Mit Gott in den Krieg – mit Luther zum Sieg?

Der deutsche Protestantismus im Ersten Weltkrieg – und nach seinem Ende im November 1918

Von Sebastian KranichRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sebastian Kranich

Vorbemerkung der Redaktion: Der Beitrag entspricht einem Vortrag, den Sebastian Kranich, Direktor der Evangelischen Akademie Thüringen, am 17. November 2018 bei einer Tagung der Akademie über „Schriftsteller und der Erste Weltkrieg“ gehalten hat. Vorlage ist die Erstveröffentlichung unter dem Titel „Mit Gott in den Krieg – mit Luther zum Sieg? Der Protestantismus zwischen Augustbegeisterung 1914 und Reformationsjubiläum 1917“ in: Herbergen der Christenheit. Jahrbuch für deutsche Kirchengeschichte Bd. 36/37 (2012/2013), Leipzig 2015, S. 159-179. Wir danken der Evangelischen Verlagsanstalt für die Genehmigung zur erneuten Publikation in literaturkritik.de.

Auf dem Schlossplatz in Berlin spielte sich am 1. August 1914 nach dem Bericht des Berliner Lokal-Anzeigers folgende Szenerie ab: „Die ungeheuren Menschenmassen […] machten ihrem bewegten Herzen zunächst durch das Absingen des Liedes ‚Ein feste Burg ist unser Gott‘ Luft. Dann wurden Rufe nach dem Kaiser laut.“[1]

Dieser trat daraufhin mit der Kaiserin auf den Balkon, dankte für „Liebe“ und „Treue“ der Versammelten und sagte: „In dem jetzt bevorstehenden Kampf kenne ich in meinem Volke keine Parteien mehr. Es gibt unter uns nur noch Deutsche […]. Es handelt sich jetzt nur darum, daß alle wie Brüder zusammenstehen, und dann wird dem deutschen Schwert Gott zum Siege verhelfen.“[2]

In dieser Schilderung vom Tage des Befehls der Mobilmachung 1914 sind zwei Dinge verknüpft: Der Gesang von Luthers Glaubenslied ‚Ein feste Burg‘ – im Text angelehnt an Psalm 46 – und die Verkündung des politischen ‚Burgfriedens‘. Im Jahr darauf beschrieb der Theologe Ernst Troeltsch jenes Zusammenstehen in Gott unter Zurückstellung innerer politischer Differenzen zu Kriegsbeginn so: „Unter diesem ungeheuren Druck schmolz das deutsche Leben zu jener unbeschreiblichen Einheit des Opfers, der Brüderlichkeit, des Glaubens und der Siegesgewißheit […] zusammen, die das gewaltige Erlebnis jenes unvergeßlichen August war und es noch bis heute ist.“[3] Der schweizerische Theologe Karl Barth hatte zu Kriegsbeginn etwas Ähnliches beobachtet. Er bewertete es hingegen gegensätzlich. In Deutschland, so Barth in einem Brief, seien „Vaterlandsliebe, Kriegslust und christlicher Glaube in ein hoffnungsloses Durcheinander“[4] geraten.

Doch halten diese beiden, klar wertenden Schilderungen jeweils einer historischen Prüfung stand? Bis heute sind die bekannten Bilder der Kriegsbegeisterung vom August 1914 wirkmächtig. Und es ist unbestreitbar: Wohlhabende Bürger und Studenten versammelten sich zu spontanen patriotischen Kundgebungen. Studenten meldeten sich in Scharen freiwillig zum Heeresdienst. Die Sozialdemokraten bewilligten Kriegskredite und selbst in Berliner Hinterhöfen hing die Nationalflagge. Die Deutschen verabschiedeten ihre Soldaten in einem Blumenmeer und schenkten ihnen so viel Schokolade, dass das Rote Kreuz um die Gesundheit der Männer fürchtete. Diese zogen mit dem alten Wahlspruch des preußischen Königshauses ‚Gott mit uns‘ auf den Koppelschlössern in den Krieg. Der Berliner Generealsuperintendent Friedrich Lahusen schrieb knapp an seinen Sohn: „Wenn Russland Gott ruft, so ist das Gotteslästerung. Wir können es tun.“[5]

Auch Martin Luther war auf dem Weg an die Front mit dabei. Sprüche mit Anspielungen auf den ‚Lutherchoral‘ an Eisenbahnwaggons von Truppentransportzügen legen eine Zustimmung zu Karl Barths Urteil vom ‚hoffnungslosen Durcheinander‘ aus ‚Vaterlandsliebe, Kriegslust und christlichem Glauben‘ nahe. An einem Waggon stand 1914 zu lesen: „Des Deutschen Gebet: Ein‘ feste Burg ist unser Gott. Des Franzosen Gebet: Mit unsrer Macht ist nichts getan.“[6] Ein anderer trug die Aufschrift: „Und wenn die Welt voll Russen wär‘. Voll Serben und Franzosen, Wir fürchten uns doch nicht so sehr. Wir zieh’n ihnen stramm die Hosen.“[7]

Aufs Ganze gesehen sind Lust und Begeisterung allerdings nicht so einhellig gewesen, wie es die deutsche Kriegspropaganda glauben machen wollte.[8] Zur Realität des Kriegsbeginns gehörten auch große Antikriegsdemonstrationen sozialdemokratischer Arbeiter sowie panische Massenaufläufe vor Lebensmittelgeschäften und Banken in den Grenzgebieten. Der Leipziger Pfarrer Georg Liebster sprach wenige Tage nach der Mobilmachung in einer Predigt – für die Lage durchaus nicht untypisch – von „trübster Stimmung“[9] bei vielen und konstatierte: „Die Abschiede von den Männern und Söhnen haben manchen tief erschüttert“[10]. In seiner Predigt am Tage der Mobilmachung heißt es zuvor:

Nun, wie steht es um den Krieg in euren Herzen, ihr Eltern von Söhnen, die in den Krieg ziehen? Hier rede ich als einer, der aus eigner Erfahrung spricht. Es ist einem wie ein Traum. 20 Jahre oder länger hat man sie aufwachsen sehn. Man hat sie großgezogen und nun muß man sie hergeben, daß sie vielleicht auf fremder Erde ihren Tod finden. Vor allem den Müttern ist ein hartes Los beschieden. Ihr denkt wohl zurück an die bangen Stunden, als ihr unter Gefahr des eignen Lebens dem Kinde das Leben gegeben. Und sieh was ihr einst zur Welt brachtet, das ist groß und schön geworden, vielleicht auch brav und gut. Und jetzt wird durch ein hartes Geschick dieser Teil eures eignen Ich aufs Spiel gesetzt. Man kann sich das gar nicht ausdenken.[11]

