Sozial-Tragikomödie im Bärenkostüm

James Gould-Bourn legt einen unterhaltsamen Erstling mit Tiefgang vor

Von Martin GaiserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Gaiser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Immer wieder entbrennt die Diskussion, ob man schreiben lernen kann und ob Schreibschulen, Creative-Writing-Kurse und andere Maßnahmen eine vorhandene Begabung in die richtige Richtung lenken können, woraus dann möglicherweise Literatur wird. Oder zumindest eine Publikation.

Der 1982 in Manchester geborene und heute in Vilnius lebende James Gould-Bourn, der an der Londoner Faber Academy einen Schreibkurs belegt hat, ist der lebende Beweis dafür, dass es klappen kann. Sein Debütroman Pandatage ist eine außerordentlich geglückte Mischung aus originellen Figuren (bis in die Nebenfiguren hinein konsequent durchgehalten), einigermaßen glaubwürdiger Geschichte, perfekt dosierter Traurigkeit und Melancholie und vielen Prisen frischen Humors. Dazu mit Schwung und guten Wendungen erzählt. Klar, vieles davon wird von besagter Weiterbildung kommen, doch wenn es bei den Lesern gut ankommt, haben alle Beteiligten alles richtig gemacht.

Pandatage erzählt von zwei schwer beschädigten Menschen, die sich beide in ihre Trauer um den geliebten Menschen einkapseln. Da ist Danny Malooley, noch keine dreißig Jahre alt, ungelernter Bauarbeiter und da ist sein Sohn Will, elf Jahre alt. Vor etwa einem Jahr saßen Will und seine Mutter Liz gemeinsam im Auto, als eine Eisplatte auf einer Landstraße eine Halbwaise aus ihm machte. Seit diesem Tag spricht Will nicht mehr, laut seiner Schulleiterin nennt man das Phänomen selektiven Mutismus.

„Wow. Ich wünschte, meine Kinder hätten das auch.“ Der das sagt, ist Mr. Coleman, der neue Vertretungslehrer in Wills Klasse, der im Verlauf des Buches zwar kaum auftaucht, aber eine wichtige Rolle hat. Dieser Ausspruch veranschaulicht sehr gut, wie gekonnt James Gould-Bourn die Stimmungen seines Buches ausbalanciert, Trauer und Probleme in einem Satz, ein gut gesetzter Spruch im nächsten, das hat komödiantische Qualität. So leben also Vater und Sohn unter einem Dach, haben jedoch nahezu keinen Kontakt, zumal Will sein Frühstück nicht anrührt und fast nur seinen Freund Mo an sich ranlässt – die beiden werden regelmäßig von einer ätzenden Dreiergang angepöbelt und gehänselt, auch schon mal gewürgt und geschlagen. Kein leichtes Leben für den Jungen.

Und seinem leidgeprüften Vater geht es nicht besser: Auf der Baustelle, wo er als Hilfsarbeiter ohnedies zu wenig verdient (seit Liz‘ Gehalt fehlt, wächst der Stapel der unbezahlten Rechnungen schnell und schneller), wird ihm gekündigt, sein Vermieter, ein gewisser Reg, fies, gewalttätig und geldgeil, droht ihm wegen Mietrückstands nicht nur den Rauswurf an, sondern auch noch mit Mr. Dent, seinem mit einem Zimmermannshammer bewehrten Vollstrecker. Was also tun?

Danny streift durch London, klappert Baustellen ab und holt sich eine Absage nach der anderen. Als er eines Tages in einem Park sitzt und sich durch seine deprimierenden Mails klickt, fallen ihm die vielen Schausteller, Musiker, Straßenkünstler und schrägen Vögel auf, die dort ihre Talente und Gags demonstrieren, sich originell kostümiert haben und mit Tieren und Instrumenten auf sich (und die vor ihnen liegenden Geldschalen) aufmerksam machen. In einem schummrigen Kostümverleih erwirbt er ein sehr günstiges Pandabärenkostüm (billiger wäre nur noch das Boris-Johnson-Kostüm gewesen), das der Verkäufer folgendermaßen anpreist: „‚Ich will Ihnen nichts vormachen‘, sagte der Mann. ‚Irgendein junger Bursche hat es für die Einführungswoche an der Uni ausgeliehen und sich vollgekotzt. Verstehen Sie mich nicht falsch, es ist komplett sauber, aber es riecht noch ganz leicht nach Jägermeisterkotze.‘“

Eigentlich könnte nun Dannys neue Karriere beginnen, doch ein Bär, der nicht tanzt und auch sonst nichts kann, ist eine ziemlich traurige Gestalt, zumal seine Geldschale leer bleibt. Allerdings hat sein neuer Arbeitsplatz (von dem sein nach wie vor stummer Sohn natürlich keinen Schimmer hat) auch einen Vorteil: Eines Tages beobachtet Danny (als Panda), wie sein Sohn von Mark und dessen Gang wieder einmal belästigt wird. Er schreitet ein und was niemand für möglich gehalten hätte (er, Danny, am allerwenigsten), geschieht: Will fasst Vertrauen zu dem Panda bzw. dem Pandadarsteller und beginnt zu sprechen.

Nun kommt in diesem turbulenten und vielseitigen Roman eines zum anderen, Danny lernt eine Pole Dance-Artistin kennen, die es tatsächlich auf sich nimmt, ihm, der keinerlei Tanzbegabung hat, genau dies beibringen zu wollen. Krystal ist eine erbarmungslose Trainerin. Als er ihr von seinen Schulden und der von Reg angedrohten Gewalt erzählt und davon, bei einem Straßenartistik-Wettbewerb mitmachen zu wollen, dessen Hauptgewinn ihn aller Sorgen entledigen würde, blafft sie ihn auf die Frage nach etwas mehr Nachsicht folgendermaßen an: „‘Du kannst machen, was du willst, Danny. Von mir aus kannst du dich auf die Bühne stellen und den Donauwalzer durch eine zusammengerollte Zeitung furzen. Ich bin nicht diejenige, die zu Katzenfutter verarbeitet wird, wenn du verlierst.‘“

Ja, Pandatage ist ein flott erzähltes, in den Dialogen extrem pointiertes Buch, das viele gute Aspekte in Bezug auf Politik, Sozialstaat, gesellschaftliches Leben in London mit Dannys und Wills ganz privater Situation gekonnt verknüpft. James Gould-Bourn schafft es scheinbar ohne besondere Anstrengung, die diversen Facetten seines Erstlings souverän zu bündeln und so einen Roman mit großem Unterhaltungswert vorzulegen. Und auch zum Ende hin hat er noch ein paar Erzählerasse im Ärmel.

Titelbild

James Gould-Borne: Pandatage.
Aus dem Englischen von Stephan Kleiner.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2020.
384 Seiten , 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783462053647

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