25.-30.9.2018 – ach, timbuktu (2)

 25.9.2018

Weiter bei Vollmond.
Das Leben ist ein langer ruhiger Fluss. Der Film.
Das hier ist keine Familiengeschichte, der Niger ist heute dran. 

27.9.2018

Jetzt ist er aus dem Haus. Als ein langer ruhiger fluss wird er zurückkommen.
Oben auf dem Sonnendeck von der General A. Soumaré konnte ich Bilder machen, wie ich sie noch nie gesehen hatte.
Das war im November 2008. Heute – 10 Jahre später – wird es ein Buch für die Bilder geben. 

28.9.2018

ach, timbuktu. Das letzte Buch für so viele Jahre.

Schon bei meinem ersten Aufenthalt in Mali sind wir –  meine Tochter, meine Freundin und ich –  fünf Tage mit Idrissa und Mohammad durch die Wüste gegangen. Das war Weihnachten 2002.

Im nächsten und alle weiteren Jahre habe ich bei Idrissa und seiner Frau mit Isomatte und Schlafsack neben dem großen Zelt gewohnt und bin mit Idrissa und den Kamelen wieder hinaus gegangen.

© H. Tarnowski

Tombouctou 2.1.2004

Bei Idrissa.
Es ist wieder Abend. Der Wind hat keine Pause gemacht. Ich lasse die Fliegen über meine Brille laufen, ohne einen Finger zu rühren. Nachdem ich den ganzen Tag mit angesehen habe, wie die Augen eines Zweijährigen schwarzgrau von Fliegen waren, kam mir diese Bewegung lächerlich vor.
Kranke Kinder, schmutzige Kinder, verklebte Hände, verklebte Augen.
Nach einem Tag bei den Tuareg habe ich am Abend wunde Knie. Ich habe eine Ziege gekauft mit einem Kind. Am Morgen bekomme ich ihre warme Milch. Idrissa bringt sie in einer Schüssel und gießt sie in meinen Becher, vorsichtig den Wind ausgleichend, der den Strahl verbläst.

Dann habe ich Amena zum Brunnen begleitet und bin mit ihr Holz holen gegangen. Der Brunnen ist fast leer. Die Frauen werden zum nächsten Brunnen laufen müssen: eine Stunde hin, eine zurück. Idrissa zuckt nur mit den Schultern.
Die Männer und die Frauen.
Beim Teefeuer ein Streit zwischen Amena und Idrissa. Amena lässt das rituelle Gläserwaschen weg, trinkt selber keinen Tee. Ich sage: Wir sind müde, wir können den dritten Tee weglassen. Sofort wird aufgeräumt.
Morgens holt Idrissa erst um sieben das Teegeschirr an meinem Platz ab. Er wirkt unsicher. Ich sehe, dass Amena ärgerlich ist, und sage, dass ich hoffe, dass es nicht meinetwegen ist. Nicht deinetwegen, sagt Idrissa, es ist meinetwegen.
Beim Frühstück im Zelt reiche ich Kekse und eine halbe Banane an Amena weiter. Sie lächelt.
Dann lache ich mit Amena, als ihr meine Sandalen genau passen. Sie werden hier weiterlaufen.
Die Tuareg lachen gern. Es ist ein leiseres Lachen als bei den Songhai oder Bambara, klingt sinnlich, besonders bei den Frauen. Die Fältchen im Gesicht zeigen die Spuren.
Amena, sie ist 40 oder 50 Jahre alt, hat vorne oben rechts nur noch einen Zahn. Heute sprechen sie und Idrissa wieder weich und freundlich miteinander. Ich staune über Amenas Grazie mit dem Charme eines einzigen Zahns.
Drei Frauen habe ich bei Idrissa kennengelernt, Amena war die erste. Scheidungen sind bei den Tuareg häufig und unkompliziert, und sie können auch von der Frau ausgehen. 

© H. Tarnowski

2008 war ich das vorletzte Mal in Timbuktu. Das wusste ich, als ich ankam, noch nicht.

 29.11.2008 

Tombouctou. Ja. Ich bin da.
Mit Mamadou ist es anders geworden. Es hat nicht nur eine Gelegenheit für Missverständnisse gegeben. Deshalb hat Mamadou kein Auto? Etwas hat sich verändert, ist vielleicht vorbei.
Ich habe mich nicht mehr gefreut, als ich ihn wiedersah. Und ich bin nicht mehr gern in Tombouctou. Ich werde meinen Schnupfen, der furchtbar heftig ist, noch hier überstehen und morgen mit Idrissa hinausgehen. Hier bei Mamadou verstehe ich etwas Essentielles nicht. Es gibt einen neuen Fernseher. Alai hat die schicksten Hosen, Mamadou ein anderes Auto und eine Mobilette. Und ich muss Geld schicken? Ich habe das Gefühl: Wenn man das hier braucht – ich will es nicht geben.
Anders bei Idrissa und Jiddou: Ich freue mich über jedes Bier, das ich nicht trinke – wieder ein paar Hefte für die Kinder in der neuen Schule.
Vielleicht bin ich auch einfach nur krank.