Erst mit den ersten deutschen Siegen in Belgien entluden sich dann Anspannung, Unsicherheit und Ängste in einem doppeldeutigen Gemeinschaftsgefühl. Zwei Wochen nach Kriegsbeginn notierte Liebster in einem Vorstandsrundschreiben der Sächsischen Evangelisch-Sozialen Vereinigung: „Die Menschen verstehen es nicht, daß wir nicht in den Ruf: ‚Mit Gott für König und Vaterland‘ einstimmen. Sogar die Mahnung zur Milde und Menschlichkeit wird einem beinahe übelgenommen. Jedes Verständnis für Jesus, für Demut, Feindesliebe ist im religiösen Kriegsfuror erloschen.“[12]

Andererseits konnte jenes Gemeinschaftsgefühl auch den Gegner umfassen und umgreifen. Als die ersten französischen Kriegsgefangenen ankamen, drängten tausende Frauen auf die Bahnhöfe, um sie mit Blumen und ‚Liebesgaben‘ zu empfangen. Ganz zu schweigen von den Verbrüderungsszenen an der Westfront zwischen Deutschen und Franzosen zu Weihnachten 1914.

Entscheidender und konstanter als die wechselnden Gefühlslagen scheint jedoch die recht stabile und lagerübergreifende Überzeugung zu sein, dass jener Krieg ein aufgezwungener Verteidigungskrieg sei. „Reinen Gewissens über den Ursprung des Krieges, bin ich der Gerechtigkeit unserer Sache vor Gott gewiß“[13], so hieß es im kaiserlichen Erlass, der zu Kriegsbeginn von den Kanzeln verlesen wurde. Die gleichen Töne schlug der von 93 Gelehrten unterzeichnete ‚Aufruf an die Kulturwelt‘ an. Dieser Aufruf markierte den Auftakt zum Kultur- und Geisteskrieg zwischen den Intellektuellen der kriegsführenden Nationen. Bereits im ersten Satz ist von „Deutschlands reine[r] Sache in dem ihm aufgezwungenen schweren Daseinskampfe“[14] die Rede. Und der Appell endet mit den Worten: „Glaubt, daß wir diesen Kampf zu Ende kämpfen werden als ein Kulturvolk, dem das Vermächtnis eines Goethe, eines Beethoven, eines Kant ebenso heilig ist wie sein Herd und seine Scholle“[15]

Die im Aufruf geschilderte Langmut des deutschen Kaisers, der erst zu den Waffen gerufen habe, als Deutschland von einer Übermacht angegriffen worden sei, findet ihre Parallele in verschiedenen Gedichten, die den Choral ‚Ein feste Burg ist unser Gott‘ zur Grundlage haben. In einem heißt es: „Lang auf der Wartburg der Geduld, saß deutsche Kraft in ernstem Sinnen“[16]. In einem anderen: „Der Türmer stieß ins Heerrufhorn: wacht auf, ihr alten Recken! Und Luther sprang schnell auf im Zorn: ich will den Trutzgeist wecken.“[17]

Die Überzeugung vom gerechten Verteidigungskrieg teilten zu Kriegsbeginn die allermeisten Pfarrer und Theologen. Insofern ist Karl Barths Vorwurf einer „uniforme[n] Kriegstheologie“[18] in Deutschland verständlich. Wenngleich sich Engländer und Franzosen gleichfalls in einem gerechten Verteidigungskrieg wähnten. Das soll nicht verschwiegen werden. Noch 1925 stellte der schlesische Generalsuperintendent Martin Schian fest: „Als der Krieg ausbrach, waren die evangelischen Kirchen Deutschlands mit dem gesamten Volk einschließlich seiner Sozialdemokratie felsenfest davon überzeugt, daß es ein von Deutschland nicht gewollter, von seinen Feinden aufgezwungener Verteidigungskrieg war.“[19]

Mit all dem ist aber noch nicht gesagt, wie das Kriegsgeschehen theologisch zur verarbeiten und zu deuten war, auf welche Weise man damit religiös umgehen konnte, und auch nicht, wie man theologisch prinzipiell zum Krieg stand. Recht bald zeigte sich, dass eine Vermischung „aus Bethlehem und Potsdam“, die Vermengung von preußischem Militarismus und dem Kind in der Krippe, wie sie Friedrich Naumann an den Predigten der ersten Kriegszeit kritisierte[20], weder vollständig noch dauerhaft gelingen konnte. Schon vor dem Krieg hatte es unterschiedliche Positionen zu Frieden und Krieg gegeben. Immerhin 395 Theologen hatten 1913 einen Aufruf ‚Für den Völkerfrieden‘ unterzeichnet. Der Verfasser des Aufrufs, Walter Nithack-Stahn, hielt unermüdlich Vorträge. Wenige Tage nach Einweihung des Völkerschlachtdenkmals sprach der Berliner Pfarrer auch im Saal der Alten Handelsbörse in Leipzig. Hier bezeichnete er den Krieg als „Barbarei“ und wünschte, das neue Denkmal möge „das Grabmal des Dämons des Krieges“[21] werden. Und als bei Kriegsbeginn auf Anordnung um den Sieg der deutschen Waffen gebetet wurde, weigerte sich Liebster, bei diesem „Schlag gegen die Jesusreligion“[22] mitzutun. Am Tag der Mobilmachung erklärte er offen im Gottesdienst: „Ich bin auch nicht dafür Gott anzuflehn um Sieg für unsere Waffen. Das kann ich einfach nicht, denn die Gegner unseres Volkes sind auch Gottes Kinder, und ich kann Gott nicht bitten, daß er uns helfe, die andern totzuschlagen.“[23]

Solche Selbstbehauptungen fanden freilich wenig Beifall. Ernst Troeltsch, der das Augusterlebnis unvergesslich genannt hatte, stellte allerdings bereits im Juni 1915 ebenfalls ein Versagen der Kirchen fest: Im Widerspruch zu „Realpolitikern und Kriegsphilosophen“, so Troeltsch, „hätten sie sagen müssen, dass aus der Welt des Glaubens in die irdische Welt eine Kraft der Versöhnung fließt.“[24]

Nach der religiösen und theologischen Seite hin gab es also schon früh auch Stimmen, die eine einseitige Beanspruchung Gottes für die eigene Sache bestritten. Der universale Zug im Christentum und seine aus dem Geist der Bergpredigt gespeiste Ethik widerstreben eben der völligen Verschmelzung irdischer Reiche mit dem Reiche Gottes. Darüber kann auch die in populären Texten gebetsmühlenartige wiederholte Inanspruchnahme der Zeile „Das Reich muss uns doch bleiben“ für das deutsche Kaiserreich nicht hinwegtäuschen. Nur ein Beispiel für eine solche Überblendung, in dem eine besonders verlogene Propaganda greifbar wird: „Das Lutherlied. Zum Reformationsfest“ von 1914, Strophe 4:

Und mancher sank ins grüne Gras
Und starb den Tod des Helden.
Und als sein Weib die Brieflein las,
die ihr den Tod vermelden,
die Heldin begann:
nehmen sie den Mann,
töten sie den Sohn,
es winkt doch Gottes Lohn:
das Reich muss uns doch bleiben.[25]

Auch die theologischen Volten des Feldpredigers und späteren Lutherforschers Paul Althaus zeigen die Grenzen jener partikularen Inanspruchnahme: Althaus erfand einen „Gott der feldgrauen Männer“[26], den er als ‚Machtgott‘ konzipierte, der die Hingabe an seinen Kriegswillen fordert.[27] Mag ein solcher situativer Zugriff unter Abblendung wesentlicher Teile der biblischen Überlieferung noch funktionieren, so wird die Interpretation von Jesus dann schon sehr eigentümlich. Denn Jesus habe, so Althaus, ebenso den „Willen zur Macht“[28]. Nur sei sein Machtmittel, seine „Kriegswaffe“ ein anderes – nämlich die „bezwingende Liebe“[29].

Derartige Interpretationen sind natürlich nicht nur als theologisch, sondern auch als politisch zu verstehen: Althaus war als Feldprediger wie als Theologe zugleich ein Vordenker der deutsch-völkischen Bewegung. Damit stand er nicht allein. Der Theologe und Politiker Gottfried Traub dachte sogar völkisch bis zur Häresie. Für ihn entsprang aus dem Tod des Soldaten die Neugeburt des Volkes, in dessen Fortdauer es ewiges Leben gäbe. Nächstenliebe müsse nach Traub auf die Angehörigen des eigenen Volkes beschränkt werden.[30]

Politisch gehörten Althaus wie Traub – und auch der Kopf der Lutherrenaissance Karl Holl – zum Lager der Annexionisten, das sich unter Führung des Berliner Theologen Reinhold Seeberg sammelte. Diesem Lager stand ein zweites protestantisches Lager gegenüber, in dem die Befürworter einer gemäßigten Kriegszielpolitik und demokratischer wie sozialer Reformen zusammenfanden.

Der Annexionist Seeberg kooperierte eng mit den Verbänden der deutschen Schwerindustrie. International bekannt machte ihn die im Streit um die Kriegsziele 1915 von 1347 Repräsentanten des öffentlichen Lebens unterzeichnete ‚Seeberg-Adresse‘ für eine aggressivere Kriegszielpolitik. Theologisch vertrat Seeberg eine völkisch zugspitzte Sozialethik. Aus einer lutherisch begründeten, angeblichen kulturellen Überlegenheit des Deutschtums leitete er das Recht und die Pflicht geistiger wie territorialer Expansion ab. Siegfrieden und unbeschränkter U-Boot-Krieg lauteten die Parolen in Seebergs Lager.

Die sozialliberalen Protestanten um Ernst Troeltsch, Martin Rade und Adolf von Harnack waren dagegen bereits 1915 für eine gemäßigte Kriegszielpolitik eingetreten. Zugleich konzentrierte man sich hier, je länger je mehr, auf die Notwendigkeit innerer und demokratischer Reformen. Ein Schlaglicht auf diese neue Konzentration wirft der bissige Kommentar des Soziologen Max Weber „An der Schwelle des dritten Kriegsjahrs“: „Ja, wofür sterben heute unsere Leute im Felde? ‚Geistreiche‘ Personen haben sich zusammengetan und die ‚Ideen von 1914‘ erfunden. Aber niemand weiß, welches der Inhalt dieser ‚Ideen‘ war.“[31] Doch, so Weber: „Entscheidend werden die Ideen von 1917 sein, wenn der Frieden kommt“[32].

In diesem Sinne drängte der von Kaiser Wilhelm II. hochgeschätzte Harnack in zwei Denkschriften an den Reichskanzler auf Reformen. Er verlangte eine Wahlrechtsänderung, volle Religionsfreiheit, das Koalitionsrecht für Gewerkschaften und eine Ergänzung der deutschen Politik und Kultur mit westeuropäischen Ideen. Nur auf diese Weise, so Harnack, könne das deutsche Volk zu „dem in Gott gegründeten Idealismus“[33] durchdringen. Und Troeltsch forderte in seiner Kaisergeburtstagsrede 1916[34] Verantwortung für eine Nachkriegsordnung und suchte in der Geschichte nach Wertmaßstäben für die Zukunft. Ihm schwebte dabei eine ‚Kultursynthese des Europäismus‘ vor.

Bekanntlich kam der Frieden 1917 noch nicht. Vielmehr prallten die beiden protestantischen Lager im Jahr des Reformationsjubiläums hart aufeinander. Als der reformbereite Reichskanzler Theodor von Bethmann-Hollweg auf Betreiben der Obersten Heeresleitung am 13. Juli entlassen wurde, feierten das die Annexionisten als Sieg. Doch es war ein Scheinsieg. Vor allem wurde die Stimmung in der Bevölkerung zunehmend schlechter.

