Vom im Leben verlorenen Leben

Im Roman „Als der Kaiser ein Gott war“ erzählt Julie Otsuka von einem dunklen Kapitel amerikanischer Geschichte, das selbst vielen US-Amerikanern unbekannt ist

Von Susanne OpfermannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Susanne Opfermann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Zwangsinternierung von über 120.000 Personen japanischer Herkunft – zumeist amerikanische Staatsbürger – während der Kriegsjahre 1942 bis 1945 ist der Hintergrund von Julie Otsukas historischem Roman Als der Kaiser ein Gott war. Die gesamte japanisch-stämmige Bevölkerung der amerikanischen Pazifikküste (übrigens auch der kanadischen) wurde deportiert und auf zehn sogenannte „Concentration Camps“ im amerikanischen Nirgendwo verteilt, meist in der Wüste, wo sie hinter Stacheldraht lebten, von bewaffneten Soldaten bewacht – ohne Anklage, ohne Strafanzeigen, ohne Prozess. Man hätte ihnen auch nicht wirklich etwas vorwerfen können, denn der Grund ihrer Internierung war ausschließlich ihre japanische Abstammung. Nach dem unerwarteten japanischen Angriff auf Pearl Harbor am 7. Dezember 1941 lebten US-Regierung und Bevölkerung in einer nahezu hysterischen Furcht vor einem japanischen Angriff auf das amerikanische Festland, und die Deportationen galten als militärisch notwendige Sicherheitsmaßnahme.

Otsukas Roman erzählt von einer gut situierten japanisch-amerikanischen Familie und setzt im Frühling 1942 kurz vor der Evakuierung ein. Der Vater ist bereits vom FBI verhaftet worden; die Mutter, die den überall öffentlich angeschlagenen Evakuierungsbefehl liest, bereitet sich sowie die 10-jährige Tochter und den 7-jährigen Sohn vor, indem sie das Nötigste packt – es darf nur mitgenommen werden, was man tragen kann. Sie gibt die Katze zu den Nachbarn, lässt den Graupapagei frei und füttert ein letztes Mal den alten Hund der Familie, den sie anschließend totschlägt und beerdigt. Tiere dürfen nicht mitgenommen werden. Die nächsten Monate haust die Familie mit anderen zusammen in den alten Pferdeboxen hinter der Rennbahn, bis die eilig zusammengezimmerten Barackenlager im Hinterland fertig sind. Mit dem Zug werden sie tagelang transportiert, enden im Lager Topaz, einem desolaten Ort in der Salzwüste von Utah, wo es im Sommer extrem heiß und im Winter eisig kalt, aber immer staubig ist. Nichts wächst dort, nichts gibt es dort zu tun. Nach über drei Jahren werden sie in ihr Haus zurückkehren, in dem in der Zwischenzeit Fremde wohnten und das völlig verdreckt ist. Auch der Vater kehrt zurück aus der Gefangenschaft, aber von der jahrelangen Haft ist er gebrochen und hat keine Ähnlichkeit mehr mit dem Mann, an den sich die Kinder während ihrer langen Abwesenheit erinnert haben. Er findet keine Arbeit mehr und so muss die Mutter die Familie ernähren, indem sie putzen geht. Im letzten Kapitel hat der Vater das Wort und „gesteht“, was man von ihm hören will, indem er jede Infamie, die man japanischen Amerikanern damals vorgeworfen hat, aufzählt und sich ihrer schuldig bekennt.

Die Geschichte ist Fiktion, aber in historischer Hinsicht solide recherchiert. Dass die erzählten Schicksale für viele stehen, wird durch die Namenlosigkeit der Protagonisten unterstrichen. Sie sind „die Frau“, „der Junge“, „das Mädchen“, während Nebenfiguren mit vollem Namen genannt sind. Die Erzählstimme wechselt von der Frau zum Mädchen, zum Jungen, oder auch zu einem familiären „wir“. Es wird berichtet, was geschieht oder beobachtet wird, aber wichtiger noch ist, was nicht erzählt wird: Von Gefühlen wird praktisch nicht gesprochen. Die Figuren bewegen sich wie in einem Nebel, sie bleiben unzugänglich. Dieser weitgehende erzählerische Verzicht auf ein Innenleben der Charaktere ist evokativ, indem er die Gefühlsarbeit an die LeserInnen delegiert, aber er wirkt auch distanziert und unpersönlich. Es fällt schwer, mit den Figuren zu fühlen, auch weil sie das, was ihnen geschieht, einfach hinnehmen, ohne es zu reflektieren oder zu hinterfragen. Von dem Leben, das den Charakteren durch die jahrelange Gefangenschaft verlorengeht, wird nicht gesprochen. Gerade diese Unpersönlichkeit berührt aber auch die Lesenden; der Roman weckt fatale Erinnerungen an andere Deportationen, aber auch an die aktuelle Situation, in der Tausende unfreiwillig in Lagern hausen müssen.

Als der Kaiser ein Gott war (im Original: When the Emperor was Divine) ist der erste Roman von Otsuka; er erschien in den USA bereits 2002. Mit The Buddha in the Attic (deutsch: Wovon wir träumten, 2012) wandte sich Otsuka 2011 noch einmal der Thematik zu, erzählte dort aber die Vorgeschichte der Deportationen und Internierungen. Literarisch ist Wovon wir träumten der stärkere Text, aber die historische Ungerechtigkeit der Internierungszeit, die lange totgeschwiegen wurde und für die sich die amerikanische Regierung erst 1988 offiziell entschuldigte, verfehlt auch hier ihre Wirkung nicht. Das Buch ist eindrucksvoll. Die Übersetzerin Irma Wehrli hat es in ein zugängliches Deutsch übertragen und mit einigen Anmerkungen für die deutschen Leser versehen.

Titelbild

Julie Otsuka: Als der Kaiser ein Gott war. Roman.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Irma Wehrli.
Lenos Verlag, Basel 2019.
189 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783857874994

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