5.12.2008

Techaq. Idrissa kommt aus Tombouctou zurück. Wer war da? Fragt er und zeigt auf den Sand um mich herum. Ich verstehe nicht. Er jetzt schon: Ach, du hast die Schuhe gewechselt.
Ein Tag kann ein ganzes Leben sein.
Ich gehe wieder mit Idrissa durch die Wüste. Wir lagern in einer Düne, gehen in den Sonnenuntergang, lassen den Abend kommen, den Mond ziehen, der Wind legt sich, es wird kalt. Ein Feuer hilft. Wir essen, trinken, sprechen, spielen. Da sagt Idrissa wieder einmal: Écoute! – ? – Rien! Nichts ist zu hören, soweit das Ohr reicht. Und am Abend und am Morgen: Niemand ist zu sehen, soweit das Auge reicht, weit, sehr weit rundherum von der Düne hinunter.

6.12.2008

Die Widersprüche können nur benannt, nicht gelöst werden? (geklaut)
Bekomme ich viel, dann will ich mehr. Bekomme ich nichts, dann bin ich zufrieden. So ist es mit Idrissa. Er hat sich früher über weniger mehr gefreut.
Habe ich geglaubt, mit meinem Geld glücklich zu machen? Oder wenigstens Freude?
Ja, hab ich. Tut es aber nicht. Sobald Geld im Spiel ist, könnte es mehr sein.
Das Geld, das mir Freunde vertrauensvoll mitgegeben haben, wird immer mehr zur Last.
Wie kann ich entscheiden, wo es am wichtigsten ist? Dazu kommt, dass immer, wo ich Geld für etwas gebe, sofort überlege, wie etwas in meinem Verständnis „besser“ sein sollte: die Schule, die Ernährung… immer dieses Besserwissenmüssen. Wohin damit? Augen zu und weg?

30.9.2018

Ruhetag. Und Sonntag dazu. Wir laufen ruhig um die Felder, ich telefoniere, berichte von dem erreichten Ziel: die Fotobuücher sind fertig. Ich habe mehr geschafft, als ich mir vorgenommen habe, kann zufrieden sein. Mit den üblichen Fehlern kann ich leben, die Bücher müssen jetzt bleiben, wie sie sind.
Ich schaue mich um. Ja, es war Stress. Man sieht’s an der Unterlippe. Aber ein Stress ohne Angst, herausfordernd, belebend, beglückend. Ein Turbo-Rückwärtsgang mit Bildern durch die Zeiten.

Dann habe ich doch nochmal in den Rechner geschaut – was sollte ich auch sonst tun.
timbuktu steht noch immer bei den angefangenen Projekten. So oft abgebrochen, weil die Menschen und die Zeiten zu viel waren. So viele Jahre, so viel Leben und so viel Zerstörung. Zu viel, um daraus ein Buch zu machen. Mutlos habe ich es immer wieder fallen gelassen.
Nicht so gestern. Soll ich es noch versuchen, timbuktu fertigzubringen? Noch ist die Funktion für Buchbestellungen aktiv.
Es geht los. Das Training der sechs Bücher zeigt Wirkung. Ich greife nach den Bildern, schiebe sie herum, verbessere ein bisschen, das Jetzt-oder-Nie löscht besondere Ansprüche sofort. Und Übung habe ich inzwischen genug, ich ziehe es durch.
Um halb neun sage ich: fertig!
ach, timbuktu!

Tatort. Ich seh nichts.

Vielleicht wäre schwarz als Hintergrundfarbe doch besser gewesen als weiß? 22.00. Noch kann ich es ändern. Um 23.42 schicke ich die zweite und letzte Bestellung ab.
Dann habe ich eben zweimal ach, timbuktu. Gefällt mir. Auch wenn ich nicht weiß, wem ich damit eine Freude machen könnte.

Ich fange an, mich auf die Bücher zu freuen, die in dieser Woche zu mir zurückkommen werden.
Ich habe mein Ziel erreicht. Von DU! bis Timbuktu über Litauen, Sylt, Masuren im Sommer und Winter, und den Niger, den langen, ruhigen Fluss.
Zurück von der Insel bin ich in die Bilder getaucht. Eigentlich wollte ich nur zwei angefangene Bücher – Fluss und Sylt – fertigmachen. Dann habe ich so viel Vorbereitetes im Rechner gefunden, und es sind schließlich sieben geworden. 

Zeit für eine Chronik. Mein erstes Fotobuch hieß: mehr licht.
In der Nähe ging es weiter mit nebel, schnee, eisblumen und den Spinnennetzen: perlen.
Aus der Ferne kamen die Bilder für: ouaga, frauen in westafrika, töpferinnen von kalabougou und den sand der Sahara und der Namib. Ich zähle ab und komme mit den neuen auf 18 Bücher.

Übrig geblieben sind die gefrorenen Pfützen. Denen fehlt noch Farbe. Ob ich für sie ein anderes Programm suche, weiß ich noch nicht. Gewiss nicht, bevor ich mich mit überallundnirgends verabschiedet habe.