Dazu etwas am Beispiel des Reformationsjubiläums 1917 in Magdeburg. Der Magdeburger Pastor Heinrich Danneil berichtet über die Magdeburger Reformationsfeier und vergleicht die gegenwärtige Lage im Vergleich zum Kriegsbeginn: „Da standen nun alle zusammen, ob Katholik, ob Evangelisch. Zumal im Beginn des Krieges war diese Gemeinsamkeit des religiösen Fühlens machtvoll zum Ausdruck gekommen“[35]. Mittlerweile sei allerdings „katholisch Trumpf“[36]. „Mußten wir doch das Reformationsjubelfest feiern“, so Danneil weiter, „als eben ein bayrischer Katholik die Reichkanzlerschaft übernommen hatte.“[37] Tatsächlich kränkte es viele Protestanten sehr, dass mit dem Führer der Zentrumspartei Georg Hertling zeitgleich ein Katholik Reichskanzler wurde.

Auch der Ausfall der lang geplanten großen Jubiläumsfeier der Reformation in Wittenberg war für viele ein Affront. Danneil hält dazu fest, dass ja manche Gründe dafür vorgebracht worden seien. Es bestehe indes der Eindruck, „daß nicht Rücksichten auf Fleischversorgung und Bahnverkehr allein die Absage veranlaßten. [….] Die Pflicht des Burgfriedens wurde nur sehr einseitig angewendet. Rom heimste ein, und wir sollten nicht einmal die einheitliche Feier haben dürfen.“[38] Tatsächlich erfolgte die Absage der Wittenberger Feier „zugunsten eines stillen Gedenkens auf lokaler Ebene“ primär aus politischer Sorge der Reichsführung um den Burgfrieden zwischen Katholiken und Protestanten.[39]

Vor allem aber wird in diesen Beschreibungen des Magdeburger Pfarrers deutlich, wie sehr sich Lage und Stimmung seit 1914 geändert hatten. Die Gemeinsamkeit des Kriegsbeginns erscheint ferngerückt, der ‚Burgfrieden‘ bedroht. Konnte in einer Adaption von ‚Ein feste Burg‘ zum Reformationsfest 1914 Gott umstandslos „Siegesdank“[40] gesagt werden, so ging es 1917 nach den großen Materialschlachten des Vorjahres vor allem um das Zusammen- und das Durchhalten.

An der sogenannten ‚Heimatfront‘ brachte die Hungersnot des Steckrübenwinters 1916/1917 neue schwere Herausforderungen. Ein für Magdeburg interessantes Zeugnis hierzu ist ein Vortrag, den der Generalsuperintendent Max Stolte am 28. Januar 1917 anlässlich  der „Nachfeier von Kaisers Geburtstag“[41] gehalten hat. Er trägt den Titel: „Der Christ und der Wirtschaftskrieg.“[42] Untertitel: „Ein Wort zur Gewissensschärfung und Ermutigung für den Kampf hinter der Front“[43]. Nach Stolte wird der Krieg auch hier entschieden.

Für die Begründung des richtigen Handelns und Verhaltens im ‚Wirtschaftskrieg‘ an der Heimatfront zieht er Luthers Kleinen Katechismus heran. Luther sollte also auch hier siegen helfen. Stolte zitiert aus der Erklärung des 7. Gebots: „wir sollen Gott fürchten und lieben, daß wir unserm Nächsten helfen und fördern in allen Leibesnöten, und – daß wir ihm sein Gut und Nahrung helfen bessern und behüten.“[44] Und schließt daran an: „Wer mit dieser Liebespflicht Ernst macht, der muß jetzt den Kampf um die Ernährung unseres Volkes in ganzer Treue mitkämpfen.“[45]

Unter dieser Prämisse wirbt Stolte in einer Situation scharfer wechselseitiger Vorwürfe von Nahrungsproduzenten und -konsumenten um wechselseitiges Verständnis von Land- und Stadtbewohnern. Er geißelt Geschäfte mit Notlagen und findet es „doch recht beschämend, wenn immer erst ein Magdeburger Rennen oder Hagenbeck mit soundso viel Raubtieren kommen muß, um den Bürgern ihre Goldstücke aus der Tasche zu ziehen, und wenn man noch immer ‚Herren‘ und ‚Damen‘ mit goldenen Ketten oder Armbändern paradieren sieht, als wollten sie sich recht deutlich als Reichsfeinde kenntlich machen.“[46]

Als bezeichnendes Gegenstück dazu dient ihm eine Begebenheit, die sich vor kurzem im „Arbeiterviertel von St. Jakob“[47] ereignet habe: „Ein kleiner vierjähriger Junge trat mit seinem großen Vesperbrot aus dem Hausflur auf die Straße, mit Halloh von seinen Spielkameraden begrüßt, die ihn mit hungrigen Blicken umringten, und er — als ob sich das ganz von selbst verstünde — ließ lächelnd jeden einmal abbeißen.“[48]

Seinem zweiten Hauptgedanken legt Stolte Luthers Erklärung des 8. Gebots zugrunde. Man solle „den Nächsten entschuldigen, Gutes von ihm reden und alles zum Besten kehren.“[49] Davon ausgehend kritisiert er die verbreitete scharfe Kritik an der ‚Obrigkeit‘, die  „oft in einem Tone“ vorgebracht werde, „als sei sie und nicht England der Feind, der die ganze Nahrungsnot verursacht hat.“[50] Es sind besonders die Eindrücke aus dem Kriegsalltag und deren geistliche Verarbeitung, die Stoltes Vortrag interessant machen. Er vermittelt eine Ahnung davon, wie Stimmung und Lage am Anfang des Jahres 1917 beschaffen waren. Dass die Feier des Reformationsjubiläums in Magdeburg, ähnlich wie anderswo, bescheiden ausfiel, kann angesichts der Situation nicht wirklich überraschen.

Doch wer war dieser Luther eigentlich 1917 für die Zeitgenossen? Jede Epoche entwickelt und pflegt ihre Lutherbilder. 1917 standen Luther der Deutsche und Luther der Kämpfer Mittelpunkt. Beide Bilder haben ihre Vorgeschichte. Zum 400. Jahrestag des Wittenberger Thesenanschlags wurden sie aktualisiert, ausgemalt und zugespitzt. Mit Luther wollte man den Sieg erringen.

