Im Land von Gier und Hoffnungslosigkeit

Mike Nicols Thriller „Korrupt“ zeichnet ein äußerst düsteres Bild von der heutigen südafrikanischen Gesellschaft

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mike Nicol (Jahrgang 1951) – das sagt ein anderer nicht unbekannter Vertreter der Spannungsliteratur vom Kap, nämlich Deon Meyer – ist „der Star des südafrikanischen Thrillers“. Das Zitat schmückt nebst zwei weiteren kurzen Pressehuldigungen das Cover des soeben auf  Deutsch erschienenen Buchs Korrupt des in Kapstadt lebenden Verfassers von Romanen, Sachbüchern, Gedichtbänden und einer Nelson Mandela-Biografie. Der Originaltitel, Agents of the state, hebt auf das Personal des Thrillers ab, während die deutsche Ausgabe des Romans mit ihrem Titel in den Vordergrund stellt, was Nicol vehement anklagt: die alle Bereiche des Lebens im heutigen Südafrika durchdringende Gier und Bestechlichkeit derjenigen, die längst vergessen haben, mit welchen Idealen sie vor gut zwei Jahrzehnten in die neue Zeit nach dem Ende der Apartheid aufgebrochen waren.

Korrupt ist der zweite Band einer wie schon Nicols Rache-Trilogie auf drei Bücher angelegten Serie. Wer seinen Vorgänger Bad Cop (btb 2015) kennt, braucht nicht lange, um sich einzulesen: Personal und Schauplatz sind bekannt und auch auf die überragende Erzählkunst und die Fähigkeit des Autors, mittels spannender Handlungen einen tiefen Blick in die Abgründe der heutigen südafrikanischen Gesellschaft zu werfen – der diesmal sogar bis zum Präsidenten der Republik durchdringt – ist Verlass.

Fish Pescado, das mindestens ebenso lässig-verrückte südafrikanische Pendant zu Don Winslows kalifornischem Surfer-Detektiv Boone Daniels, und seine intelligente indischstämmige Freundin Vicki Kahn, die inzwischen nicht mehr als Anwältin, sondern für den Geheimdienst arbeitet, stehen im Mittelpunkt von Korrupt. Er anfangs etwas weniger, sie etwas mehr. Aber beim Showdown nach 500 spannenden Seiten ist Fish zuverlässsig wieder zur Stelle, um seiner in Gefahr geratenen Geliebten zu helfen.

Diese hat am Anfang des Romans den Auftrag angenommen, ein mit dem Sohn des südafrikanischen Präsidenten unheilvoll verbandeltes Model in Amsterdam zu treffen, um einen Stick mit den Präsidentenspross und seine Clique kompromittierendem Material an sich zu bringen und die Schöne zur Rückkehr in ihre Heimat zu bewegen. So leicht, wie Henry Davidson, Vickis Vorgesetzter bei der Sicherheitsbehörde und ein Dinosaurier des alten Systems, der es irgendwie geschafft hat, sich in die Nach-Apartheids-Zeit hinüberzuretten, sich diese Aktion von seinem Schreibtisch aus vorstellt, läuft sie freilich nicht ab. Vor Vickis Augen wird das sich vor der rücksichtslosen Brutalität ihres mächtigen Freundes fürchtende Topmodel entführt. Und als die Agentin wenig später in Berlin, der „Stadt der Gespenster“ des Kalten Krieges, vor der Leiche eines ehemaligen Stasiagenten steht, wird die Geschichte auch für sie persönlich brenzlig.

