Hommage an revolutionäre Musiker

In Sylvain Prudhommes neuem Roman „Ein Lied für Dulce“ geht es wieder nach Afrika

Von Serena Kanuya BleckeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Serena Kanuya Blecke

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein Lied für Dulce ist ein Roman über Musik, Liebe und Revolution in Guinea-Bissau, in dem auf bemerkenswerte Art und Weise Realität und Fiktion vermischt werden. Es braucht zwar ein paar Seiten Geduld, um in den Denkvorgang und die transponierte Rede der Hauptfigur einzutauchen, die anfangs wirr erscheinen. Doch dann reißt einen der Roman mit in ein Land, in dessen Kultur und Geschichte.

Nachdem die Hauptfigur Saturnino Bayo, genannt Couto, vom plötzlichen Tod seiner ehemaligen Geliebten und Bandsängerin Dulce erfährt, macht er sich auf den Weg durch die Viertel und Gassen der westafrikanischen Stadt Bissau, um seinen Freunden und Kollegen die traurige Nachricht zu überbringen. Dabei nimmt er den Leser auf einen nostalgischen Spaziergang mit und erinnert sich an die vergangenen 30 Jahre.

Während die Handlung fiktiv ist, haben alle erwähnten Musiker, mit Ausnahme von Couto, in dem Bandkollektiv Super Mama Djombo gespielt oder spielen heute noch darin. Super Mama Djombo war in den 1970er Jahren in Westafrika sehr populär und ist bis heute international anerkannt. Couto erinnert sich voller Wehmut an Konzerte und Tourneen des Kollektivs, unter anderem an die großen Highlights in Havanna und Lissabon.

Der französische Originaltitel Les Grands drückt den traditionellen Respekt für die älteren Kernmitglieder des Bandkollektivs, die es weit geschafft haben, ziemlich gut aus. Das geht in dem deutschen Titel leider verloren.

Die Geschichte des Bandkollektivs ist eng mit der des Befreiungskampfes und der Unabhängigkeit des Landes verbunden. Couto denkt an die Zeit zurück, in der er selbst gemeinsam mit weiteren Bandmitglieder gegen die portugiesischen Kolonisatoren kämpfte, bis es 1973 zur Unabhängigkeit kam – diese wurde allerdings erst ein Jahr später von den Portugiesen anerkannt. Dies findet sich besonders in den Liedtexten und -themen wieder, in denen sie den Imperialismus anprangern und nationale Helden wie Amilcar Cabral, einen wichtigen Unabhängigkeitskämpfer, feiern.

Während Couto durch die Straßen Bissaus läuft, bereitet sich die Stadt auf einen ereignisreichen Abend vor. Super Mama Djombo plant ein Konzert, welches sie kurzfristig beschließen, der verstorbenen Sängerin Dulce zu widmen. Zusätzlich spricht sich herum, dass ein Militärputsch für dieselbe Nacht geplant ist. Die Spannung steigt und versetzt die Stadt in eine energiegeladene Atmosphäre: ein jubelndes Publikum, das die Schüsse der Maschinengewehre übertönt.

Am 12. April 2012 kam es wirklich zu einem Militärputsch in der Hauptstadt Bissau. Ohne den Fokus auf das politische Leben zu legen, drückt der Autor die erneut enttäuschte revolutionäre Erwartung des Volkes aus. Passend dazu geht auch der Roman mit Einbruch der Nacht zu Ende, als würde sich dadurch die Enttäuschung schließlich auf den Leser übertragen. 

Sylvain Prudhomme ist ein mehrfach ausgezeichneter französischer Schriftsteller und Übersetzer. Er wuchs in afrikanischen Ländern auf, und kehrte nach seinem literaturwissenschaftlichen Studium in Paris nach Afrika zurück. Ein Lied für Dulce ist sein fünfter Roman und der dritte, den er auf dem afrikanischen Kontinent verortet.

Prudhomme schafft mit seinem Schreiben einen erstaunlich realistischen Einblick in das Leben einer westafrikanischen Großstadt. So versetzt er den Leser in diese ferne Welt, in der trotz kläglicher Hitze in kleinen Bars am Straßenrand Fleisch gegrillt und Bier getrunken wird.

Bemerkenswert ist auch die Übernahme von Liedtexten und bestimmten Wörtern in guinea-bissauischem Kreol, selbstverständlich zum besseren Verständnis übersetzt. Das drückt eine gewisse Sehnsucht nach dem Heimatland aus. Außerdem gehörte Super Mama Djombo zu den ersten Musikgruppen, die in dieser Volkssprache sangen, um sich von der portugiesischen Macht abzugrenzen. Die einheimische Sprache ist also ein besonderes Merkmal der Musik und damit auch des Werks.

Der Roman erinnert an Mali Blues (2015), eine preisgekrönte Dokumentation über die reiche Musikkultur des westafrikanischen Malis, die von Dschihadisten bedroht wird. In Mali, wie in vielen westafrikanischen Ländern, ist die Musik auch heute noch wichtiger Bestandteil der kulturellen Identität des Landes. Regisseur Lutz Gregor nimmt die Zuschauer, genau wie Ein Lied für Dulce, auf eine musikalische Reise mit, die auch von der heutigen Situation des Landes berichtet.

Prudhommes überzeugender Roman macht deutlich, dass Musik – als Widerstandsform, als Ausdruck für Zusammenhalt und Freundschaft – ein Hilfsmittel ist, um die schweren Geschichten eines Landes zu erzählen und gleichzeitig die heimischen Rhythmen und Klänge zu zelebrieren.

Anmerkung der Redaktion: Die Rezension gehört zu den studentischen Beiträgen, die im Rahmen eines Lehrprojekts im Sommersemester 2020 entstanden sind und gesammelt in der Septemberausgabe 2020 erscheinen.

Titelbild

Sylvain Prudhomme: Ein Lied für Dulce.
Übersetzt aus dem Französischen von Claudia Kalscheuer.
Unionsverlag, Zürich 2017.
223 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783293005143

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