Im Gedicht ‚Luther‘ von Gustav Schüler erscheint der Reformator als Krieger. Die erste Strophe lautet:

Landsknecht Gottes tritt auf den Plan,
es ging Krieg und groß Hassen an
und Brand und Blut hoch rauchen.
Mit deiner grimmen Landsknechtfaust,
darein Gott und der Teufel haust,
müssen wir dich brauchen![51]

Luther als Landsknecht ist so wenig historisch wie Luther als Schmied im Gedicht von Joachim Ahlemann, hinter dem das Bild von Bismarck als Schmied des Reiches steht und in dem zugleich Elemente der Luthererinnerung anklingen: Der Hammer des Thesenanschlags, das Feuer bei der Verbrennung der Bannbulle, der eiserne, der ‚eherne‘ Luther des 19. Jahrhunderts.

Erste Zeile: „Zu Wittenberg ein Feuer glüht, Held Luther schwingt den Hammer.“[52] Hier spielt womöglich noch die Metapher vom ‚Eisenhammer‘ der Materialschlachten hinein.

Beginn von Strophe sechs: „Du stehst am Amboß, Lutherheld, umkeucht von Wutgebelfer, und wir, Alldeutschland, dir gesellt, sind deine Schmiedehelfer.“[53]

Schlussstrophe: „Wir schmieden, schmieden immerzu, wir hämmern und wir schweißen, Alldeutschland wir und Luther du, das deutsche Gold und Eisen. Und wenn die Welt in Schutt zerfällt, wird deutsche Schwertschrift schreiben: das Reich muß uns doch bleiben!“[54]

Der Schluss klingt uns nach der später gesungenen Zeile „Wir werden weiter marschieren. Wenn alles in Scherben fällt“[55] heute besonders grell in den Ohren. Aber auch in den etwas gemäßigteren akademischen Reden, die damals gehalten wurden, wird Luther als Heros stilisiert.

Eine Besonderheit der Reformationserinnerung 1917 scheint mir in der Gewichtung der reformatorische Urszene in Worms zu liegen: Luther vor dem Kaiser 1521. Der Thesenanschlag mit seinen Hammerschlägen tritt in Predigten und Reden dagegen etwas zurück. Offenbar bot der bedrohte und standhafte Luther in Worms noch bessere Anschlussmöglichkeiten für die beabsichtigte Mobilisierung der letzten Kräfte im Krieg. Mit Verweis auf Worms wird an die innere Haltung der Deutschen appelliert. Am Ende einer Greifswalder Universitätsrede heißt es: „Er stand zu Worms vor Kaiser und Reich in der entscheidenden Stunde seines Lebens. Was schiert mich Gefahr. Was schiert mich die gegnerische Masse! Ich kann nicht anders. Ich bin im Gewissen gebunden. […] Erst heute verstehen wir den tiefen gewaltigen Sinn, der in dieser alten Geschichte steckt. […] Der deutsche Luther das deutsche Gewissen!“[56]

Und ein Gedicht beschwört den einsamen Bekenner von Worms:

Er trotzte mächtigen Gewalten,
Er kämpfte gegen eine Welt,
Und dennoch hat er durchgehalten,
Als unbesiegter tapfrer Held.[57]

Das verbreitete Gefühl, in diesem Krieg allein zu stehen[58], zumal nach dem Kriegseintritt der USA, konterten Redner, Prediger und Dichter mit ‚Luthertrotz‘. Der Verbrenner der Bannbulle und Bekenner von Worms ist derjenige, welcher „trotzig die erste Macht der Welt herauszufordern wagte“[59]. Er ist „der eine deutsche Mann gegen eine Welt von Feinden“[60].

Der Erinnerungsort ‚Worms‘ ist indes nur eine besonders hervorstechende Ausprägung der Bezugnahmen von Luther bzw. der Reformation zur deutschen Nation. Eine zweite bezeichnende Bezugnahme wird auf einer Postkarte von 1917 anschaulich. Auf ihr reichen sich Bismarck, Luther und Hindenburg die Hände.

Alle drei sind mit einem Spruch markiert. Bismarck: „Du fügest zum Reich / Alles deutsche Land“. Luther: „Du schufst deutsche Sprache / Das einende Band“. Hindenburg: „Du schirmest das Werk / Mit gewaltiger Hand“.[61] Angesichts der Kriegslage wird schnell klar, wer der aktuell wichtigste in diesem Dreibund war.

Der Hauptverbindungspunkt zwischen Hindenburg und Luther scheint deren Frömmigkeit zu sein. Die ‚Wartburg‘ schrieb: „Ein Hindenburg ist ein Mann des Gottvertrauens und des Gebetes.“[62] Zudem wurden in einer Broschüre etwa „Hindenburgworte im Lutherton“ und „Lutherworte zu Hindenburggedanken“[63] nebeneinandergestellt.

Noch enger als an Hindenburg wurde Luther aber an Bismarck gekoppelt. In einer Universitätsrede ruft der Redner aus: „Kehre wieder, Luther! Wir brauchen Dich! Nicht Bismarck allein, Bismarck und Luther, Luther und Bismarck!“[64] Ein anderer Redner konstatierte: „Wir Deutschen sehen in Bismarck, wir evangelischen Deutschen in Luther nicht nur darum unsre Helden, weil sie Bein und von unsrem Bein sind, sondern wesentlich darum, weil wir Fleisch von ihrem Fleisch geworden sind.“[65]

Beim Philologen Gustav Roethe wachsen sich die Körpermetaphern für die Kombination von Abstammung und Nachwirkung sogar zum Vergleich körperlicher Eigenschaften aus. Roethe meint: Bismarcks Physiognomie ähnle derjenigen Luthers, der „in dem unscharfen, fast schwammigen Gesicht dämonische Löwenaugen trug“[66]. Zudem zeichne beide „die steife, wir würden heute sagen, militärische Haltung“[67] aus. Am letzten Tag des Jahres 1917 heißt es bei ihm programmatisch: „Luther gehört gleich Goethe und Bismarck zu den Schutzgeistern des deutschen Volkes, deren Bild nicht nachdrücklich genug beschworen werden kann, auf daß wir innere Genesung finden.“[68]

Jene ‚Beschwörungen‘ Luthers, Bismarcks und Hindenburgs – manchmal kommen noch kleinere ‚Schutzgeister‘ hinzu – hatte 1917 auch schon etwas Verzweifeltes. Denn wer, wie Roethe, ‚innere Genesung‘ wünscht, diagnostiziert zugleich Krankheit. Die bisweilen überlaut demonstrierte Siegesgewissheit sollte auch Zweifel übertönen. Doch waren die Erfahrungen mit Not, Sterben und Tod zu stark, als dass sie hätten unterdrückt werden können. Auch der Versuch der Sinngebung des Leidens mit religiösen Mitteln gelingt manchmal nur bedingt: vor allem dann, wenn sie eigentlich heroisch daherkommen soll.

