Existentielle Krisen und scheiternde Beziehungen

Der zehnte Band der der Salzburger Edition der Werke Ingeborg Bachmanns enthält das Kriegstagebuch über ihre Liebesbeziehung zu dem englischen Besatzungssoldaten Jack Hamesh und das „Neapolitanische Tagebuch“ über ihre Zeit mit Hans Werner Henze

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Alles Verständnis kommt ja durch die Form“, schreibt Ingeborg Bachmann in ihrem „Neapolitanischen Tagebuch“, erst durch das Aufschreiben, durch das sprachliche Gestalten werden Beziehungen und Begebenheiten verständlich, kann man sie sich anverwandeln:

Zwar tröstet die Kunst nicht, aber sie gewährt Schutz. Während wir sehen, hören, aufnehmen, während sie uns die Hand auflegt, berührt andres uns nicht. Wir treten auch in ihre besondere Ordnung ein, die von ihren Formen kommt. In eine Ordnung, eine Form, auf die das Leben wohl hinweist, aber selbst nicht aufweist.

Zwei Tagebücher und viele unverbundene Notizen sind jetzt im zehnten Band der Salzburger Edition der Werke Ingeborg Bachmanns erschienen, neben dem „Neapolitanischen Tagebuch“, das von ihrer Zeit mit dem Komponisten Hans Werner Henze erzählt, den sie auf einer Tagung der Gruppe 47 kennenlernte, auch das „Kriegstagebuch“. Gegensätzlicher könnten die beiden Perioden nicht sein: Das von den Herausgeberinnen sogenannte „Kriegstagebuch“, das auch die Zeit kurz nach dem Krieg umfasst und von Hans Höller bereits 2010 publiziert worden ist, schreibt fast durchweg positiv von ihrem Leben. Es beginnt mit dem jungmädchenhaften Satz: „Mein geliebtes Tagebuch, jetzt bin ich gerettet. Ich muss nicht nach Polen und nicht zur Panzerfaustausbildung.“ Vor allem erzählt Bachmann von ihrer Liebesbeziehung mit dem britischen Besatzungssoldaten Jack Hamesh, der aus Wien stammte: „Das ist der schönste Sommer meines Lebens, und wenn ich hundert Jahre alt werde“, schreibt sie – was für ein Gegensatz zu den späteren unglücklichen Beziehungen zu Henze, Paul Celan und Max Frisch oder ihren kurzen Affären. Die klugen Kommentare der Herausgeberinnen stellen die Notizen in einen größeren Zusammenhang und zeigen vor allem eine junge Frau im Aufbruch, die kurze Zeit später die Provinz verlässt, um Philosophie zu studieren und, noch etwas später, durch ihre Gedichte berühmt wird: „Ich werde studieren, arbeiten, schreiben! Ich lebe ja, ich lebe“, heißt es hier noch hoffnungsfroh.

Das „Neapolitanische Tagebuch“, das zum ersten Mal aus dem Nachlass veröffentlicht wird, erzählt vom schwierigen Zusammenleben mit dem Komponisten Henze in Neapel und auf Ischia, von Februar 1956 bis Ende September. Von Bachmanns Enttäuschung, dass sich daraus trotz mancher guten Zusammenarbeit keine längere, feste Liebesbeziehung entwickelt: Henze war homosexuell, Bachmann zunehmend frustriert: „Mir ist zum Sterben elend. Jeder Bauernjunge hat mehr Reiz für ihn als ich.“ Zudem hatte die Beziehung ein Gefälle, Henze war damals bereits berühmt, Bachmann stand noch am Anfang ihrer Karriere, obwohl sie bereits 1953 den Preis der Gruppe 47 für „Die gestundete Zeit“ bekommen hatte und 1954 eine Titelgeschichte im „Spiegel“. 1956 erschien dann ihr zweiter Gedichtband „Anrufung des Großen Bären“.

Was Bachmann auch gedanklich und emotional umtrieb und dem Band den Titel „Senza casa“ gab, war ihr „Unbehaustsein“, nicht nur ihr Getriebensein durch Europa mit Aufenthalten in Wien, Klagenfurt, Paris, Rom und an mehreren Orten in Deutschland, wo sie Lesereisen unternahm, sondern auch die nicht gelöste Spannung zwischen ihrem Wunsch, als freie Autorin zu leben, und der Einsicht, dass sie von den Büchern und Preisen allein nicht überleben kann: Kurz zuvor hatte sie ihre feste Redakteursstelle in Wien gekündigt. Zudem war in den 50er-Jahren eine unabhängige Frauenexistenz nicht vorgesehen, aber in die vorgegebenen konservativen Muster wollte Bachmann sich nicht einfügen. Hier tauchen auch zum ersten Mal Selbstmordgedanken auf, das Leben ist düster und verschattet sich immer wieder: „Das Leben ist ein Monolog geworden. Weniger Kulissen. Man spielt im Dunkeln. Alle sind längst heimgegangen. Aber man kann ja nicht heimgehen. Senza casa. Sono senza casa“, schreibt Bachmann am 15. Februar 1956. Und trotz vieler Reisen leidet sie unter „pathologischer Angst vor Ortsveränderung“.

Da es nur wenige autobiografische Zeugnisse der Autorin gibt, ist dieser Band ein wichtiger Mosaikbaustein, um ihr Leben und damit auch ihre Literatur, die oft genug eng miteinander verzahnt sind, genauer zu verstehen. Wie auch der 2017 erschienene Band „Male oscuro“, der „Aufzeichnungen aus der Zeit der Krankheit“ kurz vor und nach der Trennung von Max Frisch enthielt, zeigt sich in „Senza casa“ eine sensible, verletzte Frau, die stets auf der Suche nach einem Fixpunkt war, die von existentiellen Krisen erschüttert wurde, von scheiternden Beziehungen zu Max Frisch oder eben Hans Werner Henze: „So vergeblich zu lieben ist wie zum Tod verurteilt sein, jeden Tag aufs Neue, und nicht zu sterben.“ Und sie notiert ihre „stückhafte und unerfüllte Existenz“ und schreibt über „die ganze vergangene Strindbergzeit, die Hölle oder das Fegefeuer“, das sie mit Celan erlebt hat.

Auf Ischia, wohin Henze sie in die internationale Künstlerkolonie eingeladen hat, lebt Bachmann mit dem „furchtbaren, erstickenden Gefühl, ganz überflüssig zu sein, nichts zu können, das Einfache nicht zu können“. Andererseits notierte sie: „Es gibt Stunden, wo ich bereit wäre und bin, jede Erniedrigung anzunehmen, nur um ihn noch einmal zu sehen, seine Hände und seine Augen und irgendetwas Unnennbares in seinem Gesicht, das immer zwischen Unwirklichkeit und Wirklichkeit hin- und herfliegt.“ Und dennoch weiß sie, dass „Bleiben tödlich und Fortgehen keine Lösung“ ist.

Titelbild

Ingeborg Bachmann: „Senza casa“. Autobiographische Skizzen, Notate und Tagebucheintragungen.
Salzburger Bachmann Edition.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2024.
336 Seiten , 42,00 EUR.
ISBN-13: 9783518431573

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