Poetisches über die fünf Bücher Mose

Matthias Hermann lädt in „Heilige Haikai“ zu ganz besonderen biblischen Exkursionen ein

Von Thorsten PaprotnyRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thorsten Paprotny

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zur spielerischen Leichtigkeit laden die fünf Bücher Mose in der Bibel nicht ein, aber ein lyrischer Umgang mit der Prosa der Tora oder auch des Alten Testaments erweist sich als tiefgründig, ist also ungleich mehr als eine staunenswert anmutende Stilübung. Matthias Hermann überträgt die biblische Weisheit, am hebräischen Text arbeitend, in eine japanische Gedichtform und lässt so vielfarbig den religiösen Klassiker schlechthin aufleuchten.

Der Schöpfer, hier „GOtt“ genannt, trennt also Licht und Finsternis, und sieht sein Werk, das gut war und doch nicht so vollkommen wie er selbst. Oder doch? Denn eine „Nacktschnecke“ oder „Blindschleiche“ ist unterwegs, versucherisch gesinnt. Wir „Früchtchen“, die Menschen also, sehen, sündig geworden, nicht, ja „nimmer mehr“ – „Wes Fruchtes wir seien“. Hermann deutet nicht, deutet nur an, in seinen Versen und überlässt seiner Leserschaft, allesamt „Früchtchen“, darüber nachzudenken, wie ihnen nach dem Sündenfall der Stammeltern Adam und Eva zumute sein könnte oder sollte. Er schildert sodann die Welt in seiner Sprache, spricht über Recht und Ordnung, den „bracken Weiher“ und die „frische Windsbraut“, ermuntert damit auch, sich wieder einmal genauer schriftkundig zu machen und dabei zu entdecken, wie sehr sich die Übersetzungen der hebräischen Bibel doch vom Originaltext gelöst zu haben scheinen, der Verständlichkeit wegen, an der es diesen Haikai manchmal mangelt. Doch poetische Momente schenken dafür die stille Schönheit kontemplativen Lesens:

Den Grund des Sees läßt
Ein Windhauch aufsteigen im
Sinkenden Nebel.

Was gesagt oder gemeint sein könnte, bleibt auch in der Schwebe. Die Nebel der zugehörigen Gedanken lichten sich nicht so leicht. Doch Luther sorgt für Klarheit, nicht seine Übersetzung, aber das Tintenfass, das er – der Legende nach – dem Teufel entgegenschleuderte, um ihn zu bannen:

In fester Wartburg
Geworfen Tinte rot nach
Dem Dämon in sich.

Diese alttestamentliche Erkenntnislehre überzeugt sofort. Luther vermochte die Dämonen, die sich in ihn eingehaust hatten, zwar zu erkennen, nicht aber zu verscheuchen. Der Teufel blieb damit sein Weggefährte. Doch wer diesen Band liest, bleibt wie der „Schiffbrüchige“, der doch rufen möchte: Land in Sicht, aber hier ist „See in Sicht!“ So fährt man hinaus und kommt nirgends an, vielleicht in einem Zauberland der Sprache und strandet wieder und wieder in Beispielen, die an philosophische Rätsel erinnern, faszinierend und unlösbar zugleich:

Freiheit und Sein im
Großen widerstreben wir
im Ganzen nach Glück.

So erschließt sich bedauerlicherweise nicht, was der Dichter seinen Leserinnen und Lesern sagen möchte. Bewundern dürfen wir die Versschmiedekunst, aber ratlos bleiben gewiss nicht wenige, die sich an dieser Lyrik gern erfreuen würden, vor dieser poetischen Bibelkunde.

Titelbild

Matthias Hermann: Heilige Haikai. 17-Silben-Einkehr zur Bibel. Mit Illustrationen von Volker Bauer und einer Einführung von Judith Hélène Stadler.
Edition Noack & Block, Berlin 2024.
138 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783868132014

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