Spannung auf Rassismus-Folie

Mit „Lange Nacht“ schließt Thomas Mullen seine Trilogie rund um die erste schwarze Polizeieinheit in Atlanta ab

Von Karsten HerrmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Karsten Herrmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nicht zuletzt um schwarze Wählerstimmen zu erhalten, wurde die erste schwarze Polizeieinheit 1948 vom damaligen Bürgermeister installiert – ausgestattet mit äußerst beschränkten Rechten, ohne Waffe, ohne Streifenwagen und untergebracht im rattenverseuchten Keller des YMCA in „Darktown“: „Die meisten weißen Cops in Atlanta verachteten ihre farbigen Kollegen, von Anfang an hatten sie versucht, ihre Arbeit zu unter-graben und zu sabotieren“ – und offene und versteckte rassistische Anfeindungen sind an der Tagesordnung.

Der dritte Fall der schwarzen Polizeieinheit ist im Jahr 1956 angesiedelt, in dem sich die Rassenkonflikte weiter verschärfen und der junge Reverend Martin Luther King sich anschickt, zum Anführer einer gewaltigen Bürgerbewegung zu werden. Gerade ist das „Brown“-Urteil gesprochen worden, mit dem alle Schulen verpflichtet werden, farbige Schüler aufzunehmen, was bei den Weißen für ungeheure Empörung und Widerstand des „White Citizens Council“ sorgt.

In dieser aufgeheizten Atmosphäre wird Arthur Bishop, der Herausgeber der führenden schwarzen Tageszeitung in Atlanta, in seinem Büro erschossen. Gefunden wird er vom ehemaligen schwarzen Cop Tommy Smith, der jetzt als Reporter arbeitet und dabei noch gute Verbindungen zu seinen alten Kollegen hat. Smith, der „eher Charmeur, Lebemann und Halodri“ ist, gerät zunächst allein aufgrund der Tatsache, dass er schwarz ist, unter Mordverdacht und wird von den weißen Detectives in die Mangel genommen. Doch die müssen Smith alsbald wieder freilassen und er, dessen Vater 1919 bei einer Parade von Weißen gelyncht wurde, weil er es gewagt hatte, seine Soldatenuniform zu tragen, macht sich an die Spurensuche. Parallel arbeiten nicht nur die Mordkommission und im Hintergrund das FBI, sondern auch seine Ex-Kollegen von der schwarzen Polizeieinheit an diesem verzwickten Fall.

Die Recherchen und Ermittlungen führen zu einem Vergewaltigungsfall, zu den (kommunistischen) Aktivisten des Civil Right Congress, zu einer Liebesaffäre und zu seinem geheim gehaltenen Sanierungsplan, mit dem ganz Darktown abgerissen werden soll und mit dem einige Leute richtig viel Geld verdienen wollen.

Thomas Mullens Trilogie zeichnet sich durch eine genau recherchierte historische Folie, viel Lokalkolorit, eine komplexe, spannungsgetriebene Handlung sowie durch glaubwürdige und auf vielen Ebenen immer wieder mit sich selber ringenden Charaktere aus. Exemplarisch spiegelt sich das beim Chef der Polizeieinheit, dem weißen und quasi strafversetzten Joe McInnis wider – er, der von seinen weißen Kollegen und Nachbarn als „Nigger-Freund“ beargwöhnt wird, sitzt zwischen allen Stühlen, entscheidet sich letztlich aber für die unvoreingenommene Suche nach der Wahrheit. Er sieht sich dabei immer wieder mit einem unfassbaren Rassismus und Hass und einer ganz einfachen Rechtsauffassung konfrontiert, nach der die Schwarzen immer die Schuldigen sind: „unsere alte Lebensart, die hat einfach viel mehr Sinn ergeben. Schnappt sie, hängt sie am nächsten Baum auf und fertig.“

Joe McInnis bildet die Schaltstelle zwischen einem „Nicht mehr“ und einem „Noch nicht“ und er ist das Symbol für eine Übergangszeit. Eine Übergangszeit, die, wie die vielen Fälle von offensichtlichem, aber vor allen Dingen auch verstecktem und strukturellem Rassismus, bis heute nicht abgeschlossen ist. Thomas Mullens Trilogie sensibilisiert dafür noch einmal auf beeindruckende, aber auch sehr unterhaltsame Weise.

Titelbild

Thomas Mullen: Lange Nacht (Darktown 3). Kriminalroman.
Aus dem Englischen von Berni Mayer.
DuMont Buchverlag, Köln 2020.
416 Seiten , 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783832181437

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