Junge Literatur aus Namibia: Witzig, intensiv, anders

Rémy Ngamije erzählt in „The Eternal Audience of One“ von Migration, Familie und Freundschaft

Von Julia AugartRSS-Newsfeed neuer Artikel von Julia Augart

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Windhoek has three temperatures: hot, mosquitos and fucking cold” – so beginnt der Prolog des 2019 erschienenen Debütromans von Rémy Ngamije. Windhoek, die verschlafene Hauptstadt Namibias, wird in The Eternal Audience of One nicht nur anhand der Beschreibung des Wetters verspottet. Wer dort lebt oder gelebt hat, kann in der einen oder anderen Zuordnung die Stadt wiedererkennen. Präsentiert wird der Prolog über Windhoek als alter, längst vergessener Aufsatz des Protagonisten Séraphin Turihamwe, der gewissermaßen als Alter Ego des in Ruanda geborenen und heute in Namibia lebenden Autors gelesen werden kann. Der Aufsatz zeigt Séraphins Dilemma: Das Leben in Windhoek hat wenig zu bieten. Und so lernen die Leserinnen und Leser im Anfangskapitel Séraphin kennen, der ohne Ferienjob nicht in Kapstadt bleiben kann und zu den Eltern nach Windhoek fahren muss. Resolut spannt Mamma Therése – den Besuch befreundeter ruandischer Familien erwartend – ihn für ihre peniblen Vorbereitungen einer Silvesterparty ein.

Die ostafrikanische Kultur seiner Eltern ist das, womit Séraphin sich unterschiedliche Sichtweisen zu erklären sucht: Etwa, warum alle Freunde der Eltern ihn prüfend auf den Erfolg seines Jurastudiums in Südafrika ansprechen und gleichzeitig die Erfolge bzw. Werdegänge der eigenen Kinder herausstellen. Letztere versuchen sich dabei mit Videospielen, Fernsehen und Chips den Abend erträglich zu gestalten. Einziger Lichtblick an diesem so unaufregenden Jahreswechsel ist für Séraphin die zufällige Begegnung mit Jasmyn, einer früheren Klassenkameradin, mit der er seine ersten sexuellen Erfahrungen hatte. 

Damit sind die Koordinaten des Romans – Elternhaus, Freunde, erste Liebe bzw. Sexualität, Studium – vorgegeben und dennoch gibt es einige weitere Aspekte, die den über 500 Seiten langen Roman füllen. In vielen Kapiteln oszilliert der Roman durch andere Länder und Zeiten in Séraphins Leben oder dem seiner Familie. Die Schauplätze und Geschichten wechseln bisweilen abrupt, was den Roman sehr kurzweilig und spannend gestaltet. So wird einmal vom Kennenlernen der aus Ruanda stammenden Eltern im Paris der 1970er Jahre erzählt, dann wieder von Séraphins Schulzeit in Windhoek, vom Studienanfang in Kapstadt, der Silvesterparty bei den Eltern, verschiedenen Affären und Liebschaften und nicht zuletzt von Séraphins verschwommenen Erinnerungen an Kigali, an die Flucht und an Nairobi. Die Themen Migration und Suche nach Zugehörigkeit oder Heimat, die Bedeutung von Hautfarbe und Rassismus bzw. Xenophobie sowie die starke soziale Ungleichheit im südlichen Afrika (und darüber hinaus) ziehen sich immer wieder durch die Kapitel – das zeigt die Geschichte von Séraphins Eltern, aber auch seine Erfahrungen als Kind in Nairobi, in der Schule in Windhoek und im Freundeskreis in Kapstadt. Zur Sprache kommen seine Erfahrungen als Flüchtling – beschimpft und in der Außenseiterrolle –, als Schüler in Kenia, sowie Partys in Kapstadt, Alltag und Alltagskommunikation der Studienfreunde.

Séraphin, jung, eloquent und sexy, chattet über WhatsApp mit Familie und Freunden, liebt Musik und klassifiziert das Leben und seine Stimmungen in Playlists: Er ist nicht nur der Protagonist und „das ewige Publikum des Einen“ (wenn man denn den Titel des Romans wörtlich ins Deutsche übersetzt), der gerne im Mittelpunkt steht und Gespräche dominiert. An manchen Stellen hätte es dem Roman vielleicht gutgetan, etwas gekürzt zu werden. Auf der anderen Seite machen gerade die teils überzogenen Darstellungen den Protagonisten im Rampenlicht seiner selbst authentisch.

Der Roman erinnert in seiner Dreiteilung an The Lord of the Rings, ist eventuell als „millennial novel“ und definitiv als Literatur der Migration, und zwar einer panafrikanischen, und des Transnationalismus einzuordnen. Die sprachliche Brillanz Ngamijes, spitze Ironie, witzige Dialoge sowie direkte und offene Darstellungen sind erfrischend, gerade im Vergleich zu vielen anderen afrikanischen Romanen. Besonders besticht der Roman aber durch genaue Beobachtung und Wiedergabe der verschiedenen Orte und deren Menschen. So bietet er Identifikationsmöglichkeiten für junge Menschen – nicht nur für Namibier*innen, aber für sie besonders.

The Eternal Audience of One ist 2019 bei BlackBird Books in Johannesburg erschienen, einem Verlag, der insbesondere junge schwarze Autoren fördert. Die Rechte des Debütromans wurden 2020 an Scout Press verkauft, einem Imprint von Schuster und Schuster. Es darf gehofft werden, dass der Roman internationale Bekanntheit erlangt. Der Autor Ngamije war mit seiner Kurzgeschichte Neighbourhood Watch für den prestigeträchtigen AKO Caine Prize for African Writing nominiert. Er lebt nach einem Studium der englischen Literatur und Rechtswissenschaften in Kapstadt nun wieder in Namibia, dort ist er auch Herausgeber von Doek!, einer literarischen Zeitschrift für Namibia.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

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Rémy Ngamije: The eternal audience of one.
Blackbird Books, Johannesburg 2020.
528 Seiten, 16,54 EUR.
ISBN-13: 9781928337959

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