29.6.-9.7.2018 – Frösche im Meer
29.6.2018
Die Schafe waren heute so nah an der Straße, dass auch er sie hätte sehen können. Jetzt ist er tot. Kein Wort mehr von ihm an diesem Tag. Heute will ich von ihm schweigen.
Mein Mond nimmt also wieder ab. Auch wenn er es mir nicht zeigt. Ich bin über den Berg. Der Aufstieg ist geschafft, den Bann der Mitte habe ich überwunden und den Gipfel, das Höchste und Tiefste, erreicht. Drei Jahre – habe ich gesagt – sind der Raum für ohnesinn. In meiner Zeitrechnung sind es 36 Monde. Wir sind bei Mond 19. Es sollte weitergehen können. Nicht zu schnell, nicht zu langsam, achtsam bei jedem Schritt. Es ist nicht derselbe Weg wie der, den ich hinaufgegangen bin. Nur das Ende stelle ich mir dort vor, wo er angefangen hat. Hier – inshallah.
Als ich ins Bett ging, ist mir ein Satz wie ein Glühwürmchen zugeflogen – ich hatte das smartphone dabei, um zu sehen, ob das den Mond fotografieren könnte. Da ist Peter Rosegger angekommen:
Arbeit ist oft die einzige Erholung von der Last des Daseins. Arm ist nicht, wer wenig hat, sondern wer viel braucht. Auf der Börse „verdient“, sagen sie und wollen damit das freche Glücksspiel beschönigen, als ob es ehrliche Arbeit wäre.
Ich brauche den Mond und die Glühwürmchen.
Es ist unendlich viel und es ist gar nichts.
Ob sie auch im Regen leuchten? Ich bin neugierig, als ich durch den Regen unter die Markise und in mein Bett springe. Und wirklich: Draußen schwebt eines herum, aber unter der Markise sind es mehrere und ihr Licht leuchtet länger. Nach dem großen Regen einen Tag lang und eine Nacht.
Der Tag ging an apple – der Rechner machte nicht mehr, was ich wollte, sprang wire verrückt herum. Die erste Hilfe am Vormittag war nicht hilfreich. Ich kämpfe mich durch den Regen und mit dem Rechner, am Abend ein zweiter Versuch, der sah ganz erfolgreich aus, und ich war sehr zufrieden mit mir.
30.6.2018
Nicht lange und es ging wieder los. Jetzt reicht’s! Wenn es ein Problem mit der Hardware ist, muss mein Rechner in die Technik. Ich gehe es an.
Zur Reparatur wird er dort bleiben müssen, aber ich will ihn nicht weggeben, dann kann ich ja gar nichts mehr machen, nicht arbeiten und nicht fernsehen oder spielen. Es ist Freitag.
Ich schau mir die Macs an, kleinere, vielleicht lasse ich die Fotos, mit denen die Arbeit am empfindlichsten ist, auf dem alten Rechner, und schreibe auf dem neuen. So könnte ich beides zugleich machen, ohne diese Arbeit zu gefährden. Komme mir schlau vor.
Aber warum muss der Mac 1200 € mehr kosten als ein Microsoft-Rechner?!? Überhaupt: apple! Sollte man nicht unterstützen. Ich kämpfe mich zu dem Entschluss durch, zweigleisig zu fahren, was die … kann, muss ich doch auch können. Ja!
1.7.2018
Mal hier und mal da ein kurzes Leuchten. Ich gebe es zu: Ich erwarte das Ende.
Im Juli könnte für die Arterhaltung ausgesorgt sein, und ich werde wieder ein Jahr lang auf das Leuchten warten.
Der Samstag ging ans Telefonieren und dann ans Aussuchen, mit dem Bestellen wollte ich noch einen Tag warten. Jetzt war ich stolz auf meinen Mut.
Eine Rückfrage will ich noch machen. Einer, der beides kennt und mich auch, hat einmal ganz entschieden gesagt: apple ist besser für dich. Warum? Das habe ich vergessen. Ich will es noch einmal wissen, rufe an und weiß es wieder. Ich brauche den komfortablen Support, wenn etwas nicht funktioniert, sonst bleibe ich mit meiner Aufregung hilflos allein. Mit Microsoft müsste ich von vorne anfangen und mir zusammensuchen, wo ich fragen könnte. Muss ich nicht – mit 75.
