Objekt-Verbindungen

Der Auftaktband der Reihe „Formate“ des Instituts für Realienkunde des Mittelalters und der frühen Neuzeit

Von Alissa TheißRSS-Newsfeed neuer Artikel von Alissa Theiß

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Kremser Institut für Realienkunde des Mittelalters und der frühen Neuzeit eröffnet mit Object Links – Dinge in Beziehung eine innovative Publikationsreihe. Schon der Reihentitel Formate (dabei handelt es sich um ein Apronym aus „Forschungen zur Materiellen Kultur“) verweist auf Vielseitigkeit. Im Vorwort wird zunächst die programmatische Ausrichtung der neu geschaffenen Reihe vorgestellt – und die klingt sehr vielversprechend! Thema wird die materielle Kultur des Mittelalters und der frühen Neuzeit aus interdisziplinärer Perspektive sein. Die Bände sind auch als E-Book erhältlich. Die Ausstattung der Printversion ist mit großformatigen Farbabbildungen, Hardcover und Lesebändchen opulent. Beim Format stehen drei Möglichkeiten zur Auswahl. Die Reihenherausgeber tragen damit der Annahme Rechnung, dass Medialität und Materialität als bedeutungsstiftende und sinnvermittelnde Faktoren in einer wechselseitigen Beziehung stehen.

Der erste Band der Reihe bietet sieben Einzeluntersuchungen verschiedener Fachrichtungen, die bestimmte Aspekte des Object-Links-Konzepts anwenden. Dem vorangestellt ist ein einführendes Kapitel, in dem Heike Schlie die Begriffe „Object Links“ und die gleichnamige „Forschungsperspektive“ (also ein Thema, mit dem sich das Institut länger und intensiv auseinandersetzt) sowie die Voraussetzung zu ihrer Entstehung erläutert.

Schlies einführender Beitrag bietet unter anderem einen Abriss der Forschungsgeschichte zu Materieller Kultur. Statt dem geläufigeren „Material Turn“ wird hier der Begriff „Object Turn“ verwendet, der gegenüber Ersterem eine neuere Tendenz der Forschung darstellen soll. Beim „Object Turn“ würden, so erläutert Schlie, nicht nur Artefakte, sondern auch Naturalia berücksichtigt. Ein Ausdruck des „Object Turns“ stellen die Sammlungswissenschaften dar, die neben der Beschäftigung mit Objekten auch die Geschichte des Wissens einschließen. Sammlungen und ihre Objekte bilden hier den zentralen Gegenstand.

Das Konzept der Object Links ist beeinflusst von der Akteur-Netzwerk-Theorie, aber auch von vielleicht weniger geläufigen Ansätzen wie der Praxeologie Theodore Schatzkis: Akteure und Objekte bilden ein gemeinsames Ganzes und können deshalb auch nur gemeinsam erforscht werden. In den Object Links entfalten die Objekte ihre Wirkung und werden damit Teil der Materialität der Kultur. Innovativ ist, dass hier nicht die Objekte selbst, sondern die Beziehungen, die sie untereinander oder mit Personen und Orten haben, analysiert werden sollen.

Beim ersten oberflächlichen Lesen könnte allerdings der Eindruck entstehen, dass hier reichlich alter Wein in neue Schläuche gefüllt wird, schließlich diskutiert man diese und ähnliche Punkte seit Jahren in den verschiedenen mediävistischen Disziplinen. Aber ganz im Gegenteil! Denn wenn alle – um im Bild zu bleiben – die gleichen neuen Schläuche verwenden, bringt das doch einiges an Gewinn. Oder, wie Schlie erläutert: Das Vorgehen, die Links in den unterschiedlichen Objektgesellschaften als feste Bestandteile einer Materialität der Kultur zu setzen, hat den Vorteil, einen interdisziplinären gemeinsamen Blickpunkt zu entwickeln und jenseits der Gattungen von Gegenständen und Praktiken über die Möglichkeiten einer systematischen Beschreibung der Funktionsweise solcher Links nachzudenken. Mit dem Konzept der Object Links kann also ein seit Langem vorhandenes Desiderat der Mediävistik wie der Material Culture Studies (und verwandte Disziplinen) erfüllt werden.

Der Einführung folgt ein Kapitel zum Making-of des Buches und des Konzepts, quasi als B-Roll, in dem Elisabeth Gruber den Leser hinter die Kulissen blicken lässt. Dieses eigentlich aus dem Film bekannte Bonusmaterial wird auf der letzten Seite zum Abschluss des Bandes mit Schnappschüssen von der „Entwicklungsarbeit von Object Links“ wieder aufgegriffen.

Gruber beschreibt, wie das Thema Object Links seit einiger Zeit im Mittelpunkt des Interesses am Kremser Institut steht, und auch, dass ein ständiger Dialog nötig ist, um Interdisziplinarität zu leben. Um diesen Dialog zu gewährleisten, wurde sogar ein Wissenschaftscoach einbezogen. So sollte sichergestellt werden, dass gleichberechtigte Kommunikationsräume entstehen und eine wertschätzende Feedbackkultur gepflegt wird, basierend auf Verständnis, Interesse und Vertrauen. Es wurde auch ein gemeinsames „Begriffsforum“ entwickelt, das im Anschluss an Grubers Beitrag abgedruckt ist. Hier werden die verwendeten Begrifflichkeiten im Stile eines Glossars erläutert. Insgesamt sind knapp 20 Begriffe aus dem Bereich der Object Links aufgeführt. Das Begriffsforum eignet sich als Grundlage für jegliche Beschäftigung mit Materieller Kultur und ist nicht nur für die mediävistische Forschung eine Bereicherung. Gruber betont, dass es sich um kein abgeschlossenes Modell handelt, sondern das Begriffsforum vielmehr zu weiteren Überlegungen und Diskussionen anregen soll. Es ist zu hoffen, dass es rege Verwendung findet!

Jedes Mal, wenn einer der Begriffe in einem Beitrag auftaucht, wird er mit einem Pfeil gekennzeichnet, also quasi verlinkt, sodass man ihn im Begriffsforum nachschlagen kann, was bei der Fülle der verwendeten und eingeführten Begriffe durchaus hilfreich ist.

Das gemeinsame Ziel war es, die Bedeutung von Objektbeziehungen für ein tieferes Verständnis von Materieller Kultur zu eruieren. Die einzelnen Beiträge des Bandes sollten nicht nebeneinanderstehen, sondern aufeinander Bezug nehmen, schreibt Gruber. Da die Beiträge inhaltlich wie stilistisch sehr heterogen sind, geht dieser Aspekt beim Lesen allerdings etwas unter. Nützlich sind die englischen Abstracts, die jedem der Forschungsbeiträge vorangestellt sind.

Den Anfang der Einzelbeiträge, auf die hier nicht im Detail eingegangen werden kann, bildet ebenfalls Elisabeth Gruber mit einer Untersuchung zu Brücken als Objekte der Vernetzung. Sie legt dar, dass Brücken im Mittelalter als Rechtsperson galten und so beispielsweise Rechtsakte besiegeln oder Vermögen erwerben konnten.

Thomas Kühtreiber untersucht einen frühneuzeitlichen Adelshaushalt aus dem oberösterreichischen Windhaag auf die Frage, ob die Forschungsperspektive Object Links auf das Themenfeld der Herrschaftspraktiken gewinnbringend angewendet werden kann. Die Object Links ermöglichen, soziale und physische Phänomene zu verbinden, so wird augenfällig, dass Kulturen des Herrschens Teil der Material Culture Studies sind. Deutlich wird in Kühtreibers Beitrag zudem, wie eng der „Material“ beziehungsweise „Object Turn“ mit dem „Spatial Turn“ verbunden ist. Der Raum spielt bei der Schaffung von Ordnungspraktiken eine zentrale Rolle.

Um Räume geht es auch bei Ingrid Matschinegg, die sich in ihrer Untersuchung Schreibutensilien in Inventaren Habsburger Schlösser aus dem 15. und 16. Jahrhundert widmet. Zur Auswertung der Inventare griff Matschinegg auf die institutseigene Datenbank RaumOrdnungen zu. Sämtliche Objektbezeichnungen aus den Inventaren wurden mit einem eigens entwickelten kontrollierten Vokabular thesauriert. Welche Fragestellungen später damit bearbeitet werden sollten, war bei der Aufnahme der Begriffe sekundär. Da es der Autorin nur um die Objektgruppe „Schreibzeug/Schriftstück“ ging, mussten Schreibtische außer Acht gelassen werden, da diese im Thesaurus unter „Möbel“ einsortiert wurden. Bücher hingegen, die ja vornehmlich mit Lesen und nicht mit Schreiben verbunden sind, wurden hingegen berücksichtigt. Es wäre wünschenswert, wenn die Kategorien der Datenbank in Bezug auf die Fragestellung neu gebildet werden könnten. „Generous Interfaces“, wie sie in den Digital Humanities immer häufiger zum Einsatz kommen, könnten hier zum Vorbild genommen werden.

Um Datenbanken geht es auch im anschließenden Beitrag von Isabella Nicka, konkret um die Bilddatenbank REALonline. Die Autorin bemängelt, dass quantitative Erhebungen von Daten in den eher textorientierten Digital Humanities für Bildmaterial kaum vorliegen. In diesem Beitrag wird dann auch der „Iconic Turn“ als Ergänzung des „Object Turns“ besprochen. Um quantitative Auswertungen zu einzelnen Bildbestandteilen machen zu können, müssen die individuellen Elemente, also die semantischen Komponenten, von Hand festgelegt werden. Aktuell existieren noch zu wenige dichte semantische Daten für Bilddatenbanken zu historischen visuellen Medien und es fehlen digitale Korpora. Nicka erläutert, dass für REALonline strukturiert erfasste Daten zu Verbindungen der semantischen Komponenten erhoben wurden und so quantitative Abfragen getätigt werden können. Die Autorin betont, dass es sich bei REALonline nicht um eine Sammlungsdatenbank handelt. Vielmehr sollten die auf den visuellen Medien des Mittelalters dargestellten Objekte im Kontext der übrigen semantischen Bildelemente erfasst und damit abfragbar gemacht werden. Als Beispiel stellt Nicka unter anderem eine Darstellung der Geburt Mariens von Hans Holbein dem Älteren vor, auf der die abgebildeten Objekte Handlungsabläufe anzeigen. Außerdem existieren Bezüge zwischen den einzelnen Objekten (der Tisch und die darauf abgelegten Gegenstände) sowie Relationen zwischen Objektteilen (der Schlüssel, das Schloss und die Tür). In Zukunft soll es auch möglich werden, das auf den Bildern Dargestellte so zu annotieren, dass Object Links von den abgebildeten Dingen zu anderen Elementen im Bildraum in Analysen eingebunden werden können, die dann letztlich zu qualitativen Untersuchungen zur Bedeutung von historischen visuellen Medien beitragen können.

Sarah Pichlkastner untersucht in ihrem Beitrag Links zwischen Nahrungsmitteln und Personen und deren Aussagekraft für soziale Ungleichheit am Beispiel des Klosterneuburger Bürgerspitals in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Leider erwies sich die Quellenlage als recht dünn, so dass hauptsächlich Aussagen in Bezug auf den Weinkonsum getroffen werden konnten. So tranken die Höhergestellten hochwertigen Wein aus Eigenproduktion, die Ärmeren hingegen zugekauften billigen oder Altbestände. In den meisten anderen Fällen ließen sich nur Vermutungen anstellen.

Wie Object Links für die Textanalyse fruchtbar gemacht werden könnten, zeigt die Untersuchung von Gabriele Schichta am Beispiel zweier Mären. Im Herrgottschnitzer und im Bildschnitzer von Würzburg versucht jeweils ein Geistlicher mit Geld die Gunst einer Verheirateten zu erlangen. Die Frau lässt sich in beiden Geschichten zum Schein auf ein Stelldichein ein, arrangiert aber, dass ihr abwesender Ehemann – ein Holzschnitzer – überraschend zurückkehrt. Der Geistliche versucht sich zwischen den im Haus befindlichen hölzernen Statuen zu verstecken, wird so ebenfalls zum Objekt und kauft sich für eine hohe Summe letztlich selbst dem Schnitzer ab. Schlichta zeigt in ihrem Beitrag, wie Erzähl- und Objektanalyse zusammenspielen können, um zu neuen Perspektiven bei der Textinterpretation zu gelangen.

Den Abschluss des Bandes bildet Heike Schlie mit einer Untersuchung zum Goldschmiedewerk des Nikolaus von Verdun im Stift Klosterneuburg. Hauptaugenmerk liegt auf dem Objektensemble sowie den mit ihm verbundenen Akteuren. Das heute als Verduner Altar bekannte Werk war ursprünglich eine Amboverkleidung. Dargestellt ist die gesamte Heilsgeschichte auf Emailtafeln. Die abgebildeten Szenen werden von der Autorin ausführlich besprochen. Bei der Szene des Tau-Malers muss allerdings darauf hingewiesen werden, dass es sich bei der dargestellten Figur nicht um Aaron persönlich handelt. Das Anbringen des schützenden (Tau-)Zeichens auf die Häuser ist ein gängiges Motiv in der mittelalterlichen Kunst und findet sich beispielsweise auch am nördlichen Westportal der Kathedrale von Reims. Die Szene bezieht sich auf Exodus 12:7–13. Das Zeichen schützt die Erstgeborenen der Israeliten im Übrigen vor der zehnten Plage, nicht vor der siebten.

Schlie macht deutlich, dass Werk und Objekt im Fall der Arbeit Nikolaus’ von Verdun nicht deckungsgleich sind. Anhand der Objektbiographie der Goldschmiedearbeit wird deutlich, dass sich die Object Links des Werks durch die unterschiedliche Verwendung im Laufe der Zeit stark verändert haben, obwohl es am gleichen Ort verblieben ist. Schlie geht im Folgenden auf die syntagmatische Beziehung von Kunstwerk und Ambo sowie Kunstwerk und Altar ein und zeigt sowohl die Bezüge der monumentalen Goldschmiedearbeit zu den übrigen Kunstwerken im Stift bis ins 19. Jahrhundert auf wie auch die Links der Kunstwerke zu Personen und Narrativen. Zum Abschluss schlägt Schlie den Bogen zu Kunstkammern der frühen Neuzeit, die nicht nur Heiligkeit, sondern auch Wissen versammeln. In der jüngeren Forschung zur Kunstkammer wurde, so die Autorin, herausgearbeitet, dass Kunstwerk/Bild nicht von Ding/Objekt zu trennen ist. Schlie fügt hier an, dass die Verknüpfung von Objekten bereits in den sakral-politischen Räumen des Mittelalters Wissen erzeugte und damit den frühneuzeitlichen Kunstkammern vorgreift.

In allen Beiträgen, aber ganz besonders bei Schlie, wird deutlich, dass sich die Bedeutung eines Objekts nur im Netzwerk von Räumen, Dingen, Akteuren und Handlungen verstehen lässt. Das in diesem Band eingeführte Konzept der Object Links erschließt Mechanismen von (historischer) Wissensgenerierung mithilfe interdisziplinärer Perspektiven. Ein lohnenswerter Ansatz, den es weiterzuverfolgen gilt.

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

Titelbild

Institut für Realienkunde des Mittelalters und der frühen Neuzeit (Hg.): Object Links. Dinge in Beziehung.
Böhlau Verlag, Wien 2019.
207 Seiten, 40,00 EUR.
ISBN-13: 9783205209577

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