Mord an einer Sopranistin

H. Dieter Neumann bringt ein „Todeslied“ zum Klingen

Von Rainer RönschRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rainer Rönsch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Auch das zweite Krimi-Abenteuer der jungen Fernsehjournalistin Kira Lund spielt wie schon Haie unter dem Eis im deutsch-dänischen Grenzland zwischen Nordsee und Ostsee. Ein norddeutscher Kammerchor soll in Dänemark auftreten, doch zur Generalprobe erscheint die Solosopranistin Susanna von Hohenmarschen nicht. Zwei Wochen später wird ihre Leiche in der Bucht von Sonderburg in Dänemark gefunden; ein tiefer Schnitt am Hals reicht fast von Ohr zu Ohr.

Zu dieser Zeit befindet sich Kira Lund, im Besitz eines Sportbootführerscheins, mit ihrem Freund Lukas auf einem spätsommerlichen Urlaubstörn. Ihr Chef überredet sie, gemeinsam mit einem Kollegen die Reportage über den Mordfall zu übernehmen, und Lukas lässt sie ziehen.

Dann wird der Ehemann der Ermordeten vorgestellt. Dieser 49-jährige Jens Klamroth ist ein selbstgefälliger und in vielfacher Hinsicht betrügerischer Typ. Angeblich befindet er sich auf einer Baustelle seiner Firma in Dubai, in Wirklichkeit jedoch in seinem „Refugium“ auf einer griechischen Halbinsel. Seine Frau, reiche Erbin, wusste nichts von diesem Ferienhaus und von der Geliebten, mit der er dort die Zeit verbringt. Später wird sich herausstellen, dass Klamroth das Geld seiner Frau veruntreut hat, schwer verschuldet ist und von ihrem Tod profitiert. Der erfahrene Krimileser schließt daraus, dass Klamroth wahrscheinlich nicht der Täter ist, auch wenn er mit zeitweiligem Erfolg einen Rückflug aus Dubai statt aus Griechenland vortäuscht.

Weitere Verdächtige gibt es im Kammerchor, nicht zuletzt wegen eines anonymen Hinweises an die Polizei. Neid auf die Solistin und das Ende einer Liebesbeziehung Susannas mit einem durch Selbstmord endenden Sänger kommen als Motive infrage.

Die dänische und die deutsche Polizei arbeiten zusammen, und weil Kira Lund einen guten Draht zur leitenden deutschen Kriminalistin hat, erfährt sie so viel, wie diese verantworten kann. Davon möchte ein junger dänischer Kollege profitieren, der Kira aus dem deutschen Abendfernsehen kennt und sich als ihr Fan outet. Dieser Mats Sievertsen ist Praktikant in der Onlineredaktion eines Boulevardblatts und hat offensichtlich Informationsquellen im Umfeld der dänischen Ermittler. Immerhin kann er das abgefackelte Auto der Ermordeten fotografieren, ehe es unter einem Polizeizelt verschwindet. Sievertsen schlägt Kira eine engere Zusammenarbeit vor, für die er in Sonderburg bleiben will, während sie sich auf Gut Hohenmarschen umsieht, der Öffentlichkeit unter anderem Namen als Schauplatz einer Fernsehserie bekannt.

Hier die weiteren Ermittlungsschritte darzulegen wäre ein Spoiler gegen einen spannenden Kriminalroman. Zwar wird das Erzähltempo durch die Wiederholung von Informationen und durch Abschweifungen verlangsamt. Als Landratte versteht man die Seemannssprache nicht immer, als Tierfreund aber Kiras Vernarrtheit in „Ditch“, einen riesenhaften Bernhardiner-Labrador-Mischling. Der erfahrene Autor weiß genau, wann er dem Spannungsbogen einen kleinen Durchhänger gestatten kann.

Er platziert, was in diesem Genre als Qualitätsmerkmal gilt, den Täter im „Mittelgrund“, muss also weder eine Hauptperson verbiegen noch kurz vor Schluss jemanden hinzuerfinden. Die Verdachtsmomente sind so geschickt versteckt, dass viele Leser erst auf Seite 286 mit Kira Lund sagen werden, schlagartig sei alles klar. Und weil ein Krimiautor auch an der differenzierten Charakterisierung der Widerlinge gemessen wird, liest man erfreut, wie sich Jens Klamroth am Ende von einer ganz anderen Seite zeigt. Das Motiv des Mords an Susanna von Hohenmarschen reicht tief in eine schuldhafte Vergangenheit zurück, für die sie nicht als Haupttäterin büßt. Ein unerbittlicher Rächer hat das Todeslied für seinen schlimmsten Peiniger schon vor Jahren angestimmt.

Titelbild

H. Dieter Neumann: Todeslied – Kira Lunds zweite Reportage. Ein Nord-Ostsee Krimi | Küstenkrimi zwischen Nordsee und Ostsee mit starker Ermittlerin.
Piper Verlag, München 2022.
328 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-13: 9783492504966

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