Die Gesprächsebene aufrechterhalten

Reinhard Olschanski im Gespräch über Merkmale und Strategien der populistischen Rede

Von Gunnar KaiserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Gunnar Kaiser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Gunnar Kaiser: Herr Olschanski, in Ihrem Buch Der Wille zum Feind betrachten Sie den Populismus dort, wo er „bei sich selbst ist“, in der politischen Rede. Wie kann man denn konkret erkennen, ob eine politische Rede populistisch ist oder nicht?

Reinhard Olschanski: Es gibt in der Rhetorik gewisse Rationalitätsstandards, die teilweise bis zu Aristoteles zurückreichen. In Gerichtsreden zum Beispiel geht es zum einen um die Rekonstruktion eines Sachverhaltes, also um Fakten, zum anderen um die Bewertung derselben. In der politischen Rede kommen diese Teile ganz ähnlich vor. Der Populismus aber geht mit ihnen ganz speziell um. Im Wort „postfaktisch“ lässt sich schon ablesen, dass der Umgang mit den Fakten in der populistischen Rede nicht den üblichen Rationalitätsstandards genügt. Darüber hinaus geht es dem Populismus darum, einen Feind auszudeuten und gegen diesen Feind zu mobilisieren.

Warum ist der Feind geradezu das Hauptmerkmal des populistischen Sprechens?

So wie es in der Werbung heißt „Sex sells“, kann man in der Rede mit einem gut konstruierten „Feind“ alles verkaufen. Um diesen Feind herum wird dann die ganze populistische Welt konstruiert.

Gibt es typische Feindbilder? Oder kann prinzipiell jeder ein Feind sein?

Überall wo man Differenzen ausmachen kann, kann man sie zum Feindbild überhöhen. Feindbilder sind aber zum Teil sehr flüssig. Wenn eine Partei wie die AfD Feinde ausdeutet, dann geht das von Verkehrspolizisten über farbige Fußballnationalspieler bis hin zu Flüchtlingen oder sogenannten „Brüsseler Eurokraten“. Das ist eine riesige Palette – ganz nach dem Motto: „Jeden Tag ein neues Feindbild“.

Dieses Feindbild wird ja nun von den Populisten üblicherweise nicht explizit als solches ausgewiesen. Besteht nicht die Gefahr, dass man dem politischen Gegner unterstellt, er pflege ein solches Feindbild, während er doch nur valide Kritik übt?

Dass der Kerngehalt der Rede gut verkauft wird, ist das A und O. Wenn man einer populistischen Kundgebung zuhört, dann hat man den ‚Originalsprech‘, sozusagen die Muttersprache. Wenn die Leute aber in der Talkshow sitzen, bedienen sie sich einer Zweitsprache. Dann hört sich das oft gar nicht so schlimm an. Das Wort von der „Einwanderung in die Sozialsysteme“ etwa klingt ja erstmal ganz sachlich und trocken; wenn man aber genau nachsieht, wird dort eine Personengruppe identifiziert, zum Beispiel Rumänen und Bulgaren, Menschen aus der Gruppe der Roma, die zu uns kommen und angeblich unsere Sozialsysteme ruinieren. In fast jedem populistischen Statement wird eine Gruppe ausgemacht, die der Feind sein soll.

Wie unterscheidet man aber valide Kritik an Missständen von populistischer Feindbildkonstruktion?

Das ist unter anderem die Aufgabe einer kritischen Faktenrecherche, die sich fragt, ob die Aussagen so stimmen: Wandern hier Gruppen in unser Sozialsystem ein oder sind das nicht vielmehr Gruppen, die Netto-Einzahler sind, weil sie hier arbeiten. So verhält sich das oft nämlich. Man muss dann auch sehen, wie viel Verantwortung den einzelnen Individuen zukommt, wenn sie nämlich nur deswegen auf gewisse Weise handeln, weil die systemischen Zusammenhänge ihnen eigentlich nichts anderes mehr übriglassen. Der Populist tut das nicht; er trennt die Akteure aus den systemischen Zusammenhängen heraus und gibt ihnen eine personale, moralische Schuld für das, was kritisiert wird.

Sodass sie dann als Sündenbock herhalten müssen?

Ja. Es gibt dabei einen biologischen, aber auch einen kulturalistischen Rassismus, der sagt, es soll kein oder nur wenig Austausch stattfinden, die Kulturen und Völker sollen unter sich bleiben et cetera. Dieser kulturalistische Rassismus findet in der Islamophobie seinen gegenwärtigen Kulminationspunkt, wo der Islam der Hauptfeind ist – also eine Religion, die nicht rassisch definiert wird, sondern als „Ideologie“ ins Auge gefasst wird.

Es ist aber doch in der Politik gang und gäbe, dass man zumindest Gegnerschaft hat. Auch Parteien haben doch mitunter zu Recht Feinde, an denen sie sich abarbeiten und ihr Profil schärfen können. Ist denn jeder Politiker schon ein Populist, wenn er einen politischen Feind ausgemacht hat?

Es kommt darauf an. Die Unterscheidung zwischen Gegner und Feind ist hier recht hilfreich. Es ist natürlich auch ein Problem, wenn es in der Politik keine klare Gegnerschaft mehr gibt. Wenn die vertikalen Trennungslinien zwischen den einzelnen Parteien und Lagern nicht mehr sichtbar sind, ziehen viele Leute den Schluss, dass es nur noch die Gegnerschaft zwischen „denen da oben“ und „uns hier unten“ gebe. Das ist sozusagen der Hyperfeind des Populismus. „Die da oben“ stecken angeblich alle unter einer Decke und beschützen uns nicht vor „den Anderen“ – den Verkehrspolizisten, den Flüchtlingen, den Schwulen und Lesben und so weiter.