In einem Gedicht von Walter Flex sitzen zwei verwundete, abgemagerte Soldaten im Lazarett in Eisenach. Der eine sieht das erleuchtete Wartburgkreuz und freut sich über einen Sieg. Der andere ist blind und spricht:

„Mein Herz ist voll, mein Auge leer –
klag‘ nicht um mich! Ich sehe mehr:

Schau auf Kam’rad! Mein Auge sieht
das steingeword’ne Lutherlied.

Die feste Burg steht hoch erbaut.
Vom Turm der Wächter niederschaut.

Der Wächter Martin Luther heißt.
In seiner Hand das Lichtkreuz gleißt.

Es ist das Kreuz, das er erhebt,
von toter Helden Glanz umschwebt.

Der Luther leuchtet ihnen vor
auf ihrem Weg zu Gott empor …“

Der Blinde schwieg, und jeder schwieg.
Das Kreuz rief über Deutschland: Sieg![69]

Eindrücklich ist die noch heute im Stadtraum sichtbare Kombination der Zeugnisse der Reformationsjubiläen 1883 und 1917 in Erfurt. Vor der Kaufmannskirche steht ein klassisches Lutherdenkmal, eingeweiht 1889. Auf der Vorderseite des Sockels trägt es den Bibelvers: ‚Ich werde nicht sterben, sondern leben und des Herrn Werk verkünden‘. Dahinter in der Kirchenmauer wurde ein Steinkreuz eingelassen. Darauf steht zu lesen: ‚Am 22. Oktober 1522 predigte in der Kaufmannskirche D. Luther vom Kreuz und Leiden eines rechten Christenmenschen -1917‘. Mit jener Predigt von Kreuz und Leiden lässt sich der Aufruf zur Nachfolge verbinden und Opferbereitschaft einfordern. So wie es der Evangelische Oberkirchenrat zum allgemeinen Kriegsbettag im März 1917 getan hat.[70]

Zu diesem Zeitpunkt hatte der proklamierte ‚Burgfrieden‘ angesichts der Hungersnot schon etliche Risse. Streiks in der Rüstungsindustrie ab April und Flottenunruhen zeigten bald darauf, wie fragil die innere Verfassung Deutschlands mittlerweile war. Auch die Ökumene der Anfangszeit war in der polarisierten Kriegsgesellschaft nur noch eine Erinnerung. Vielleicht auch bloß ein Wunschbild. In einer weiteren Rede wird geschildert, wie die „Feldgrauen“[71] mit der Bahn an die Westfront fuhren: „Und immer wenn sie an Eisenach vorbeikamen, dann brauste es angesichts der Wartburg aus tausenden von Kehlen ohne Überlegung, ohne Befehl wie mit unwiderstehlicher Naturgewalt: ‚Ein feste Burg ist unser Gott‘.“[72]

Doch handelte es sich bei dieser so konzipierten Ökumene eben um eine Ökumene unter protestantischen Vorzeichen – politisch wie konfessionell. Sehr deutlich wird das in Formulierungen des Kurators der Wittenberger Lutherhalle Julius Jordan zum Jubiläum. Zunächst wird Luther von Jordan als „geistiger Nährboden“[73] für die größten Deutschen – Friedrich der Große, Kant, Goethe, Bismarck – dargestellt. Dann heißt es:

[W]enn heute unsere Front in Not und Tod unerschüttert steht, wenn jeder Soldat, von unserem herrlichen Hindenburg bis zum schlichten Landwehrmann gleichsam das Lutherwort verkörpert: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mit. Amen!“, dann wird man wohl stolz sagen dürfen, dass sie alle, welcher Konfession sie auch sein mögen, mit einem Tropfen lutherischen Geistes gesalbt sind.[74]

Doch als der Krieg vorbei war, war es auch mit dem mühsam bewahrten Burgfrieden endgültig vorbei. Mit Gott war man 1914 in den Krieg gezogen. Mit Luthers Hilfe wollte man den Sieg erringen. 1918 musste der Evangelische Oberkirchenrat die Niederlage verkünden. Als Trost dienten nun Tod und Auferstehung Jesu. Das Kaiserreich war Geschichte. Jetzt ging es wieder um das Reich Gottes: „Er lebt und herrscht, er wird siegen. […] Das Reich muß uns doch bleiben“[75], heißt es in einem Aufruf vom November.

Die Reaktionen auf die Niederlage waren sehr unterschiedlich. Georg Liebster predigte: „Der stolze Bau des neuen deutschen Kaisertums ist zusammengebrochen wie ein Kartenhaus. Es ist nichts mehr davon vorhanden als die leeren Paläste, auf denen die rote Fahne weht.“[76] Und weiter: „Ebensowenig wie ich gleichgültig bleiben könnte, wenn sie mir meinen Vater verjagten kann ich mich freuen, daß sie den Kaiser und den König abgesetzt haben.“[77]

Ernst Troeltsch schildert den 10. November in Berlin jenseits aller revolutionären Stimmung und gänzlich ohne rote Fahnen so:

Die Bürger gingen in Massen wie gewöhnlich im Grunewald spazieren. Keine eleganten Toiletten, lauter Bürger, manche wohl absichtlich einfach angezogen. Alles etwas gedämpft wie Leute, deren Schicksal irgendwo weit in der Ferne entschieden wird, aber doch beruhigt und behaglich, daß es so gut abgegangen war. Trambahnen und Untergrundbahn gingen wie sonst, das Unterpfand dafür, daß für den unmittelbaren Lebensbedarf alles in Ordnung war. Auf allen Gesichtern stand geschrieben: Die Gehälter werden weiterbezahlt.[78]

Was blieb? Wie ging es weiter? Verhängnisvoll wirkte die Dolchstoßlegende, nach der das Heer im Felde unbesiegt geblieben wäre. Der Protestantismus blieb in zwei politische Hauptlager gespalten: Seeberg, Althaus, Holl und Traub wirkten weiterhin für den deutschnationalen Weg des Mehrheitsprotestantismus: Wie ein erneutes politisches Echo auf die Erklärung des Evangelischen Oberkirchenrats von 1918 wirkte 1933 die politische Deutung von Tod und Auferstehung Christi durch die Thüringer Deutschen Christen Siegfried Leffler und Julius Leutheusser. Ihrer Meinung nach folgte auf den Weltkrieg, dem „Golgatha des deutschen Reiches“ mit Hitler „Deutschlands Auferstehung“.[79] 

Die sozialliberalen Protestanten aber stellten sich auf den Boden der neuen Republik. Nur zwei Namen: Troeltsch saß 1919 für die linksliberale Deutsche Demokratische Partei Friedrich Naumanns in der Preußischen Landesversammlung. Zudem wurde er Unterstaatssekretär im Preußischen Kultusministerium. Harnack war als Reichskommissar für Kirchen- und Schulfragen an der Weimarer Nationalversammlung beteiligt.