Also wird es doch wieder ein Mac. Ein kleiner.
2.7.2018
Gestern waren es noch einmal zwei Glühwürmchen.
Es soll aber der letzte Rechner sein.
Doch kein kleiner? Zwei gleich große, wo jeder übernehmen kann, wenn der andere gerade nicht will?
Die Freundin hat mir den Floh ins Ohr gesetzt: Denk an deine Bilder! Die brauchen das Große!
Ich habe es mir ganz anders vorgestellt, und jetzt kommt es mir wie eine Gehinrnwäsche vor:was ich klein und gebraucht haben wollte, wird groß und neu. Wieder ein Grund zum Schämen. Kopfschütteln.
3.7.2018
Letzte Worte in meinen „Alten“. Ich sitze vor dem Apfel und warte darauf, dass er aufmacht. Konnte es nicht erwarten und habe mich um eine halbe Stunde vertan.
Eigentlich warte ich seit dem Aufgewecktwerden um halb fünf. Warte beim Klavierüben (ungeduldig, sehr ungeduldig), in den Johannisbeeren, den Stachelbeeren, den Himbeeren, bis ich endlich mein Müsli essen und mich stadtfein machen kann.
Ohnesinn wird diesen Rechner verlassen, es kommt in dem feinen, edlen, neuen mit. Ist wie ein neues Auto. Hoffentlich muss ich ihn nicht erst zwei Wochen in der Garage lassen. Das habe ich mit meinem zweiten Auto gemacht, dabei war es nicht einmal neu.
9.30
Die Glastüren öffnen sich unbarsichtig.
Ich weiß nicht mehr, wie alt meine Große war, als sie dieses Wort erfunden hat. Nach dem Staubsauber wahrscheinlich.
4.7.2018
Um 10.30 komme ich ohne neuen Rechner wieder heraus. Den gibt es erst in zwei Wochen. So habe ich mir das nicht vorgestellt. Die „Garage“ sollte ein Witz sein. Der alte muss in die Verlängerung, hoffentlich hält er durch.
Glühwürmchen? Eins.
Kann aber sein, dass ich das eine oder andere übersehen habe, weil ich das Fußballspiel mit ins Bett genommen habe. Als es dunkel genug war, war das Elfmeterschießen dran. Das ist das Einzige, was ich beim Fußball verstehen kann. Trotzdem hätte ich Kolumbien das Glück gewünscht.
Vom Jubel geweckt und mit leisen Liedern wieder in den Schlaf gesungen. Traumhaft.
Mein Exmann hat Geburtstag. Wir gratulieren uns seit 1982 nicht mehr.
Aber 1965: Wie ich mich in unserem ersten Jahr in eigener Wohnung darauf freute! Ich hatte viele Einfälle, mit denen ich ihn glücklich machen wollte, bereitete alles sorgfältig vor und war guter Dinge.
Aber am 3. Juli merkte ich, wie die Laune meines Mannes im Lauf des Tages immer schlechter wurde.
Als der Tag vorbei war und wir ins Bett gingen, musste ich doch fragen: Was ist eigentlich los?
Tief gekränkt, geradezu unglücklich, schaute er mich an und sagte: Ich habe Geburtstag und du hast es vergessen.
– Heute?!? Am Dritten?
– Nein, am Vierten.
– Aber der ist morgen.
– ?!?
Mein habe ich zu keinem Mann mehr gesagt, das gab es für mich nur einmal. Seinen Geburtstag vergesse ich nie.
Jetzt muss ich draußen weitermachen, verräumen, was ich geschnitten habe, Eibe, Flieder, Buche, es ist viel. Und ich bin schon müde vom Schneiden. Vielleicht geht es mit dem Schwindel im Kopf leichter. Muss doch mein Nest in Ordnung halten, bevor ich ausfliege. Auch wenn das noch weit weg ist, weil ich hier sein möchte, wenn meine Tochter 50 wird.
