Auf der Suche nach dem perfekten Klang

Natsu Miyashita bietet in ihrem Roman „Der Klang der Wälder“ eine poetische Reise in die Welt der Musik

Von Josephine HoltrupRSS-Newsfeed neuer Artikel von Josephine Holtrup

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nicht nur akustisch, sondern auch literarisch können die Klänge der Musik eine bedeutsame Rolle einnehmen. Dies beweist der Roman Der Klang der Wälder (Originaltitel: Hitsuji to Hagane no Mori) der japanischen Schriftstellerin Natsu Miyshita, der ursprünglich 2015 in Japan erschien. Als dortiger Bestseller, der den renommierten japanischen Buchhändlerpreis erhielt, hat der Roman nun auch seinen Weg nach Deutschland gefunden und wurde 2021, übersetzt von Sabine Mangold, im Insel Verlag herausgegeben. Aufgrund seiner Beliebtheit in Japan ist der Roman auch verfilmt worden. Die 1967 geborene Autorin ist selbst Klavierspielerin, und um dieses Instrument herum baut sich auch die Geschichte auf. Der Ich-Erzähler Tomura wird eines Tages Ohrenzeuge, wie der Klavierstimmer Itadori in der Turnhalle seiner High-School das Klavier der Schule stimmt. Seine Faszination ist geweckt, als der Klang des Instruments in ihm Erinnerungen an die Natur seiner Heimat hervorruft: Eine fast mystische Bindung entsteht zwischen ihm und dem Klavier, womit seine Berufswahl feststeht. Er will selbst Klavierstimmer werden und dem hölzernen Instrument den „Klang der Wälder“ entlocken:

„Aber nun erschien mir dieses große schwarze Instrument völlig neu. Zumindest erhielt ich zum ersten Mal einen Einblick in das Innenleben unter den geöffneten Schwingen, der mir fast intim vorkam. Es überraschte mich auch, dass die ihm entlockten Töne auf meiner Haut vibrierten. Ich konnte den Wald riechen. Im Herbst, in der Abenddämmerung.“

Der Roman scheint fast wie ein Poesie-Band mit den detailreichen und sorgfältigen Beschreibungen des Klaviers, der Klänge und den Erinnerungen an die japanische Natur und die Berge in dem Heimatdorf des Protagonisten. Nach einer zweijährigen Ausbildung macht Tomura seine Leidenschaft zum Beruf, doch zu seiner Enttäuschung darf er am Anfang nur im Klaviergeschäft Klaviere stimmen, bevor er später seine Kollegen bei der Arbeit begleitet. Er selbst ist nach seiner Ausbildung noch nicht einmal annähernd so weit, selbst bei Kunden die Klaviere zu stimmen. Bei seiner Arbeit zeigt er sich selbstkritisch und fühlt sich von dem perfekten Klang, seiner Leidenschaft, weit entfernt:

„Mir kam plötzlich der Klang in den Sinn, der mich damals so berührt hatte. Als ich zum ersten Mal ganz bewusst einem Klavierton lauschte. Die Suche danach hatte mich hierhergeführt. Aber ich war diesem Ton kein Stück nähergekommen. Vielleicht würde das auch nie geschehen. Auf einmal hatte ich Angst. Panik, mich in einem undurchdringlichen Wald zu verlaufen.“

Der Roman nimmt seinen Lauf, als Tomura den Zwillingsschwestern Yuni und Kazune begegnet, welche beide leidenschaftliche Klavierspielerinnen sind. Der Klang von Kazunes Klavierspiel fasziniert ihn: „Perlende Töne, klar und rein, wie poliert. Die Gänsehaut blieb.“ Tomuras Bestimmung als Klavierstimmer wird ihm durch die angehende Konzertpianistin verdeutlicht, er will Kazune den perfekten Klang für ihr Instrument eröffnen.

Der Klang der Wälder ist ein ruhig temperierter Roman. Es gibt keine Spannung, keine Höhepunkte, vielmehr begleitet das Buch Tomura vom Beginn seiner Berufswahl bis zu all den Terminen, bei denen er lernt, seine Fertigkeiten zu verbessern. Der Roman bringt eine unscheinbare Arbeit groß heraus. Mit den detailreichen Beschreibungen der Klänge, die immer wieder ein Bild der Natur hervorrufen, wird dem hölzernen Instrument eine magische Bedeutung verliehen.

„Wie konnte ein Instrument wie das Klavier so etwas hervorzaubern? Von einem Blatt zu einem Baum, von einem Baum zu einem Wald bis hin zu einem Berg. Ich konnte bildhaft vor mir sehen, wie der Ton zu Klang, der Klang zu Musik wurde.“

Die Welt der Klänge wird von Tomura aus der Ich-Perspektive erzählt, sodass die Leser*innen in seine Gedankenwelt eintauchen können. Die Geschichte nimmt chronologisch ihren Lauf, von einem Klavier zum nächsten. Auch wenn das Klavier kein traditionelles japanisches Instrument ist, spiegelt das Buch den boomenden Klavierbau in Japan wider. Besonders im 20. und 21. Jahrhundert sind es japanische Firmen wie Yamaha, die das Instrument herstellen.

Der Klang der Wälder ist ein Roman für Klavierspieler und Musikliebhaber genauso wie für alldiejenigen, die sich literarisch den Klängen des Klaviers nähern möchten. Das Buch ist nicht zu empfehlen, wenn eine spannende Geschichte erwartet wird. Genau wie die ruhigen Klänge des Klaviers ist auch dieser Roman ruhig. Vielmehr ist es ein perfektes Buch, um bei klassischer Musik in die poetische Welt des Klaviers einzutauchen.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Natsu Miyashita: Der Klang der Wälder.
Aus dem Japanischen von Sabine Mangold.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2021.
238 Seiten, 20 EUR.
ISBN-13: 9783458179009

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch