Dichten ist Erinnerungsarbeit und Geisterbeschwörung in einem

Yara Nakahanda Monteiros hellwache wie traumhafte Alltagsbeobachtungen liegen jetzt als Gedichtband in deutscher Übersetzung vor: „Herz Rhythmus Störungen“ – eine Empfehlung

Von Nora EckertRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nora Eckert

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Faszinierend an Lyrik ist immer wieder aufs Neue, wie in sprachlicher Schwerelosigkeit mühelos das ganze Gewicht der Welt transportiert werden kann. Und nirgendwo wird die Macht und Bildhaftigkeit des Wortes so sinnfällig wie in der Lyrik, die sich ganz dieser Macht und der damit verbundenen Magie des Bildes verschrieben hat. Nicht weniger anziehend ist an Gedichten die unverbundene Verbundenheit, wenn einzelne Worte, Satzfragmente über eine Buchseite wie schmale Wegführungen als Gedankengänge hinein in lauter intime Räume verteilt werden.

Das mit der Intimität ist bei Yara Monteiro wörtlich zu nehmen, denn sie spricht direkt von ihren Erfahrungen und Wahrnehmungen und über ihre Geschichte. Geboren 1979 in Angola, wächst sie in Portugal auf, wo sie heute als Schriftstellerin lebt. 2018 kam ihr erster Roman Essa Dama Bate Bué! heraus, der 2022 auf Deutsch im Haymon Verlag unter dem Titel Schwerkraft der Tränen erschienen ist – in dem Verlag, der jetzt auch den Gedichtband ins Programm genommen hat und wiederum in der Übersetzung von Michael Kegler.

Das Begehren, die Sexualität und damit das Körperliche spielen keine geringe Rolle in den Gedichten. Da ist von sexueller Anziehung, aber auch vom Überdruss die Rede, vom Erotischen, das bei Monteiro auch ins Tierhafte übergehen kann wie in „Brylcreem und Nivea“:

Gestählter Bursche im Trainingsanzug.
Den Blick durchdringend und starr
Wie Rinder kurz vor dem Angriff.
[…]
Klingelt wieder.
Ohne Trainingsanzug
das kurze Haar glatt, mit Brylcreem gebändigt.

Oder das erwachende Begehren in „Frühlingsnacht“, wo von zerkratzten Laken die Rede ist und von ihm, der sie besteigt. Dazu konträr die Zeilen eines anderen Gedichts, wo es zwar heißt „erlöse mich aus der Verächtlichkeit der beengenden Kleidung des Anstands“ (in „Brief an die Heilige Frau von Muxima“) und dennoch die Bitte folgt „lass ihn sich nicht mehr auf meinen Körper legen“, und zwar dieses „Weißen, den sie ‚meinen Ehemann‘ nennen“.

In dem titelgebenden Gedicht „Herzrhythmusstörungen per SMS“ versammelt Monteiro lauter Epigramme, die ebenfalls vom Begehren handeln und von dem, was daran unwahr oder auch unerfüllt bleibt:

„‘Ich liebe dich‘ ist eine alte Lüge.“

„Ich kann nicht in Leerstellen lieben / schon gar nicht zwischen den Zeilen / Ich liebe in fetten Buchstaben.“

„Ich bin als Pfeffer erwacht. / Du vergisst mich zu lieben, zu ficken nie.“

„Ich unterstreiche dich wie Sätze / in meinen Büchern. / Vielleicht will ich noch mal zurück.“

In „Modepuppe, 36“ wird nach einem Schnittmuster für ein Kleid gesucht und unversehens wird von Vers zu Vers aus dem Schneidern ein Verhältnis zur Welt: Auf das Pauspapier werden traurige Striche übertragen, der rote Stift, mit dem das geschieht „skizziert Vorsicht“, während die Stecknadel die Gewohnheit absteckt und die Nadel schließlich Illusionen säumt. Am Ende heißt es:

Sie zieht ihre Haut aus.
Schneidet, reißt, verletzt
Versteckt.
‚Ach, das Beste an mir waren die Farben.‘

Das Vergessen mag zwar auch sein Gutes haben, wie Monteiro an einer Stelle meint, doch wer dichtet wie sie, will Erinnerungen wachhalten, sie ins Bewusstsein zurückbringen. Tatsächlich beginnt eines ihrer Gedichte mit der Frage „Weißt du noch?“. Und bildhaft wird die Erinnerungsarbeit in „Ein Kloß aus Maniokbrei im Hals“: „An die Wäscheleine / hängt sie Erinnerungsskizzen aus ihrer Kindheit“, während die Geister der Vergangenheit mit einem Seil um die Hüfte herangezerrt werden. Zur Bildhaftigkeit der Sprache gesellen sich in dem Gedichtband beziehungs- und spannungsreich Fotografien, aufgenommen von der Dichterin selbst. Sie sind keine Illustrationen, sondern Korrespondenzen im weitesten und wahrsten Sinne – eine rundum gelungene Edition.

Titelbild

Yara Nakahanda Monteiro: Herz. Rhythmus. Störungen. Gedichte.
Aus dem Portugiesischen von Michael Kegler.
Haymon Verlag, Innsbruck 2024.
112 Seiten , 22,90 EUR.
ISBN-13: 9783709982136

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