Ein Zeugnis beispielloser Grausamkeit?
Vlad III. Draculea im Spiegel eines zeitgenössischen Berichtes, herausgegeben von Christof Paulus und Gabriele Annas
Von Martin Meier
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseVlad III. Draculea gehört zu jenen historischen Persönlichkeiten, die vor allem durch ihre literarischen Adaptionen im öffentlichen Gedächtnis verankert sind. Seit Veröffentlichung des berühmten Bram-Stoker-Romans Dracula erfreut sich der „Pfählerfürst“ ungebrochenen künstlerischen und kulturellen Interesses. Auch die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem walachischen Bojaren setzte bereits vor einem Jahrhundert ein. Andererseits ist die historische Persönlichkeit Vlads III. erst seit ungefähr fünfzig Jahren Gegenstand intensiverer Forschung. Mit der Publikation sämtlicher überlieferter Textquellen wurde 2013 mit dem mehrbändigen Corpus Draculianum begonnen.
Gabriele Annas und Christoph Paulus legen nun eine umfassend erörterte und akribisch kommentierte Fassung der in acht spätmittelalterlichen Handschriften überlieferten sogenannten Deutschen Berichte über Vlad III. Draculea vor. Hierbei gehen sie zunächst von der Biografie Vlads III. aus, erörtern kurz die historisch politischen Gegebenheiten, um schließlich die von ihnen untersuchte Quelle genauer darzustellen. Dem gegenwärtigen Forschungsstand zum Leben Vlads III. Draculea widmet sich der zweite Abschnitt der Einleitung. Hier wird unter anderem auch die umfassende Quellensituation mit Dokumenten in zahlreichen Sprachen verdeutlicht, obgleich Vlad III. Draculea selbst kaum Quellen hinterließ. Neben rumänischen und englischsprachigen Dokumentationen wird auf das in den letzten Jahren entstandene Corpus Draculianum hingewiesen, das ebenso wie andere Arbeiten und Dokumentationen darauf abzielt, eine Rehistorisierung des „Pfählerfürsten“ jenseits der „geläufigen legitimatorischen Dracula-Narrative“ zu bewirken. Ihr dient auch die vorliegende Schrift, was die Autoren schon durch die Bezeichnung Deutsche Berichte statt der gängigen „Deutsche[n] Geschichten“ verdeutlichen.
Im 20. Jahrhundert wurde Vlad III. Draculea durch die Politik instrumentalisiert, etwa unter Ceauşescu oder Trajan Băsescu. Ob dieses Hervorheben der Verdienste Vlads um die Verteidigung der Walachei durch rumänische Politiker im ersten Abschnitt als „nationalistische Instrumentalisierung“ bezeichnet werden muss, mag dahingestellt bleiben.
Im Zuge einer umfassenden Beschreibung der handschriftlichen Überlieferung setzen sich die Verfasser in Abschnitt B mit Fragen nach Herkunft und realem Hintergrund der Deutschen Berichte auseinander, um, das Kapitel abschließend, auf „rezeptionsgeschichtliche Grundlinien“ einzugehen. Diese interdisziplinären Betrachtungen, die auch sprachliche Aspekte sowie Parallelüberlieferungen berücksichtigen, bieten einen tieferen Einblick in die diffizile historisch-politische Situation auf dem Balkan. Die Walachei und Moldau – zwei Territorien, die im Wechselspiel der größeren Mächte Ungarn und dem Osmanischen Reich bestrebt waren, ihre Unabhängigkeit zu wahren – sowie das gleichsam zur ungarischen Krone gehörende, jedoch autonome Siebenbürgen stellten aus ungarischer Sicht wichtige Bollwerke gegen die Türken dar. Der zwischen 1429 und 1436 geborene Vlad III. trat, nachdem er am osmanischen Hof Einblicke in das türkische Heerwesen erhalten hatte und erste militärische Erfolge vorweisen konnte, 1448 für einen kurzen Zeitraum die Herrschaft über das Fürstentum Walachei an. Da er sich jedoch, als ihm die Osmanen die Unterstützung entzogen, nicht gegen einen dem ungarischen Hof verbundenen Prätendenten behauptete, ging er ins Exil.
Nachdem es ihm 1456 gelang, die Herrschaft erneut zu erringen, wurde er Anfang des Jahres 1463 in Ofen mit der Begründung gefangen gesetzt, er habe Transsylvanien dem Einfluss des Osmanischen Reiches ausgeliefert und somit demselben den Zugriff auf Ungarn eröffnet. Die Entstehung der Deutschen Berichte steht in unmittelbarem Zusammenhang mit diesem Ereignis. Im Mai 1475 wurde der den Ungarn aufgrund seiner Erfahrung im Kampf gegen die Türken unverzichtbar erscheinende Feldherr rehabilitiert; nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass zu diesem Zeitpunkt auch Moldau von den Osmanen bedroht wurde. Nach weitreichenden militärischen Erfolgen wurde der Bojare um die Jahreswende 1476/77 getötet und seine Kopfhaut dem türkischen Sultan Mehmet II. überbracht.
Entstehungszusammenhang und -ort der Deutschen Berichte sind umstritten. Neben der Vermutung, es handle sich um eine Darstellung aus dem Umfeld der Siebenbürger Kaufleute, hat vor allem die These Zuspruch gefunden, es liege eine ungarische Propagandaschrift vor. Ihr erster Druck erfolgte 1488. Auf nur sechs Seiten schildern die Berichte Episoden aus dem Leben Vlad III. Draculeas. Der Fokus liegt hier auf der Darstellung der Unmenschlichkeit des Walachen.
Abschnitt B liefert neben den bereits erwähnten Erörterungen auch „literarisch-motivgeschichtliche Betrachtungen“. Annas und Paulus verweisen hier auf antike, biblische und interkulturelle Bezüge. Diese wirken im letzteren Falle etwas konstruiert, indem hier auf den doch recht lapidar anmutenden Fakt hingewiesen wird, dass in zeitgenössischen Quellen auch den Türken Grausamkeiten zugeschrieben wurden.
In dem nur vierseitigen Abschnitt C bieten die Verfasser eine dezidierte Zusammenfassung unter der Überschrift Wie aus Geschichte Geschichten wurden. Hier verdeutlichen Annas und Paulus basierend auf ihren bisherigen Erörterungen, dass es sich bei den Deutschen Berichten mit großer Wahrscheinlichkeit um eine am ungarischen Hof entstandene Propagandaschrift handelt, die sich unter anderem auf die vorhandenen „siebenbürgischen Informationsquellen stützen“ solle. Bereits unmittelbar nach der Inhaftierung des Bojaren war 1462/63 eine lateinische Fassung in Ungarn erschienen, die darauf abzielte, Vlad III. in einem möglichst grausamen Licht erscheinen zu lassen. Ursächlich hierfür war die ungarischerseits ruchbar gewordene Annäherung des Walachen an den osmanischen Sultan Mehmet II.
Die in den Deutschen Berichten präsentierten Taten des „Pfählers“ sind von beispielloser Grausamkeit, wie die nun in Abschnitt D dargebotene vorbildliche Edition zeigt. Die verschiedenen Handschriften werden hier, nach einer genauen provenienzbezogenen Beschreibung, episodenweise nebeneinander präsentiert, um dem Leser die Möglichkeit zu eröffnen jede noch so kleine Variation nachvollziehen zu können. Dem historisch-kritisch bearbeiteten Text folgt zudem ein umfassender Kommentar jeder einzelnen Episode, mit dem die Verfasser zeigen, dass die geschilderten Grausamkeiten durchaus keine bloße Erfindung waren, sondern einen, wenn auch verzerrten, realen Hintergrund besaßen. In „mindestens 40 % der Episoden“ könne, so die Autoren, „ein geschichtlicher Kern eindeutig identifiziert werden“.
Die Quellentexte selbst nehmen einen relativ geringen Umfang des Buches ein. Die vermutlich ungarische Propagandaschrift hinterlässt in der Tat einen erschütternden Eindruck beim Leser, etwa wenn deren Verfasser berichtet, der Dracol hätte vierhundert Knaben an einem Tag verbrannt oder in einem anderen Zusammenhang viele Frauen, Kinder und Greise gepfählt. Friedliche Landleute habe er enthaupten und die Köpfe herumwirbeln lassen. Städte und Dörfer seien niedergebrannt worden, Frauen habe er die Brüste abgeschnitten. Passagen wie die folgende sollen zeigen, dass er Grausamkeiten verübt habe, ohne Ansehen der Herkunft und Religionszugehörigkeit:
Item menschen hatt er lassen spissen sittlingen durcheinander, jung und alt, frowen und man. Ouch sy haben sich bewegen mogen mit henden und fussen und gewemert und zabelt durcheinander als die frosch…. Und das sind gewesen heiden, juden, cristen, ketzen und Walchen…
Ein „slaffwibe“ habe gesagt, sie sei von ihm schwanger, da habe er sie genommen „und schneid sy von mitten uff untz an die brust“. Bei dem siebenbürgischen Dorf Humlasch habe er Menschen zusammengetrieben; sie hätten sich auf einen Haufen übereinanderlegen müssen, und er habe „sy zuhacken als das krutt mit schwertern, sabeln und messern…“ Die bei diesem Massaker nicht Getöteten habe er später pfählen lassen. Mit Freude habe er ein andermal mitten unter vielen Gepfählten gespeist. Dies sind nur einige Beispiele. In dem dem Quellenabschnitt folgenden historischen Kommentar verdeutlichen Annas und Paulus, dass Vlad III. durchaus eine Strategie des Terrors und gezielten Schürens von Angst betrieb. Sehr akribisch recherchieren sie Zusammenhänge und Örtlichkeiten des Geschehens.
Die vorliegende Edition setzt Maßstäbe, die nur sehr wenige ähnliche Publikationen aufweisen, obgleich es auch in jüngerer Zeit nicht an gut edierten und kommentierten Quellensammlungen mangelt. Diese verdient es, hervorgehoben zu werden. Sie lässt in Struktur, Umfang, Inhalt, nachvollziehbaren Editionskriterien und inhaltlicher Akkuratesse keine Wünsche offen.
Der Band wird durch ein umfassendes Personen-, Orts- und Sachregister erschlossen. Der Leser erhält nicht nur Einblicke in Leben und Wirken Vlads, sondern auch in historische Zusammenhänge wie in sprachliche und kulturelle Phänomene, und so dürfte die Lektüre nicht nur dem Literatur- und Geschichtswissenschaftler Gewinn bringen.
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