8. – 15.1.2019 – nebelgehen

 

8.1.2019

nebelgehen
der Wald schwebt
Baumwipfel hängen in der Luft
wo bleiben die Stimme
die der Nebel verschluckt  

In Bayern fängt das Jahr erst an, wenn Caspar, Melchior und Balthasar da gewesen sind. Die Tannenbäume lehnen an den Gartenzäunen, die Weihnachtsferien sind vorbei.

Mein Mondjahr hört mit der längsten Vollmondnacht des Jahres auf: am 12. Dezember um 6.12
Es ist das dritte und letzte Jahr, das ich in dieses Tagebuch geschrieben habe. Ich spüre schon in seinem Anfang die Hoffnung, bis an sein Ende durchzuhalten ohne Krankheiten und andere Ausfälle, die das in Frage stellen. Krankheiten, die das Arbeiten unmöglich machten, sind noch immer vorüber gegangen, auch wenn das zuletzt sehr lange gedauert hat. Mehr noch fürchte ich die anderen Ausfälle, die mir mein Kopf jeden Tag vorführt: Ich schaue auf die Dinge und sehe sie nicht. Die Schaltungen zwischen Sehen und Erkennen funktionieren immer unzuverlässiger.
Dagegen war Vergessen lächerlich. Wie das, was ich zu hören kriege, wenn ich von meiner Angst rede. Dass es jeder schon mal passiert ist, das sie in den Keller ging und nicht mehr wusste, warum sie da war.
Ich sehe mich herumirren in meinen beiden sehr überschaubaren Zimmern. Hilflos, ratlos, bis ich sage: hör auf! Irgendwann wirst du erkennen, was du siehst. War doch immer so.
Aber wie soll ich damit arbeiten? Ohne Angst?
Und der Ärger. Wenigstens den möchte ich hinter mir lassen in der Hoffnung, irgendwann auf dieselbe Spur zu kommen, irgendwie. 

Wenn ich nicht gerade Angst habe, denke ich: Es wird besser werden, wenn es schlimmer wird und ich es nicht mehr merke. Jeder lacht, wenn ich das sage, ich lache mit.
Als ich so mit meiner Tochter rede, lacht sie auch und bestätigt mich sofort. Erzählt von ihrem Vater, der fröhlich Wichtiges und Unwichtiges durcheinander bringt oder vergisst, viel Unsinn macht und es nicht merkt. Keine Spur von Ärger oder Angst. Richtig gemütlich. Beneidenswert.

10.1.2019

weil du da bist
beginnt der Tag mit Lachen im Gesicht
Freude im Herzen
Zärtlichkeit in den Händen
dein Jauchzen in meinem Ohr
weil du da bist
mein Hund

Jeder Tag fängt so an. Als gäbe es keine Angst und den Ärger darüber. Die kommen immer erst später. 

13.1.2019

Der Himmel ist offen wie die ganze Nacht. Ich gehe zu dem Feld, das die Sonne zuerst erreicht, und dann am Schatten des Waldes neben meinen Füßen entlang bis zu unserem Baumstamm, der bald zu zerfallen beginnt. Hier muss ich umkehren, wenn ich nicht ins Dunkle zurück will. Auf dem Heimweg ist mein Schatten so lang, dass er fast den Kirchturm berührt, und neben dem Schatten liegen zauberhafte Bilder: die Pfützen sind gefroren. Ich habe schon lange keine Kamera mehr in der Tasche, wenn ich mit dem Hund laufe, heute nicht einmal das Handy. Soll ich die Kamera holen? Ich gehe noch einmal zurück und schaue, ob sie wirklich so schön sind, die Pfützen. Dann flott zur Kamera.

Yalla ins Haus, ich auf’s Rad und mit Tempo um die Felder, bevor ein Hund oder ein Radfahrer oder ein glückliches Kind  Selbstwirksamkeit lernt und meine Bilder zerstört. Sie waren alle noch nicht da, und ich kann fotografieren, bis meine Finger wehtun, fast steif vor Kälte. Ich rase nach Hause, halte sie so lange in warmes Wasser, bis der Schmerz nachlässt.

15.1.2019

Als die Sterne erloschen waren
begannen schäfchenwolken
über den himmel zu ziehen

jetzt sind sie fort
haben den Himmel alleingelassen
bis der Donner hinter meinem Rücken
die großen Wolken gerufen hat

Sturm reißt an der Birke
sie war mein Schutz
jetzt macht sie mir Angst