Denn Vicki und ihr Boss, der seine Entscheidungen und Einwände am liebsten mit Zitaten aus Lewis Carrolls Alice im Wunderland begründet, gehören nur zu einer Fraktion innerhalb des südafrikanischen Geheimdienstes. Was anfangs auch den Leser etwas verwirrt: Unter dem gemeinsamen Dach der State Security Agency arbeiten Menschen mit durchaus unterschiedlichen Interessen. Und so müssen Nicols Helden immer nach allen Seiten die Augen offenhalten, weil auch der Nicol-Lesern bereits aus mehreren Romanen bekannte Agent Mart Velaze und die ihn lenkende geheimnisvolle Stimme einer Frau, der er noch nie begegnete, sowie ein dem Präsidenten höriger Mann namens Kaiser Vula und ein paar unter seinem Befehl stehende skrupellose Killer ihre Finger mit im Spiel haben. Einem Spiel, in dem es unter der Hand schlicht darum geht, sich zu bereichern auf Kosten des Volkes, des Staates und der Demokratie, unter deren Fahne man einst angetreten war, um aus dem Apartheid-Land ein blühendes Gemeinwesen zu machen.

Doch das ist alles Schnee von gestern. Die bittere Wahrheit des aktuellen Südafrika spricht Zama, der Präsidentensohn, aus – in dessen Namen sich eine Anspielung auf den Mann verbirgt, der mit dem im Roman namenlosen Präsidenten zweifellos gemeint ist, Jakob Zuma nämlich. Anlässlich einer Party für die Reichen des Landes in der prunkvollen Präsidentenresidenz „Bambatha“ bemerkt der seinem Vater in nichts nachstehende Sprössling über die Verabredungen und Kungeleien, die von den zahlreich angereisten Gästen zu erwarten sind, leichthin: „Über einiges davon werden Sie später in der Zeitung lesen. Dort wird man es Korruption nennen. Aber wir kennen die andere Seite, was, Major? So funktioniert die Welt.“

Mit Korrupt tritt der in Kapstadt lebende Mike Nicol erneut den Beweis an, dass ihm nur wenige der in den letzten Jahren auch auf unserem Buchmarkt aufgetauchten südafrikanischen Autoren das Wasser reichen können. Souverän verknüpft er die einzelnen Handlungsfäden zu einem Ganzen, das wenig Hoffnung macht, der heruntergewirtschaftete, von der Spitze bis hinab zu den Wurzeln faule Staat, für dessen große Zukunft einst die Lichtgestalt Nelson Mandela stand, könne noch den Weg hin zu Menschenrechten, Freiheit und Demokratie finden. Nahezu alle der in Nicols Roman auftauchenden Personen versuchen, ihr ganz persönliches Süppchen zu kochen und dabei maximalen Profit zu machen. Mordanschläge, die der Präsident selbst anordnet, um einen zentralafrikanischen Oppositionellen auszuschalten, und der von seinem Sohn Zama betriebene Handel mit minderjährigen Mädchen, bei dem auch das Model Linda Nchaba eine unrühmliche Rolle spielt, stellen nur die Spitze eines Eisbergs von Gewalt und Bereicherungssucht dar, die vor nichts Halt machen.

Dass weder Vicki Kahn noch Fish Pescado in diese von Grund auf verdorbene Gesellschaft passen wollen, macht sie zu sympathischen Ausnahmen. Doch sie werden immer wieder in die dunklen Machenschaften der willfährigen Handlanger korrupter Politiker, Geheimdienstler und Wirtschaftsbosse verstrickt. Und schließlich ist da auch noch die Vergangenheit. Der ihrer eigenen Familie ist Vicki bei ihrem Besuch in Berlin auf bestürzende und bisherige Gewissheiten in Frage stellende Weise nähergekommen. Wer ihre im Widerstand gegen das Apartheidregime getötete Tante auf dem Gewissen hat – Freund oder Feind – wird sie und ihren Surfer-Freund wohl im nächsten Band beschäftigen.

Titelbild

Mike Nicol: Korrupt. Thriller.
Übersetzt aus dem südafrikanischen Englisch von Mechthild Barth.
btb Verlag, München 2018.
509 Seiten, 10,00 EUR.
ISBN-13: 9783442715923

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch