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Andreas Peglau geht mit Wilhelm Reich dem Faschismus auf den Grund

Von Galina HristevaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Galina Hristeva

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Er ist der Vampyr am Körper des Lebendigen, der Mordimpulse auslebt, wenn im Frühling die Liebe nach Erfüllung ruft“, schrieb der Psychoanalytiker Wilhelm Reich aus dem amerikanischen Exil im Jahre 1942. Der Vampir hatte sich auch seiner Werke bemächtigt: Reichs Massenpsychologie des Faschismus – das Buch, in dem der oben zitierte Satz steht – war 1933 erschienen und quasi noch vor seinem Erscheinen verboten worden, stand sein Autor doch schon im Mai 1933 mit „Sämtliche Veröffentlichungen“ auf dem geheimen Index verbotener Bücher. Reichs Bücher wurden verbrannt, er selbst musste Europa wie viele andere für immer verlassen. Seine so früh entstandenen und so fundierten Analysen des mörderischen Unwesens des Faschismus sind einzigartig – und weitgehend vergessen.

Das Europa des 21. Jahrhunderts aber, in dem Sprüche wie „Gebt Gas, ihr alten Germanen, wir schaffen die siebte Million“ wieder hervorkriechen (2018 machte Nina Horaczek vom österreichischen Falter auf diesen Text aus dem Liederbuch der Burschenschaft Germania zu Wiener Neustadt aufmerksam), ruft Wilhelm Reich mit seinem klaren und unbestechlichen Blick auf die Nazi-Ideologie wieder auf den Plan. Die Brisanz seiner Massenpsychologie des Faschismus nimmt zu, brachten die letzten Jahre doch einen erschreckenden Anstieg von Fremdenhass, Rassismus und Rechtsextremismus mit sich. Das ist die Diagnose des Berliner Psychoanalytikers und Wilhelm Reich-Forschers Andreas Peglau (siehe https://literaturkritik.de/id/18903) aufgrund eigener intensiver Forschungen und im Anschluss an die Ergebnisse renommierter Autoritarismus- und Rechtsextremismusforscher wie Oliver Decker, Elmar Brähler oder Samuel Salzborn. Wie Reich warnt Peglau mit seinem neuen Buch Rechtsruck im 21. Jahrhundert. Wilhelm Reichs Massenpsychologie des Faschismus als Erklärungsansatz eindringlich vor neuen Gefahren, denn schon Brecht wusste: „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch“.

Andreas Peglaus Buch ist sehr übersichtlich aufgebaut und von einer bemerkenswerten Stringenz: Nach dem Überblick über Reichs Leben und über seinen „Weg zur Massenpsychologie“ präsentiert der Autor die Kernthesen von Reichs Werk über den Faschismus, um von dieser Basis aus dann den Rechtsruck im 21. Jahrhundert zu beleuchten. Wilhelm Reich war einer der brillantesten Schüler Freuds. Als origineller und selbstständiger Denker ging er weit über seine Lehrer Freud und Marx hinaus, was er jedoch im Jahre 1933 durch seinen Ausschluss sowohl aus der Kommunistischen Partei Deutschlands als auch aus der Deutschen Psychoanalytischen Gesellschaft bzw. aus der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung schmerzhaft zu spüren bekam. Reichs Einsichten in die psychische Struktur des Führers der Massen sind beeindruckend, seine Ideen von der „Mitverantwortung der Geführten“ bahnbrechend, so Peglau. Die massenstrukturellen Fundierungen des Faschismus mit all ihren katastrophalen Folgen enthüllen sich für Reich aus dem Konnex zwischen Politik, Wirtschaft und Sexualökonomie: Schon früh impft der autoritäre Staat durch seinen Handlanger, die autoritäre Familie, dem Kind sexuelle Hemmungen ein. Hemmung und Angst sind hiermit die Basis der „autoritären Strukturierung“ des Menschen, die ihn für den Faschismus und überhaupt für rechte Ideologien anfällig macht.

Wilhelm Reich untersuchte „Hitlers Massenbasis“  mit ihrer „pervertierte[n] Sexualität“  und forderte eine gegen die kleinbürgerliche Ideologie, die solche Entwicklungen ermöglicht, gerichtete neue Sexualpolitik und Sexualpraxis. Als „Quintessenz“ von Reichs Gedanken stuft Andreas Peglau etwa folgende Einsicht ein, wie sie im März 1934 im Nachwort zur zweiten Auflage des Buches formuliert wurde: „Versucht man die Struktur der Menschen allein zu ändern, so widerstrebt die Gesellschaft. Versucht man die Gesellschaft allein zu ändern, so widerstreben die Menschen. Das zeigt, dass keines für sich allein verändert werden kann“. Peglaus Begeisterung für Reichs Werk ist überall im Buch spürbar, dennoch verschweigt er auch manche Schwächen dieses Autors nicht und lässt auch Reichs eigene Unzufriedenheit mit seiner Massenpsychologie nicht unerwähnt. Wie die Lektüre der Massenpsychologie des Faschismus ist die Lektüre von Peglaus Buch lohnenswert, lehr- und aufschlussreich und sein Aufruf, den Faschismus einer erneuten Überprüfung zu unterziehen, angemessen und zeitgemäß.