5.7.2018
Glühwürmchen: keins.
Was soll ich es jetzt machen: Der Rechner macht wieder, was er will, und es dauert noch neun Tage, bis der der neue kommt, inshallah.
Der Cursor springt wie wild herum, immer weg von dem, was ich anklicke, weicht allem aus, was ich haben will. Heute gebe ich auf. Und hoffe, dass er sich noch einmal besinnt – das hat er ja schon einmal gemacht.
6.7.2018
Wieder keins.
Klagenfurt! Bachmannpreis!
Sie lesen wieder! Ich fange an, die ersten Lesungen zu hören und bin gefangen. Will alles hören, die Texte und die Diskussionen, finde es so spannend wie vor langer Zeit. Da hatte ich mit Klagenfurt meine Geschichte.
1985 hörte ich die Lesungen und Diskussionen zum ersten Mal und wusste: Da musste ich hin, im nächsten Jahr wollte ich dabei sein, dort würde mein Leben weitergehen.
Dazu musste ich aber einen Berg von Schuldgefühlen überwinden.
1986 machte meine Kleine Abitur. Die Festlichkeiten fanden zeitgleich mit dem Bachmann-Wettbewerb statt. Ich war nicht dabei. Glaubte, dass mein Leben dort weitergehen musste. Und es gab ja auch einen Vater in unserer Stadt.
Die Schuldgefühle sind mit Klagenfurt und Bachmann sofort wieder da, füllen jede Pause und die Nächte dazu.
7.7.2018
Von Glühwürmchen werde ich erst im nächsten Jahr wieder sprechen.
Inzwischen reden andere von ihnen: Nachbarn, die im Fernsehen das Leuchten und Ein- und Ausschalten gesehen haben. So sind meine Glühwürmchen berühmt geworden.
Wie unsere Wirklichkeiten in guten Texten wieder erscheinen.
„Sind die Syrer schon da?“ 2011, 2012 fragten das die Sozialarbeiter.
Ich frage mich, ob sie schon in der Literatur inzwischen angekommen sind wie im Theater. Wohl eher nicht – das Theater ist schneller als die Literatur.
In Klagenfurt hatte Borderline eine Berliner Lektorin um den Schlaf gebracht, nur in das Programm ihres Verlages würde es nicht passen. Ramadan haben zwei Lektoren mitgenommen, einer entschied sich dafür und sagte es mir auf der nächsten Buchmesse. Dann sagte der Verleger: „Passt nicht ins Programm“.
Der Jury-Vorsitzende saß noch ohne Bart und graue Haare im Publikum.
Überhaupt: Wie sachlich und wie menschlich die Juroren geworden sind! Da geht kein Text ohne eine Wertschätzung heim. Sind die Texte heute besser als einer, zu dessen Autor Reich-Ranicki wütend sagte: „Sie vergeuden unsere Zeit!“? Das war eine Vernichtung.
Nicht so heute. Keine Verrisse, höchstens Vergessen. Nicht mehr erwähnt werden muss auch schlimm sein.
8.7.2018
Nach den Vögeln war ein Klopfen wie von Pfoten auf dem Holz das Erste, was ich heute hörte.
Ich öffne die Augen und sehe wieder den letzten Hasen mir gegenüber sitzen. Er schaut mich aufmerksam an. So lange ich mich nicht bewege, tut er es auch nicht.
Der Hund ist noch im Haus.
Für die letzten Lesungen habe ich ein Elfmeterschießen drangegeben. Das kann man nicht nachholen, wenn man weiß, wie es ausgeht. Ich habe mal wieder das Smartphone mit ins Bett genommen und die Texte gehört, sonst würde ich die Bewertungen am nächsten Tag nicht verstehen. Ich wollte ich meine Meinung überprüfen können.
9.7.2018
Frösche im Meer
Serpentinen’
und ich brenne
Zu diesen Texten habe ich auch ja! gesagt. Ich bin zufrieden. Und müde, als hätte ich gearbeitet.