Gehhilfe im seichten Gewässer

Katharine Norbury erkundet in „Die Fischtreppe“ ihre Herkunft

Von Simone Sauer-KretschmerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Simone Sauer-Kretschmer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mithilfe von Fischtreppen können Fische während ihrer Wanderungen Hindernisse wie zum Beispiel einen Damm überwinden. Dass Katherine Norburys autobiografischer Roman den Namen einer solchen Wegerleichterung trägt, ist als eine Metapher zu verstehen, mit der Autorin als Fisch. Die Protagonistin muss eine ganze Reihe von Schicksalsschlägen bewältigen, angefangen mit einer Fehlgeburt, dem Verlust des Vaters und einer schweren Krankheit. Um nicht in Trauer und Sorge zu versinken, muss sie handeln und fasst einen Entschluss: Sie begibt sich auf Reisen durch verschiedene Landstriche Englands, Schottlands und Wales und schreibt die Geschichte ihrer Spaziergänge und Wanderungen auf. Die Dynamik des Gehens, die den Kopf befreit, ist dabei jedoch nicht Selbstzweck, Norburys Reise ist auch ein Pilgern zu einem ganz bestimmten Ziel. Der produktive Nebeneffekt ihrer Unternehmungen ist das vorliegende Buch, mit dem sich die Autorin selbst neu erfindet. Während ihrer Wanderungen möchte sie den Lauf des Wassers bis zu seiner Quelle zurückverfolgen. Dieses Unterfangen ist ebenfalls metaphorisch gemeint, da auch die Quelle des eigenen Lebens für Norbury zu Beginn der Reise noch unentdeckt ist. Sie wurde bereits als Baby zur Adoption freigegeben und hat nie erfahren, wer ihre leiblichen Eltern sind. Aufgrund ihrer Krebserkrankung werden die biologischen Wurzeln nun jedoch umso wichtiger, wobei auch die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergänglichkeit eine Rolle spielt.

Dem Leser offenbaren sich die verschiedenen Gründe für Norburys Reisen erst nach und nach. Jeder einzelne Schritt, den die Autorin dabei unternimmt, erscheint zwar nachvollziehbar, doch in der Summe ergibt sich ein unübersichtliches Bild und die Auseinandersetzungen mit den Lebensthemen, die Norbury umtreiben, kommen dabei manches Mal zu kurz. Der hier literarisch beschriebene Ansatz der Wiederermächtigung über das eigene Leben durch die unternommenen Wanderungen ist ein romantisierendes „Zurück zur Natur“, dem es erzählerisch an Struktur fehlt. Zu viele verschiedene Schicksalsschläge sollen mit einer Kur geheilt werden, und so mündet die Expedition in einem fast schon schwärmerischen Finale, das von einer magischen Urkraft beseelt zu sein scheint. Spätestens jetzt wünscht man sich zumindest eine kleine Portion Wut, Zynismus oder gar Galgenhumor, denn gegen die wirklich fiesen Tiefschläge hilft wohl selten ein Schlückchen Quellwasser.

Titelbild

Katharine Norbury: Die Fischtreppe. Eine Reise stromaufwärts. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Sigrid Ruschmeier.
Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2017.
285 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783957574527

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