Die ermüdende und doch so wichtige Beschäftigung mit dem Gefühl von Zugehörigkeit

Das „Kursbuch 198“ mit dem Titel „Heimatt“ versucht, Neuzugänge zu diesem Phänomen zu eröffnen – und beweist die Richtigkeit seines Titels doch gerade mit der Unmöglichkeit dieses Vorhabens

Von Christine EickenboomRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christine Eickenboom

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die 198. Ausgabe des Kursbuchs widmet sich dem Themenfeld Heimat. Dass die Heimat, oder besser: der Begriff Heimat wieder einmal Konjunktur hat, haben wir den konservativen und vermeintlich bürgerlichen Kräften unseres Landes zu verdanken, die den Wert dieses Gutes und damit das Schützenswerte daran nicht hoch genug verorten können. Diese Konjunktur führt sogar dazu, dass ein Ministerium und damit ein Ministerposten entstehen. Wer sich bei der Betrachtung des Covers mit dem Titel Heimatt zunächst wundert und sich fragt, ob sich hier der Fehlerteufel eingeschlichen hat, wird im Editorial von Armin Nassehi aufgeklärt: Die ständige Wiederholung all dessen, was allen und jedem zum Thema Heimat einfällt, „ermattet uns langsam“, weshalb aus der vielgeliebten Heimat die ermüdende und ermüdete Heimatt wird. Tatsächlich (aber auch darauf wurde schon mehrfach hingewiesen, die/der den Heimatdiskurs verfolgende Leser*in möge mir verzeihen) gibt es diesen Begriff ja nur im Deutschen, ausgerechnet, wo es einen Zusammenhalt oder ein Gefühl, wie es von besagten Konservativen und vermeintlich Bürgerlichen als etwas Historisches, zum Deutschsein seit Urgedenken zwingend Dazugehörendes, beschworen wird, in der grauen Vorzeit gar nicht gegeben hat.

Und so gehen die Beiträge dieses Kursbuchs nicht der Frage nach, ob es so etwas wie Heimat denn nun eigentlich gibt und wie wir uns das vorzustellen haben, sondern beschäftigen sich mit Phänomenen, die diesen Begriff begleiten: dass Heimat etwas zu ersetzen scheint, das je nach Suchendem ganz unterschiedlich ausfällt,  dass Heimat verwandt wird, um Eigenes aufzuwerten, und, dass Heimat als Ort im weitesten Sinn ganz unterschiedlich ausfällt. Immer aber geht es um die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe und gleichzeitig um die Ausschließung Anderer, und genau das ist es ja, was in unserer Zeit (wieder) gefährliche Züge annimmt. Zu Wort kommen Schriftsteller, Professoren, Journalisten und Künstler, was zum einen eine interessante Themenvielfalt eröffnet, auf der anderen Seite aber auch deutlich macht, wie vielschichtig und tiefgreifend die Instrumentalisierung dieses deutschen Wertgefühls in die Gesellschaft eingreift.

Dass hier, wie die Homepage der Kulturstiftung Kursbuch es ankündigt, tatsächlich „neue Schneisen“ im Themendickicht geschlagen werden, ist eher zu verneinen, allerdings werden einige bemerkenswerte Akzente gesetzt. So befassen sich die Beiträge von Georg Seeßlen und in weiterem Sinn auch der von Jürgen Dollase mit der bundesdeutschen Realität. Beide verdeutlichen, was zwar nicht neu, aufgrund seiner zunehmenden Instrumentalisierung aber dennoch immer neu beachtenswert ist: die sich ausdehnende Mythenbildung, die zu einem zunehmenden Bedürfnis nach Verteidigung von etwas vermeintlich Althergebrachtem führt. Regionen und regionale Besonderheiten, wie zum Beispiel Mahlzeiten oder Kleidungsstücke, werden volkstümlich besetzt, mit Gefühlen aufgeladen und ergänzen den gesamtgesellschaftlich erscheinenden Prozess der populistischen Heimatgenerierung.

Aber auch die Möglichkeit einer umgekehrten Entwicklung wird aufgezeigt: Gerade der enge Zusammenschluss und die Fixiertheit auf das eigene Wesen können dazu führen, dass im Einzelfall nicht ein wohliges Gefühl des Aufgehobenseins entsteht, sondern stattdessen Heimat als Gefängnis, als Bedrohung, empfunden wird. So geschieht es auch in der Erzählung von Maxim Biller. Diese wie auch die Texte von Michael Brenner und Levi Israel Ufferfilge beschäftigen sich mit der besonderen Situation der Entwurzelung des jüdischen Volkes und deren Folgen für das kollektive wie auch das individuelle Empfinden.

Einen weiteren Themenkomplex verhandeln die Beiträge, in denen es um das Internet als Heimat geht, um den Platz, den Nassehi im Editorial einen ortlosen Ort nennt. Die Rede von der Heimat als Gefühl, das assoziativ ist und bestimmte Konnotationen auslöst, wird hier nochmals gesteigert in das Zugehörigkeitsgefühl zu einem Raum, der als solcher gar nicht existiert. Entsprechend ist die entscheidende Frage für Adrian Lobe die, ob mit den Entwicklungen in diesem Cyberspace die Idee einer an Boden, an eine bestimmte Region, gebundenen Heimat obsolet werde.

Zwischen den unterschiedlichen Textbeiträgen findet sich ein Bildbeitrag, der sich dem Nebeneinander der Religionen widmet. Die Zeichnungen des Künstlers Eran Shakine zeigen einen Moslem, einen Christen und einen Juden, die gemeinsam verschiedenen Aktivitäten nachgehen, bis sie schließlich beschließen, nicht nur nebeneinander, sondern miteinander zu agieren. Der Gedanke des gemeinsamen statt nur parallelen Weges streift ebenfalls den Themenkomplex (Sehnsucht nach) Zugehörigkeit durch Ähnlichkeit, denn dieser idealtypische Zusammenschluss ist dem Umstand geschuldet, dass es sich um monotheistische Religionen handelt.

Nassehis soziologische Betrachtung der in den Beiträgen aufgeworfenen Problemlagen wie etwa die Aufladung des Begriffs mit Emotionen (bis hin zu „Heimweh-Essen“ und Ähnlichem, siehe Dollase), die Funktion dieses Gefühlsbegriffs als Lückenbüßer oder auch die scheinbare Notwendigkeit, sich zu etwas dazugehörig zu fühlen, schließt das 198. Kursbuch ab und macht deutlich, dass die immer komplexer werdende Gesellschaft Lücken lässt, die der Einzelne für sich füllen will. Was im Einzelnen dabei herauskommt, hängt auch davon ab, in welcher Lebenslage, in welchem Milieu er sich befindet.

Das Kursbuch 198 vereint also die unterschiedlichsten Perspektiven auf den Begriff Heimat und sucht die Abgrenzung zu den übrigen Diskussionen über die Erkenntnis der inflationär erscheinenden Hinterfragung eines eigentlich alltäglichen Begriffs. Dabei sind Herangehensweisen wie die über die bundesdeutsche Realität, über Identitätsprobleme aufgrund mangelnder Zugehörigkeitsgefühle, die Entwurzelung der jüdischen Bevölkerung oder über die Überlegungen zum Internet in dieser Richtung nicht per se neu. Richtig ist aber in jedem Fall, dass zwar die intensive Beschäftigung mit diesem und Diskussion über dieses Phänomen langsam, aber sicher ermüdend wirken wir aber um die weitere konstruktiv-kritische Auseinandersetzung mit ihm nicht umhinkommen, wenn wir nicht eines Tages denen die Heimat überlassen wollen, die vermeintlich bürgerlich um sie buhlen.

Titelbild

Peter Felixberger / Armin Nassehi (Hg.): Kursbuch 198. Heimatt.
Kursbuch Kulturstiftung, Hamburg 2019.
200 Seiten, 19,00 EUR.
ISBN-13: 9783961960682

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