Der Verbund von Kirche, bürgerlicher Kleinfamilie und Patriarchat ist für Wilhelm Reich die Brutstätte des Faschismus. Andreas Peglau überprüft in der zweiten Hälfte seines Buches die Gültigkeit von Reichs Forschungsergebnissen für unsere Gegenwart. Dass die psychischen Konstellationen von damals ihr Zerstörungspotential noch nicht eingebüßt haben, zeigt er eindeutig und eindrücklich an zahlreichen Beispielen. Kindesmisshandlung, Sexualunterdrückung und Gewalt an Schwachen und Benachteiligten sind – trotz der gesellschaftlichen Fortschritte – in Deutschland auch heute weit verbreitet. So steht nach Peglau die „durch Werbung, Pornoindustrie und Prostitution permanent vermarktete Sexualität“ der gesunden Sexualität „diametral“ entgegen. Peglaus Thesen werden im ganzen Buch durch viele Zahlen und Fakten belegt. Im Falle der Sexualunterdrückung bezieht sich der Verfasser auf eine EU-Studie aus dem Jahr 2014, die belegt, dass 12% aller Frauen vor ihrem 15. Lebensjahr Opfer sexueller Belästigung geworden sind. Die bundesdeutsche Kleinfamilie produziert durch Misshandlung, Vernachlässigung und Verwahrlosung von Kindern weiterhin „psychosoziale Zeitbomben“. Patriarchale Normen und Werte beherrschen – so Peglau – immer noch das Leben in der Bundesrepublik Deutschland und ziehen Sexismus und fehlende Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau nach sich.

Trotz ihres Beitrags zur Sozialarbeit und zur Gesundheitspflege ist die Kirche in Deutschland für Peglau ebenfalls für negative Entwicklungen verantwortlich – durch den von ihr ausgeübten autoritären Papstkult, durch ihre Haltung zu Themen wie Verhütung, Abtreibung, Homosexualität, durch den „in ihren Institutionen grassierende[n] sexuelle[n] Missbrauch“. Einen ganz konkreten Zusammenhang mit rechten Ideologien sieht Peglau in der Politik der CSU: „Die Christlich-Soziale Union vermengt zudem nahezu routinemäßig christliche Ideologie mit Fremdenfeindlichkeit, fördert also schon dadurch auch ganz direkt ,rechte‘ Haltungen“. Ergänzt werden die Analysen bei Peglau durch Überlegungen zur Globalisierung und zur neuen Rolle des Menschen als „Markt-Anhängsel“, wobei die „krankmachenden Effekte“ auch der heutigen neoliberalen Doktrin aufgezeigt werden. Parallelen zwischen neoliberalem und rechtsextremem Gedankengut fördern Peglau zufolge „rechte Entwicklungen“. Die „bundesdeutschen Seelenverhältnisse“ gebären also weiterhin destruktive, potentiell faschistoide Strukturen, die Reichs Gedanken bestätigen und am „Körper des Lebendigen“ zehren.

Wilhelm Reich wurde „totgeschwiegen, diffamiert oder bestenfalls marginalisiert“. Reichtum und Spannweite seiner Ideen lassen sich in Andreas Peglaus Buch wiederfinden, ebenso sein kritischer Geist, sein klarer und unbestechlicher Blick für die Nazi-Ideologie und für faschistoide Entwicklungen und Tendenzen. Wie Reich bleibt auch Peglau nicht bei der Diagnose stehen. Sein Plädoyer für eine „psychosoziale Revolution“ gegen die „autoritär-lebensfeindlichen Normen in Familie, Schule, Beruf, Medien, Kirche, Politik und Staat“ ist Höhepunkt und Herzstück des Buches. Als positives Beispiel für eine nachweisbare und nachgewiesene Verbesserung der Zustände in unserer Gesellschaft durch entsprechende Maßnahmen führt Peglau die Erfolge des im Jahre 2000 erlassenen Verbots familiärer Kindesmisshandlung an.

Die in Andreas Peglaus Buch unterbreiteten Schritte in Richtung einer nicht-autoritären Bildung und Erziehung, einer gelungenen Sexualökonomie, einer guten und sinnvollen Therapiekultur zielen darauf, dem Faschismus die Basis zu entziehen. Sie sollen den Vampir des Faschismus von uns fernhalten und uns zu den Quellen unseres Lebens zurückführen, wie sich Wilhelm Reich dies wünschte.

Hinweis: Eine frühere Fassung dieser Rezension ist erschienen in: Sozial.Geschichte Online. Zeitschrift für historische Analyse des 20. und 21. Jahrhunderts, Heft 24, 2018 (https://duepublico.uni-duisburg-essen.de/servlets/DerivateServlet/Derivate-46970/13_Hristeva_Rez_Peglau_Rechtsruck.pdf).

Titelbild

Andreas Peglau: Rechtsruck im 21. Jahrhundert. Wilhelm Reichs Massenpsychologie des Faschismus als Erklärungsansatz.
Nora Verlagsgemeinschaft, Berlin 2017.
174 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783865574282

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