Jedenfalls war in der Katastrophe des Krieges vielen aus dem liberalen Lager der Wert des Friedens klar geworden. Ein letztes Beispiel dafür: Der Theologe Adolf von Harnack hatte 1914 die erste Kriegsbegeisterung geteilt und am 11. August in einer Rede gesagt: „Gott hat uns mit einem Male aus der Misere des Tages heraufgebracht auf eine Höhe, auf der wir noch nie innerlich gestanden haben.“[80] Dreizehn Jahre später, am 31. Dezember 1927 schrieb er dann: „Mehr und mehr sehe ich auch ein, daß den Frieden zu stützen, zu halten, zu verbreiten zu unsern höchsten Aufgaben gehört. Collaboratores dei heißt heute auf allen Gebieten den Frieden zu sichern und zu pflegen.“[81]

Anmerkungen

[1] Berliner Lokal-Anzeiger, 2. August 1914, Zit. n. Eberhard Buchner (Hg.): Kriegsdokumente. Der Weltkrieg 1914 in der Darstellung der zeitgenössischen Presse, Bd. 1, München 1914, 70. 

[2] Ebd.

[3] Zit. n. Jeffrey Verhey: Der „Geist von 1914“ und die Erfindung der Volksgemeinschaft, Hamburg 2000, 9.

[4] Christoph Schwöbel (Hg.): Karl Barth, Martin Rade: Ein Briefwechsel, Gütersloh 1981, 96.

[5] In einem Brief an seinen Sohn vom 31. Juli 1914. Zit. n. Dirk Nishen:  August 1914. Ein Volk zieht in den Krieg (Berliner Geschichtswerkstatt, Band 7), Berlin 1989, 174.

[6] Zit. n. Michael Fischer: Religion, Nation, Krieg. Der Lutherchoral Ein feste Burg ist unser Gott zwischen Befreiungskriegen und Erstem Weltkrieg (Populäre Kultur und Musik, Bd. 11), Münster 2014, 297.

[7] Ebd. 304.

[8] Vgl. dazu u.a. grundlegend: Verhey. Der „Geist von 1914“ … wie Anm. 3).

[9] Zit. n. Sebastian Kranich:  „… er liebte die Gegensätze“. Eine nationalsoziale Rede und sechs schlichte Predigten von Georg Liebster, in: Zeitschrift für Neuere Theologiegeschichte, Bd. 15, 2008, Heft 1, 119-172,  157.

[10] Ebd.

[11] Ebd. 154 f.

[12] Ebd. 138.

[13] Zit. n. Karl Hammer: Deutsche Kriegstheologie, München 1971, 205.

[14]  Zit. n. Jürgen Ungern Sternberg:  Der Aufruf „An die Kulturwelt!“ Das Manifest der 93 und die Anfänge der Kriegspropaganda im Ersten Weltkrieg, Stuttgart 1996, 156.

[15] Ebd. 159.

[16] Zit. n. Michael Fischer: Religion, Nation, Krieg. Der Lutherchoral Ein feste Burg ist unser Gott zwischen Befreiungskriegen und Erstem Weltkrieg (Populäre Kultur und Musik, Bd. 11), Münster 2014, 298.

[17] Ebd. 301.

[18] Christoph Schwöbel (Hg.): Karl Barth, Martin Rade: Ein Briefwechsel, Gütersloh 1981, 96.

[19] Martin Schian: Die deutsche Evangelische Kirche im Weltkriege. Hrsg. im Auftrag des Deutschen Evangelischen Kirchenausschusses, Bd. 2: Die Arbeit der evangelischen Kirche in der Heimat, Berlin 1925, 23.

[20] Vgl. Wolfgang Huber: Evangelische Theologie und Kirche beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs, in: Ders. (Hg.): Historische Beiträge zur Friedensforschung (Studien zur Friedensforschung, Bd. 4), Stuttgart, München 1970, 134-215, hier 187-190, Zit. 188.

[21] Zit. n. Sebastian Kranich: Die Sächsische Evangelisch-Soziale Vereinigung:  von der Gründung 1903 bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges 1914. Eine historisch-systematische Studie (Religiöse Kulturen der Moderne; 13), Gütersloh 2006, 217.

[22] Zit. n. Sebastian Kranich: „… er liebte die Gegensätze“ (wie Anm. 9), 138.

[23] Ebd. 153f.

[24] Wolfgang Huber: Evangelische Theologie und Kirche … (wie Anm. 20), 181.

[25] Zit. n. Michael Fischer: Religion, Nation, Krieg (wie Anm. 6), 301.

[26] Roland Liebenberg: Der Gott der feldgrauen Männer. Die theozentrische Erfahrungstheologie von Paul Althaus d. J. im Ersten Weltkrieg (Arbeiten zur Kirchen- und Theologiegeschichte, Bd. 22) Leipzig 2008, 475.

[27] Vgl. Ebd. 201-206.

[28] Zit. n. ebd. 208.

[29] Ebd.

[30] Vgl. Wolfgang Huber: Evangelische Theologie und Kirche … (wie Anm. 20), 193 f.

[31] Max Weber. Studienausgabe der Max-Weber-Gesamtausgabe, Abt. I, Bd. 15. Zur Politik im Weltkrieg. Schriften und Reden1914-1918, hrsg. von Wolfgang J. Mommsen in Zusammenarbeit mit Gangolf Hübinger, Tübingen 1988, 332 f.

[32] Ebd. 333.

[33] Zit. n. Wolfgang Huber: Evangelische Theologie und Kirche … (wie Anm. 20),174.

[34] Vgl. dazu: Friedrich Wilhelm Graf: Philosophisch reflektierte Kriegserfahrung. Einige Überlegungen zu Ernst Troeltschs Kaisergeburtstagsrede, in:  Ders. (Hg.): Geschichte durch Geschichte überwinden (Troeltsch-Studien, NF), Gütersloh 2006, 231-252.

[35] Heinrich Danneil: Die Magdeburger Reformationsjubelfeiern 1617, 1717, 1817 und 1917. Geschichts-Blätter für Stadt und Land Magdeburg 53/54 (1918/19 ersch. 1920), 77-104, 102.

[36] Ebd.

[37] Ebd.

[38] Ebd. 103.

[39] Vgl. Wolfgang Flügel: Ein feste Burg ist unser Gott: Luther im Weltkrieg und das Reformationsjubiläum 1917, in: Dresden im Ersten Weltkrieg, Dresdner Hefte 32. Jg. (2014), 59-68, hier 59.

[40] Zit. n. Fischer: Religion, Nation, Krieg (wie Anm. 6), 298.

[41] Max Stolte: Der Christ und der Wirtschaftskrieg. Vortrag zur Nachfeier von Kaisers Geburtstag am 28. Januar 1917. Ein Wort zur Gewissensschärfung und Ermutigung für den Kampf hinter der Front, Magdeburg 1917.

[42] Ebd.

[43] Ebd.

[44] Ebd. 6.

[45] Ebd.

[46] Ebd. 12.

[47] Ebd. 9.

[48] Ebd.

[49] Ebd. 12.

[50] Ebd.

[51] Zit. n. Michael Fischer: Religion, Nation, Krieg (wie Anm. 6), 318.

[52] Ebd. 319.

[53] Ebd.

[54] Ebd. 320.

[55] Hans Baumann: Es zittern die morschen Knochen, zit. n. Jürgen Hillesheim: Lexikon nationalsozialistischer Dichter. Biographien, Analysen, Bibliographien, Würzburg 1993, 41.

[56] Friedrich Wiegand: Luther der deutsche Volksmann, in: Luthervorträge zum vierhundertsten Jahrestage der Reformation gehalten in Greifswald, Berlin 1918, 5-20, 20.

[57] Zit. n. Michael Fischer: Religion, Nation, Krieg (wie Anm. 6), 325.

[58] Vgl. etwa den reformationsgeschichtlichen Rückbezug bei Wilhelm Lütgert: Die deutsche Reformation und Deutschlands Gegenwart. Festrede zur Feier der vierten Jahrhundertfeier der Reformation in der Aula der vereinigten Friedrichs-Universität Halle-Wittenberg, Halle 1917, 6: „ […], während Luther selbst das uns heut‘ so wunderbar anmutende Wort gesprochen hatte: ‚Es ist keine verachtere Nation, denn die Deutschen. Italiener heißen uns Bestien. England und Frankreich spotten unser und alle anderen Länder […]“.    

[59] Wilhelm Heitmüller: Luthers Stellung in der Religionsgeschichte des Christentums. Rede zur 400jährigen Reformations-Feier der Philipps-Universität, Marburg 1917, 7.

[60] Ebd.

[61] Postkarte abrufbar unter http://www.rpi-loccum.de/imaging/content_img_grid_12/dms/rpi_loccum/Institut/Ausstellung/Luther/Bismarck–Luther–Hindenburg-Postkarte-1917/Bismarck,%20Luther,%20Hindenburg%20Postkarte%201917.jpg?1410891310

[62]  Zit n. Martin Greschat: Reformationsjubiläumsjahr 1917. Exempel einer fragwürdigen Symbiose von Politik und Theologie, in: Wissenschaft und Praxis in Kirche und Gesellschaft, 61. Jg., Göttingen 1972, 419-429, 425.

[63] Zit n. Martin Greschat: Reformationsjubiläumsjahr 1917. Exempel einer fragwürdigen Symbiose von Politik und Theologie, in: Wissenschaft und Praxis in Kirche und Gesellschaft, 61. Jg., Göttingen 1972, 419-429, 425.

[64] Heitmüller: Luthers Stellung … (wie Anm. 59), 3 f.

[65] Karl Müller: Die großen Gedanken der Reformation und die Gegenwart. Rede bei der Feier der evangelisch-theologischen Fakultät Tübingen am 31. Oktober 1917, Tübingen 1917, 3.

[66] Gustav Roethe: D. Martin Luthers Bedeutung für die deutsche Literatur. Ein Vortrag zum Reformations-Jubiläum, Berlin 1918, 4 f.

[67] Ebd. 5.

[68] Ebd. 2.

[69] Zit. n. Michael Fischer: Religion, Nation, Krieg (wie Anm. 6), 326.

[70] Vgl. Günter Brakelmann: Der deutsche Protestantismus im Epochenjahr 1917, Witten 1974, 232, 234f.

[71] Friedrich Wiegand: Luther der deutsche Volksmann, in: Luthervorträge zum vierhundertsten Jahrestage der Reformation gehalten in Greifswald, Berlin 1918, 5-20, 16.

[72] Ebd. 16 f.

[73] Zit. n. Silvio Reichelt: Der Erlebnisraum Lutherstadt Wittenberg. Genese, Entwicklung und Bestand eines protestantischen Erinnerungsortes, (Refo500 Academic Studies), Göttingen 2013, 118.

[74] Ebd.

[75] Zit n. Fischer: Religion, Nation, Krieg (wie Anm. 6), 85.

[76] Zit. n. Kranich „… er liebte die Gegensätze“ (wie Anm.9), 163 f.

[77] Ebd. 163.

[78] Zit. n. Wolfgang Niess: Die Revolution von 1918/19 in der deutschen Geschichtsschreibung: Deutungen von der Weimarer Republik bis ins 21. Jahrhundert, Berlin 2012, 20.

[79] Vgl. Kurt Nowak: Evangelische Kirche und Weimarer Republik. Zum politischen Weg des deutschen Protestantismus zwischen 1918 und 1932, Weimar 1981, 253 f., Zit. 254.

[80] Zit. n. Wolfgang Huber: Evangelische Theologie und Kirche … (wie Anm. 20), 169.

[81] Ebd. 174.