Mythos Vampir

Der Sammelband „Vampire. Zwischen Blutdurst und Triebverzicht“ nähert sich diversen Visualisierungen der Blutsauger

Von Michael FasselRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michael Fassel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Vampir erfreut sich in akademischen Diskursen großer Beliebtheit: Im vergangenen Jahrzehnt sind allein im deutschsprachigen Raum etliche Monographien, Sammelbände und Zeitschriftenaufsätze zu dieser phantastischen Horrorgestalt veröffentlicht worden. Die ernsthafte Auseinandersetzung ist der neu entfachten Faszinationskraft geschuldet, welche die Revitalisierung des Vampirs spätestens mit der populären Twilight-Saga (2008) von Stephenie Meyer ausgelöst hat. Selbstverständlich ist die Wiederentdeckung des Vampirs nicht nur der US-amerikanischen Autorin geschuldet, sondern auch etwa der viel beachteten US-Serie True Blood, worin der Vampir zur Projektionsfläche von Diskriminierung sexuell benachteiligter Minderheiten in den USA gerät. Und selbst Dracula erlebte in diesem Jahr in der gleichnamigen von Netflix produzierten Mini-Serie eine Renaissance. Der vielfältigen Verarbeitung des Phänomens Vampir haben sich Studierende der Kulturwissenschaft am Institut für Europäische Ethnologie/Kulturwissenschaften der Philipps-Universität Marburg angenommen und in einem zweisemestrigen Seminar den Vampir aus einer interdisziplinären Perspektive beleuchtet. Marion Näser-Lather und Marguerite Rumpf haben als Herausgeberinnen die Überlegungen in dem Sammelband Vampire. Zwischen Blutdurst und Triebverzicht zusammengestellt. 

Näser-Lather und Rumpf skizzieren in der erhellenden Einleitung die historische Entwicklung des vor allem europäischen Vampir-Mythos. Dabei werden etwa volkskundliche Überlieferungen altnordischer Sagen und der alltagsreligiöse Glauben osteuropäischer Länder vom 16. bis zum 18. Jahrhundert umrissen, um die ethnologische Wurzel der Faszinationskraft des Vampirs und anderer verwandter Ausformungen wie beispielsweise sogenannte Wiedergänger zu verdeutlichen. 

Dem Vampir haftet in all seinen Facetten immer auch eine politische Komponente an: „Aus kolonialer Perspektive ließ sich der Vampirismus als Invasion primitiver Kräfte deuten, deren Identität sich im Laufe der Zeit verschob.“ Selbst in aktuellen Fiktionen wie Underworld (Len Wiseman, 2004) klingen „[s]lawophobe Klischees“ in Vampir-Narrationen nach. In diesem Zusammenhang machen die Herausgeberinnen auf die koloniale Lesart des berühmtesten und bis heute einflussreichen Vampirromans, Bram Stokers Dracula (1897), aufmerksam. Als politischer Kampfbegriff wird der Vampir bereits im 18. Jahrhundert in antisemitischen Gedichten instrumentalisiert. Die Blutsauger-Metaphorik spiegelt sich auch in der antisemitischen NS-Propaganda wider. Der Vampir „dient als Projektionsfläche für Fremdenhass, rassistische und kolonialistische Zuschreibungen, als magisches Gegenbild zur rationalen Philosophie der Aufklärung und als Ausdruck der Tabuisierung von Trieben und Sexualität im viktorianischen Zeitalter.“ Diese Vielfältigkeit stellt den Ausgangspunkt für die Beiträge des Sammelbandes dar, die sich dem zeitgenössischen Vampirbild widmen und allesamt die „kulturwissenschaftliche Anschlussfähigkeit des alle Zeiten und Räume überdauernden Mythos Vampir*in“ betonen. 

Franziska Peikert setzt in ihrem Aufsatz Mensch – Monster – Metamorphosen. Eine exemplarische Analyse des Gestaltwechsels von Serienvampir*innen den Fokus auf die Serien Buffy the Vampire Slayer, being human sowie Shadowhunters und untersucht auf filmmethodischem Fundament die Metamorphosen der Vampire. Sie verortet den Vampir als Grenzwesen zwischen Mensch und Monster. Mit sehr genauen Szenenanalysen, unterstützt durch Screenshots, arbeitet sie die Hybridität des Vampirs heraus. Die untersuchten Serienvampire stellen die Binarität von Gut und Böse in Frage und zeigen ihren ambivalenten Charakter, der schon in der Einleitung von den Herausgeberinnen thematisiert wird: „Vampir*innen sind somit eine Manifestation eskapistisch-grenzüberschreitender Wünsche, um der nach Sigmund Freud durch die Kultur geforderten Zumutungen von Zwang und Triebverzicht zu entfliehen.“ Während in der Literatur Louis aus Interview with the Vampire (1976) von Anne Rice oder Edward aus Twilight exemplarisch für diesen Konflikt stehen, bezieht sich Alexander Gerdes in seinem Beitrag Der/die VampirIn in Vampire the Masquerade – die Bändigung des Biestes auf ein Pen-und Paper-Rollenspiel. Darin steht die vampirische Spielfigur zwischen Triebzwang und -verzicht. Das Konzept 

entwertet das Konsumgut Blut als gesellschaftskonstruierendes Mittel und stellt ihm stattdessen Ideale wie Genügsamkeit, Mitgefühl und Friedfertigkeit entgegen. Dies steht in starkem Kontrast zu den eher animalischen Werten wie Dominanz, Kraft und Aggressivität, welche in direkter Verbindung zum Blut stehen. 

Dass der zeitgenössische Vampir aus seiner reinen Bösartigkeit herausgelöst wird, bestätigt auch Sandra Schwarzmann in ihrem Beitrag From Zero to Shero. Vampirjägerinnen im TV als Third-Wave-Feminismus-Ikonen. Obgleich sie – wie der Titel bereits verlauten lässt – Vampirjägerinnen in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen rückt, berücksichtigt sie die Adaptionsfähigkeit der zeitgenössischen Vampirfigur, die „ein zur Sozialisation fähiges Wesen“ wird und „sich medial […] den gesellschaftlichen und politischen Gegebenheiten ihrer Zeit an[passt].“ Grundlage von Schwarzmanns Überlegungen ist eine feministische Lesart, die sie auf die Serien Buffy – Im Bann der Dämonen, Blood Ties – Biss aufs Blut und Van Helsing anwendet. Sie geht von der These aus, dass Vampirjägerinnen ein Spiegel emanzipativer Frauen sind. Im Rahmen dieses feministischen und gendertheoretisch aufschlussreichen Beitrags kommt sie zu dem Schluss, dass allen drei Serien feministisches Potenzial innewohnt. 

Nils Bernd Michael Weber setzt sich in seinem Aufsatz Blutverzehr in dunklen Gassen. Zeichen und Orte des Vampir-Genres im digitalen Spiel mit dem Vampir in ausgewählten Computer-Spielen auseinander. Er beginnt mit genretheoretischen Überlegungen zum Film, um die Evolution der Ikonographie der Vampirfigur zu verdeutlichen und zieht dazu Knut Hickethiers Vier-Phasen-Modell heran, wonach ein Genre vier Stadien durchläuft: Entstehung, Stabilisierung, Erschöpfung und Neubildung. Dies dient ihm als theoretische Folie, um die Entwicklung des Vampirbildes im digitalen Spiel zu untersuchen. Er ergänzt seine luziden Beobachtungen mit Covern und der Gestaltung der Spieleverpackungen, welche die jeweilige Ikonographie des Vampirs festigen oder destabilisieren. Auch hier zeigt sich eine Tendenz zur Vermenschlichung des Vampirs: Identifizierten sich die Spieler in The Count noch mit dem Vampirjäger, der Graf Dracula zur Strecke bringen soll, so fiebern sie in neueren Spielen mit den Vampirfiguren mit, die in hilflosen Menschen ihre Beute sehen.

Die Beiträge beweisen, dass neuere Vampirfiguren an Bösartigkeit eingebüßt haben, ihre Faszinationskraft jedoch bleibt erhalten. Zwar kann der Sammelband nicht allen zeitgenössischen Visualisierungen und Figurationen des Vampirs gerecht werden, aber er bietet – vorrangig von exemplarisch ausgewählten Serien und digitalen Spielen ausgehend – tiefgehende, vielfältige und bereichernde Schlaglichter für die interdisziplinäre Erforschung des Vampirs.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Marion Näser-Lather / Marguerite Rumpf (Hg.): Vampire. Zwischen Blutdurst und Triebverzicht.
Büchner-Verlag, Marburg 2020.
180 Seiten , 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783963172038

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