5.-11.2.2019 – allem Abschied voran

 

5.2.2019

Dichter Nebel lässt keinen Sonnenstrahl durch. Es ist ein magisches Land: eng und unendlich zugleich.
So soll es heute sein?
Als ich gestern mit der Sonne im Rücken das Feld hinunter gegangen bin, sah mein Schatten aus, als liefe ich auf Stelzen über mein weites, weißes, weiches Land.

Es fällt mir immer schwerer, ans Schreiben zu gehen. Ich versuche, mich daran zu erinnern, wieviel Freude mich das Schreiben wieder gemacht hat. Nichts davon kommt an.
Im Gegenteil: Wer sagt, dass ich das machen muss? Das ist die Frage.
Ich kann aufhören, abbrechen, Schluss damit. Warum eigentlich nicht?

Sei allem Abschied voran?!?
Das mal wieder? In den Dezember springen, ohne durch die Monate zu gehen? Das Ende vorwegnehmen, damit es mich nicht überwältigt?!
Dabei könnte ich doch wissen, dass das nicht funktioniert.
Ramadan. Meine Geschichte. Hat es mir bewiesen.

Als die Arbeit mit den Flüchtlingen – damals sagte man das noch so – zu Ende ging, wollte ich das Ende vermeiden und mich schon vorher herausziehen. Bis mir klar wurde, was ich mir da antun würde: meine Arbeit und mein Leben entwerten, einfach sinnlos machen. Das durfte nicht sein. Das durfte ich nicht tun.
Es war wie ein Entschluss, als ich mir sagte: Ich will am Ende mit einer guten Erinnerung an gelebtes Leben zufrieden sein. Dafür muss ich es so gut machen, wie ich kann, bis es zu Ende ist.
Da fielen mir die letzten Dinge leicht und sie wurden gut.

Aber ich weiß gar nicht, wie es bei Rilke weiterging, hole das Sonett heraus und – staune.


Sei allem Abschied voran, als wäre er hinter
dir, wie der Winter, der eben geht.
Denn unter Wintern ist einer so endlos Winter,
dass, überwinternd, dein Herz überhaupt übersteht.

Sei – und wisse zugleich des Nicht-Seins Bedingung, 
den unendlichen Grund deiner innigen Schwingung, 
daß du sie völlig vollziehst dieses einzige Mal. 

Zu dem gebrauchten sowohl, wie zum dumpfen und stummen 
Vorrat der vollen Natur, den unsäglichen Summen, 
zähle dich jubelnd hinzu und vernichte die Zahl. 

Ich würde diesen Gedanken gerne annehmen und mit in den Tag und die Tage, die noch kommen in diesem Jahr.
Wenn da nicht auch immer das Wissen wäre um das, was unter meinem wunderbar strahlenden Schneefeld im letzten Sommer war und im nächsten wieder sein wird: der Mais. Und in meinem Kopf der Satz meines Oberförsters, der mich mehr erschreckt hat als manche Dokumentation: Im Beton gibt es mehr Biodiversität als in so einem Acker.
Ich suche noch immer nach einem Gedanken, der helfen könnte, mit dem Schönen und dem Bösen im Kopf zu leben. Ich bekomme Ratschläge wie: nicht daran denken!  Wie soll das gehen? Ich stecke doch mittendrin.

6.2.2019

Der Winter setzt noch eins drauf: Lange Stacheln aus Eis hat er  auch an den feinsten Ästen wachsen lassen. Wir gehen los, wieder hinauf durch den Wald und über die zauberhafte Heide. Dabei suche ich mich in dem Bild der drei Jahre, wenn sie vorbei sind. Wie sollen sie, wie soll ich darin aussehen.
Dankbar? Zufrieden? Glücklich?
Wie kann das gehen? Wie kommen wir dorthin?

7.2.2019

Ich habe geträumt, dass ein Verlag mein Manuskript angenommen hat, nachdem am Tag zuvor die Zusage von einem anderen gekommen ist.

Den Puls der Erde spüren – so sagte es T.C Boyle gestern Abend.
Ich sage: es ist die Verbindung mit dem Erdmittelpunkt, die mit den Füßen in den Körper hinaufsteigt und sich mit dem Herzklopfen trifft.
In der Sahara. Am Meer. Und hier.

Am späten Vormittag kann ich auf meine Berg- und Buchfinken warten, auch das Rotkehlchen kommt, die Meisen sowieso und die Spatzen, Kleiber und Amseln.

8.2.2019

 laut geworden
ist der leise Schnee von gestern
Regen darauf gefroren
in der Nacht

Dann macht die Sonne warm über dem Schnee. Mit der Sonne füllen Vogelstimmen meine Ohren. Die Luft riecht nach Freude.  

Wenn Mahamane schreibt, dass er noch in Timbuktu ist und nicht in Dakar, um den Camion abzuholen, will ich die Gründe, die dann folgen, gar nicht mehr wissen. Ich kann sie weder verstehen noch glauben. Mal wieder. Damit muss Schluss sein, 5000 € sind genug. Ich will nichts mehr lesen, was ich nicht glauben kann.   Ich gebe zu: auch manche Fakten, die ich schreibe, sind alternativ – ich bin nie so krank, wie ich es sage. Es ist Notwehr, um nicht jede Problemmeldung aushalten zu müssen, die mich – wie so oft  - das Misslingen fürchten lässt. Ich will nichts mehr lesen, was ich nicht glauben kann. Also keine Mails mehr, bis nicht die erste Rate für die Rückzahlung des 3000 € – Kredits wie versprochen Ende März auf meinem Konto ist. 

Das schreibe ich jetzt an Mahamane.

- – - 

Geschrieben habe ich – abgeschickt noch nicht. Bin mal wieder traurig.
Vielleicht sollte ich damit auch noch warten bis Ende März.

Schatten flattern über den Schnee.

9.2.2019

Ich staune, wie einfach und leicht es ist, alternative Fakten zu schaffen. Das Medium macht es möglich. Alles kannst du sagen, keiner – der so weit weg ist wie Timbuktu – kann es kontrollieren, er kann es nur glauben oder nicht. Mir kommt es so vor, als würde ich beinahe selbst das glauben, was ich das geschrieben habe. Schließlich bin ich eine, die es ernst nimmt mit den Worten. Und die erinnert mich: Aber es war doch gelogen! Ach so, ja: die „Notlüge“. So fängt es an.

Es taut wie wild. Die nasse Schneedecke wird dünner und dünner und lässt stellenweise schon wieder Grünes durchkommen. Die Schneeglöckchen auch. 

11.2.2019 

Spatzenschwärme über dem Sonnenblumenfeld.
Ein größerer, dunklerer Vogel fliegt ein paar Runden mit dem Schwarm. Lässt sich mit ihm nieder und steigt mit ihm wieder auf. Dann ist er wieder weg.
Als der Schwarm über dem Wald verschwindet, ist er nicht mehr dabei.