenntnis nehmen.

Kühmel gelingt es überzeugend, den vier Figuren unterschiedliche Stimm- und Tonlagen zu verleihen, hinter denen sich die unterschiedlichen Persönlichkeiten abzeichnen und klar erkennbar werden. Interessanterweise schreibt die 1992 in Gotha geborene Kühmel ja nicht über ihre eigene Generation, sondern über die Gegenwart von Enddreißigern, die sonst eher die Roman- und Erzähllandschaften von Judith Hermann oder Juli Zeh bevölkern. Bisweilen fühlt man sich tatsächlich auch erinnert an Judith Hermanns Erzählungen Sommerhaus später (1998), was vor allem an der Stimmung und an einem – sachlich nur schwer zu beschreibenden – ganz eigenen ‚Sound‘ von Kühmels Roman liegt. Denn sprachlich, stilistisch und von seiner Konstruktion her ist der Text regelrecht programmatisch unambitioniert, so wie auch die Verwerfungen, Missverständnisse und Verletzungen in den geschilderten Paar- und Freundschaftsbeziehungen vollkommen unaufgeregt und ohne psychologisierende Sektionen erzählt werden. Gleichwohl bleiben dem Leser die in den Wahrnehmungen und Reflexionen der Protagonisten aufscheinenden inneren Kerker und aufzehrenden Kindheitserlebnisse, die emotionalen Verunsicherungen und quälenden Abhängigkeiten nicht verborgen.

Es ist nicht der geringste Vorzug dieses Debütromans, die heutige Enddreißiger-Generation in ihrem Unbehagen an der eigenen Gegenwart zu porträtieren und dabei ohne satirisch-parodistische oder wertende Untertöne auszukommen, sondern vielmehr den Motiven für dieses Unbehagen literarisch nachzuspüren. Denn die Lebensweise vor allem von Max und Reik, ihre teils problematischen Herkunftsmilieus scheinen in ihrer Symptomatik die Lebenswelt und -wirklichkeit eines städtisch geprägten, links-liberalen neuen ‚Bildungsbürgertums‘ widerzuspiegeln. Problematisch wird es für die beiden dann, wenn sich in der scheinbar perfekten Welt zwischen Universität, Atelier und dem obligatorischen Ferienhaus in der Uckermark ein älteres Ich und Bewusstsein zu Wort meldet und die unterdrückte oder nicht eingestandene, zumindest nicht in den Lebensentwurf passende innere Leere in Erinnerung ruft. Glücklicherweise stellt Kühmel aber keine mathematischen Gleichungen auf, in denen beruflicher Erfolg, ökonomische Sicherheit und eine gelingende Beziehung in der Summe jene Leere und Verunsicherung ergeben, unter denen Max und Reik leiden. Nachdenklich machen die Figuren aber allemal, gerade weil sie doch zu ahnen scheinen, dass sie sich in einer selbstgefälligen und selbstgerechten Bequemlichkeit und Privilegiertheit samt ihren Rams-Regalen eingerichtet haben und verzweifelt auf der Suche sind nach dem Goldkitt, mit dem sich ihre zerbrochenen Innenwelten reparieren lassen.

Titelbild

Miku Sophie Kühmel: Kintsugi. Roman.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2019.
304 Seiten, 21,00 EUR.
ISBN-13: 9783103974591

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