Das Smartphone an der Seite der Gebetskette

Christoph Peters erzählt von einer archaisch anmutenden Moderne

Von Lutz HagestedtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lutz Hagestedt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Darf man in einem pakistanischen Heiligtum fotografieren? Werden in deutschen Kirchen Selfies geschossen? Zieht man da „ärgerliche Blicke“ auf sich?

Andere Länder, andere Sitten. In Pakistan darf keine Frau ins Bild kommen, wenn ein Mann sein Smartphone hoch über die Köpfe führt. Frauen aber unter sich – das mag angehen und gestattet sein: „Ein Mädchen, höchstens vierzehn, mit pinkfarbener Brille und dicken geflochtenen Zöpfen kommt mir entgegen. Ich sollte aufhören, wahllos in der Gegend herumzuknipsen, mich stattdessen auf das konzentrieren, was das Herz wahrnimmt, im Innern Verse rezitieren, die ich für solche Gelegenheiten gelernt habe.“

Der Schriftsteller Christoph Peters hat die Länder des Nahen und Mittleren Ostens mehrfach besucht. Sein jüngster Band mit Erzählungen, „Selfie mit Sheikh“, demonstriert uns, wie das Smartphone an die Seite der Gebetskette getreten ist. Die Älteren lassen beständig den Perlenkranz durch ihre Finger gleiten. Die Jüngeren indes tippen unaufhörlich Nachrichten in die Smartphones.

In Karachi kämpft der gute gegen den finsteren Islam. Wird er auch über ihn siegen? Wenn der Strom ausfällt in der kleinen Moschee der Naqshbandis, dann wird das „kalte Licht“ der Handylampen eingeschaltet. Man sitzt beisammen im nüchternen Schein dieser „Notbeleuchtung“, und „selbst die dunkle Haut der Paschtunen wirkt auf einmal leichenblass.“

Hier, in Christoph Petersʼ Erzählungsband, wird das Smartphone zum Medium der Literatur, und es zeigt sich, wie es der orthodoxe ebenso wie der radikale Islam mit der Moderne halten, wenn es um Technik geht, um Selbstdarstellung und Selbstbehauptung: „‚Lass uns ein Foto machen‘, sagt Fazal und legt mir den Arm um die Schulter. Maulana Sheikh Abdelkarim stellt sich rechts neben mich, Akber Khan Mughal neben ihn. Fazal und Ahmad halten ihre Telefone am ausgestreckten Arm auf uns gerichtet, drücken die Auslöser, prüfen das Ergebnis auf ihren Displays, sind aber nicht zufrieden. Ahmad muss mit Fazals, dann mit Akbers Telefon fotografieren, erst danach darf er selbst ins Bild, und Fazal fotografiert. Maulana Sheikh steht da und lacht, sagt irgendetwas, das ich nicht verstehe. Obwohl es mir peinlich ist, ziehe ich auch mein Telefon aus der Hosentasche und mache ein Foto von uns fünfen. ‚Du musst bald wiederkommen‘, sagt Fazal noch einmal.“

Ist es sinnvoll, derlei Technik im Medium der Literatur zu thematisieren, oder bleibt sie bloße Applikation, die in zehn Jahren vielleicht schon abgeschmackt und abgestanden wirkt?

Alissa Walser hat einst den Ingeborg-Bachmann-Preis mit einer Erzählung gewonnen, in der das – damals – neue Mobiltelefon eine zentrale Rolle spielte. Die Autorin hat erstmals der tragbaren Mobilität eines Fernsprechgeräts eine erzählerische Funktionalität abgewonnen, die zuvor nicht da war und im Medium der Literatur ein Novum darstellte. Es fragt sich, ob – ganz ähnlich vielleicht – auch das Selfie ein Medium der Kunst werden kann oder schon geworden ist. Bei Christoph Peters bleibt es eher noch applikativ. David Hockney hingegen hat es bereits bildkünstlerisch eingesetzt, indem er iPhone-Applikationen für die schöpferische Produktion von Landschaften, Stillleben und vor allem Selbstporträts nutzte. Ein offenbar bewährtes Medium: Noch bis Mitte Dezember läuft im Kunsthaus Apolda eine Ausstellung unter dem Titel „Ich und mein Selfie. Künstlerselbstporträts von Liebermann bis Immendorff“.

Titelbild

Christoph Peters: Selfie mit Sheikh. Erzählungen.
Luchterhand Literaturverlag, München 2017.
256 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783630875408

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