Gibt es eine Möglichkeit, die Flüchtlings- und Migrationspolitik der Regierung zu kritisieren, ohne Populist zu sein? Wenn man in der Bedrohung durch islamistischen Terror unsere europäische Identität gefährdet sieht, kann man das auf unpopulistische Weise ansprechen?

Ich weiß zwar nicht, inwiefern unsere europäische Identität dadurch gefährdet ist, aber ich glaube, dass wir angesichts dieser Probleme ein Stück weit sprachlos gemacht wurden, weil durch die ständigen Wiederholungen in den Medien die Assoziationsstrukturen und Frames so in den Köpfen verankert sind, dass jedes Aufrufen des Themas Gegensatzwelten konstruiert, in denen eine rationale Beschäftigung mit dem Problem kaum mehr möglich ist. Vielleicht sollten die Medien und die Teile der etablierten Politik, die das immer wieder bedienen, aufhören, das Thema ständig hochzukochen, und stattdessen an eine lange und mühselige Arbeit der Konfliktlösung gehen.

Ist die Forderung von Volksbegehren in Abgrenzung zu einer Elitenherrschaft auch eine genuin populistische Forderung?

Es ist natürlich gut und richtig, dass man Demokratie weiterentwickelt und nicht nur ein aus der Distanz agierendes Parlament hat. Aber der Populismus weiß auch sehr gut, dass er mittels seiner Feindkonstruktionen bei solchen Volksabstimmungen mitunter ganz gute Karten hat.

Das heißt, es gibt eine Art gute direkte Demokratie und eine schlechte, wenn sie den Populisten in die Hände fällt?

Sie ist dann schlecht, wenn sie zulässt, dass Grundwerte von demokratisch-liberalen Verfassungen in Frage gestellt werden, oder wenn ohne Rücksicht auf Verfassung und Menschenrechte die Einführung der Todesstrafe propagiert wird.

Was sind die rhetorischen Kniffe der populistischen Rede?

Populisten versuchen in besonderer Weise, ihre Hörerschaft als homogene Gruppe, als „das Volk“ etwa, anzusprechen. Es gibt dann auch den Versuch von Rednern, sich als „Mann aus dem Volke“ zu präsentieren – „ich bin einer von euch“. Es wird ein Mythos erzählt – des Volkes, des Abendlandes, der christlichen Familie, was immer das im Einzelnen sein mag. Aber auch der Mythos des „Jedermann“ gehört dazu – des einfachen, durchschnittlichen, normalen Bürgers, der Andersheit angeblich ablehnt.

Sind nicht auch Anti-Kapitalismus, Anti-Globalisierung oder Anti-Faschismus Gegenbewegungen, die einen Feind brauchen? In Ihrem Buch sprechen Sie viel vom Rechtspopulismus. Gibt es dementsprechend auch einen Linkspopulismus und hat er auch ein ausgedeutetes Feindbild?

Eigentlich ist die gesellschaftliche Linke ja die politische Strömung, die stärker an Rationalität orientiert ist. Sie ist von der Untersuchung dessen getrieben, was faktisch ist. Marx und Engels haben ihre Lehre als wissenschaftlichen Sozialismus bezeichnet, und vieles in ihren ökonomischen Arbeiten ist faktisch harte Fachwissenschaft – und nicht die Mythisierung, die Sie etwa in einer Höcke-Rede finden.

Aber faktisch hält die Linke – oder das, was manchmal nur so genannt wird – das nicht durch. Hugo Chávez etwa hatte ein klar ausgedeutetes Feindbild, oder nehmen Sie den Stalinismus mit seinen brutalen Feindbildkonstruktionen.

Bei der durch Marx und Engels inspirierten Ideologie gibt es doch auch ein klares Freund-Feind-Schema – die Kapitalisten gegen das Proletariat …

Da muss man unterscheiden, denn Marx spricht ja vom personifizierten Kapital, von Charaktermasken, die den Marktprozess sozusagen widerspiegeln. Kapitalisten tun das, was der Markt ihnen auferlegt, sodass dort eigentlich kein Feind konstruiert werden kann.

Aber Sie haben natürlich recht, dass das in der Praxis nicht immer und überall so ist. Sartre hat untersucht, wie die Klassen-Antagonismen im Frankreich des 19. Jahrhunderts zu Hass-Antagonismen geworden sind: Arbeiter und Unternehmer haben sich bis aufs Blut bekämpft, gesellschaftliche Konflikte wurden nicht rational gelöst, sondern es ging nur darum, den anderen vollkommen zu negieren, während in anderen, kapitalistischeren Ländern die Konflikte nicht so auf die Spitze getrieben wurden. Es geht auch in harten Konflikten darum, die Gesprächsebene aufrechtzuerhalten.

Es ist auch eine Tendenz zu beobachten, denjenigen, mit dem man nicht einer Meinung ist, als Populisten zu diffamieren – ihn gleichsam als Feind zu konstruieren. Macht der Populismuskritiker sich nicht dessen schuldig, was er kritisiert und wird selber zum Populisten?

Es gibt tatsächlich eine Inflation des Populismusbegriffs: Oft wird auch nur der, der jemandem nicht passt, als Populist bezeichnet. Aber ich hoffe, mein Versuch, den Populismus als Bewegung zu bestimmen, die eine Gruppe als Feind ausdeutet, der moralisch abgestempelt wird und mit dem kein Gespräch mehr möglich sein soll, kann hier einen Beitrag zu einer genaueren Bestimmung leisten.

Herr Olschanski, ich danke Ihnen für das Gespräch.

Titelbild

Reinhard Olschanski: Der Wille zum Feind. Über populistische Rhetorik.
Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2017.
200 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783770562169

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch