Dubiöse Geschäfte mit Leihmüttern und Eizellenspenderinnen

Sofi Oksanen greift in ihrem neuen Roman „Hundepark“ ein brisantes Thema auf

Von Liliane StuderRSS-Newsfeed neuer Artikel von Liliane Studer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In manchen westeuropäischen Ländern wie Deutschland, Österreich oder der Schweiz sind Leihmutterschaften verboten. In der Ukraine jedoch kann eine Frau ein Kind austragen und an ein verheiratetes Paar abtreten, wenn jenes mindestens mit einem Elternteil genetisch verwandt ist. In den meisten Fällen kommt es mit dem Samen des Ehemannes zu einer Befruchtung einer Eizelle, die eine weitere Ukrainerin spendet. Das befruchtete Ei wird der Leihmutter eingepflanzt. Nach der Geburt geht das Kind an die Eltern, die den Auftrag erteilt haben. In ihrer Reportage Ein Kind um jeden Preis, erschienen in „Reportagen“ #63, März 2022, gehen die Berliner Wissenschaftsjournalistin Susanne Donner und die Kiewer Reporterin Olha Omelianchuk den Fragen rund um Leihmutterschaft in der Ukraine nach und beleuchten die zum Teil sehr dubiosen Praktiken. 

In wenigen Jahren hat sich die Ukraine zum wichtigsten Land für Leihmutterschaften in Kontinentaleuropa entwickelt. Der rasante Aufstieg fiel mit dem weitgehenden Verbot der Praktik in Indien, Kambodscha, Mexiko und Thailand zusammen, nachdem sich die Skandale dort gehäuft hatten: Bestelleltern holten etwa krank geborene Kinder nicht ab.

Eine Verschärfung der Situation in der Ukraine brachte die Pandemie: Infolge der eingeschränkten Reisemöglichkeiten wurden auch hier bestellte Kinder nicht abgeholt. Doch die im Geschäft führende Firma BioTexCom nutzte die ans Herz greifenden Bilder mit hilflosen Säuglingen, die auf ihre Eltern warteten, um Druck auszuüben, dass zahlreiche Länder den „Reproduktionstourismus“ wieder zuließen. Seit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine dürfte das Geschäft mit der Leihmutterschaft in der Ukraine ein weiteres Mal zusammengebrochen sein. Die Leidtragenden, so die Befürchtung, sind die bereits vielfach ausgenützten Frauen sowie die Säuglinge, die Mächtigen werden einmal mehr davonkommen.

Sofi Oksanen greift in ihrem neuesten Roman Hundepark das Thema Leihmutterschaft in der Ukraine auf und setzt es literarisch um. Die Hauptfigur und Ich-Erzählerin Olenka ist die Tochter eines Ostukrainers und einer Russin. Die Familie lebt erst in Estland, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion kehrt sie zurück in die alte Heimat des Vaters, der sich hier gemeinsam mit zwei Freunden lukrative Geschäfte verspricht. Olenka jedoch verzweifelt in der Provinz und bricht aus nach Paris, wo sie als Model arbeiten will – Frauen aus dem Osten sind gefragt –, aber kläglich scheitert, da sie die Regeln nicht kennt. Sie kehrt zurück und steigt ins Geschäft als Eizellspenderin ein.

Wie bei vielen Spenderinnen greifen die massiven Eingriffe in den Körper rasch ihre Gesundheit an. Doch hat sie Glück und kann innerhalb der Firma in die Administration aufsteigen und Organisatorin und Mädchenakquisiteurin werden. Alle Fragen rund um die Ausbeutung der sehr jungen Frauen, deren gesundheitlichen Gefährdung, der Profite, die einige wenige mit diesem Handel machen, wischt sie weg. Sie schätzt den Luxus, genießt das Bewundert- und Begehrtwerden. Sie verliebt sich heftig in jenen Mann, den sie im Roman als Du anspricht. Unklar bleibt ihr und über lange Strecken auch den Leser:innen die Rolle, die dieser Mann innerhalb des Geschäfts spielt. Allmählich und über viele Umwege stellt sich heraus, dass es da eine gefährliche Verknüpfung gibt zwischen Leihmüttern, Eizellenspenderinnenund satten Gewinnen einiger wenigen Oligarchen. In welche ausweglose Abhängigkeit sich Olenka mit dieser Liebe manövriert hat, ist jedoch nicht zu übersehen.

Der Roman spielt in den Jahren 2008 bis 2016 und pendelt zwischen der Stadt Dnipro in der Ukraine (die bis 2016 Dnipropetrowsk geheißen hat) und Helsinki, wo Olenka seit ihrer Flucht, zu der sie aufgrund gefährlicher Verknüpfungen gezwungen ist, als Putzfrau unter falschem Namen lebt, nachdem ihr der Mord an Viktor Krawez angelastet wird, einem der wichtigen Männer und mit seiner Frau Kunde der rentablen Firma. 

Die andere zentrale weibliche Hauptfigur im Roman ist Daria, eine Jugendfreundin von Olenka, die dank deren Hilfe ins Geschäft kommt und als Spenderin eine glänzende Karriere vorlegt. Schon die Väter der beiden Frauen taten sich in der Ostukraine zusammen und verwickelten sich in dubiosen Geschäften. Als sie jedoch eine Grenze überschritten – nämlich den Vater von Viktor Krawez hinters Licht zu führen –, zögerte dieser nicht lange, und die beiden Compagnons waren weg für immer. Als wenn der komplizierten Verbindungen nicht schon genug wären, wurde Jahre später auch noch eine Eizelle von Daria mit dem Samen des Mörders ihres Vaters befruchtet, da die Samen von Sohn Viktor nicht genügten. Während Jahren haben sich Olenka und Daria aus den Augen verloren, 2016 treffen sie sich wieder im Hundepark in Helsinki, wo der Roman beginnt und endet. Die beiden Ukrainerinnen beobachten argwöhnisch eine finnische Familie mit zwei Kindern, deren Ähnlichkeiten mit Olenka und Daria nicht zu übersehen sind.

Sofi Oksanen, die 1977 als Tochter eines estnischen Vaters und einer finnischen Mutter geboren wurde und heute zu den wichtigsten Autor:innen Finnlands gezählt wird, greift mit Hundepark wie in ihren früheren Romanen ein aktuelles Thema auf. Dass sie sehr genau recherchiert hat, ist offensichtlich. Der Roman gibt Einblick in lukrative Geschäfte, bei denen es um gnadenlose Ausbeutung von armen Frauen durch reiche Männer geht. Eindrücklich zeigt die Autorin jedoch auch, wie Frauen gegeneinander aufgebracht werden. Konkurrenz herrscht zwischen denen, die unbedingt Mutter werden wollen und die hierfür alles in Kauf zu nehmen bereit sind, und jenen, die mit der Ausbeutung ihrer Körper den anderen diesen Wunsch erfüllen – gegen Geld. Konkurrenz gibt es aber auch zwischen den Leihmüttern und Eizellenspenderinnen, wie am Beispiel von Olenka und Daria gezeigt wird. Wobei es dabei vielleicht weniger um Konkurrenz denn um gegenseitige Abhängigkeiten geht. Der Roman zeigt in aller Brutalität, dass es für jene, die einmal ins Geschäft eingestiegen sind, kein Entrinnen gibt. Wenn etwas nicht nach Plan läuft, sind sie die Ersten, die auf der Strecke bleiben.

Titelbild

Sofi Oksanen: Hundepark. Roman.
Aus dem Finnischen von Angela Plöger.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2022.
473 Seiten, 23,00 EUR.
ISBN-13: 9783462000115

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch