20.-27.2.2019 – Nebelsehen

 

20.2.2019

Als ich gestern zum Schlafen hinausging, stand der Nebel schon vor der Tür.
Kein Baum, kein Wald mehr da.
Magie.

Dichter Nebel zieht mich stärker hinaus als strahlende Sonne
Ich kann ihm nicht widerstehen
Will sehen, wie der Wald sich auflöst, die Bäume nach oben verschwunden.
Dieser unsichtbare Übergang zwischen Himmel und Erde.
Ich möchte einen Weg in ihm sehen zeigt mir einen Weg in ihm sehen. Finden.

Die kleinen Weiher in der Heide sind schon fast wieder offen.

Im Frühling, wenn der Schnee schmilzt, im Frühling kommt Karl!
Es kommen die Abende bei offenem Fenster: man hört die Helle voll zwitschernder Vögel,
es ist, als spüre man die Luft, die ehe Erregung der Knospen, die Weite der Felder…
O Kind, wie ist es schön auf der Erde, wie ist es schön auf der Erde!

Max Frisch: Nun singen sie wieder.
29. März 1945 in Zürich 

Nein, nicht Karl kommt, es sind die Schneeglöckchen auf meiner Insel,  

Heute besucht mich die Frau, die mein Königsberger Freund in der Welt zurückgelassen hat, und ich nenne ihr die Königsberger Straße für ihr Navy. Kein Witz.

21.2.2019 

Der Himmel über Berlin.1986. Da hatte ich noch keine Ahnung von der geistigen Welt. Wie habe ich die Übergänge damals verstanden?
Und ahnungslos waren wir alle. 

Post aus Timbuktu, Mahamane will wissen, wie es mir geht. Er ist immer noch in der Stadt und nicht in Dakar, wo doch sein LKW warten soll.
Jetzt muss ich abschicken, was ich mir vorgenommen habe: keine Mails, bevor er mit der versprochenen Rückzahlung anfängt. Ich fürchte, sonst glaubt er mir nicht.
Ich kann meine Dinge hier nicht weitermachen, bevor ich nicht diesen Schritt hinter mir habe.

22.2.2019

Ich habe den Schritt zweimal machen müssen. Als ich mit der Mail gerade fertig war, rief meine Tochter an, und wir reden, nebenbei mache ich die Mail zum Abschicken fertig, will sie aber nochmal kontrollieren. Dafür drücke ich den falschen Knopf – weg ist sie. Nicht einmal mehr im Papierkorb.
Ich muss noch einmal schreiben und ich muss es gleich tun, damit es hinter mir liegt. 

Ich habe mir ein Blech gekauft, um damit die Nisthäuschen der Meisen zu verkleiden, sodass der Buntspecht keine Löcher mehr hinein hacken kann, die für ihn groß genug sind, um den Meisen ihre Jungen zu rauben.
Mit der Blechschere versuche ich, die Verkleidung selbst zu schneiden und freue mich, dass mir das eingefallen ist. Aber mir ist kein Erfolg vergönnt. Ich komme mit der Schere nicht durch das Blech. Ich werde mal wieder um Hilfe bitten müssen.
Entmutigt setze ich mich dorthin, wo ich die Vögel aus dem Wald am besten höre, und wundere mich, wie erschöpft ich bin. Jetzt wo die vitasprint-Kur fast zu Ende ist?!?
Weil das, was man nicht tun kann, mehr ermüdet als das, was man macht? So ähnlich sagte es Christa Wolf einmal, vielleicht in Kassandra.
Oder ist es, weil mich meine Überwindung zu strenger Konsequenz viel Kraft gekostet hat: Ich werde erst wieder Kontakt zu ihm aufnehmen, wenn er – wie versprochen – mit der Rückzahlung des Kredits anfängt. Kommt mir vor wie ein Knebelvertrag, ohne den es nicht funktioniert, wie die Erfahrenen sagen.
Wenn ich nicht gerade zu müde bin, finde ich es richtig für Mahamane und für mich. Wie soll er sonst glauben können, was ich sage. Und ich könnte mich grün anmalen und den Hasen geben.
Ich hoffe, dass es nicht meine letzte Mail an Mahamane war.
Man meldet wieder einen Überfall nördlich von Timbuktu.

23.2.2019

Ich gehe verstört von den täglichen Missbrauchsmeldungen ins Bett und habe die Bilder von Menschen im Kopf, die das erleben mussten. Da lese ich dann, wie sich so ein wenig Leben von innen anfühlt. Als gäbe es kein Entkommen.

24.2.2019

Angst sucht sich ein Objekt, ein Opfer, mit einem Gedanken, der mich quält.
Das Herzklopfen beim Einschlafen.
Angst wovor? Die Leere, das Nichts. Das Sein und das Nichts.
Man kann am Ende anfangen: dem bedrohlichen Gedanken seine Falschheit nachweisen, ihm seine Gründe wegnehmen. So macht es meine Freundin.
Bei mir funktioniert das nicht. Fühlt sich wie Abwehr an.’’Da bin ich immer mit dem Wegräumen der Gespenster beschäftigt, die aus dem schwarzen Loch steigen. Aber das Loch bleibt.
Ich möchte die Leere sehen, bevor sie mir Angst macht.
So komme ich zum Sein und zum Nichts. 

Heute ist Sonntag. Der Sonntag ist leer. 

25.2.2018

Natürlich war das Loch vor dem Einschlafen wieder da, in dem die Angst lauert und gierig nach ihrem Objekt Ausschau hält, um mich anzuspringen. Da hab ich mir gesagt: Schau die Leere an. Wie sieht sie aus? Was ist, wenn nichts ist?
Ich muss eingeschlafen sein, bevor ich eine Antwort hatte.
Wir werden uns weiter beobachten: die Angst und ich.

Mein Hund macht mir Sorgen. Alle paar Tage wirft er sein Futter heraus, ohne es durch Würgen anzukündigen. Wenn möglich leckt er alles wieder auf. Was ist da los? Wenn es so weitergeht, müssen Untersuchungen gemacht werden. Bis dahin versuche ich es mit Placebo – wie ich es auch bei mir machen würde – in Form von Massagen und guten Worten für das Bauchchen.
Dazu muss ich mir Yallas Anatomie anschauen, um zu wissen, wo sie ihren Magen hat.
- Also gut: so habe ich es mir gedacht. Kann ja gar nicht anders sein.

Wir haben einen Februar, wie ihn meine Welt noch nie gesehen hat.
Im Freien habe ich um diese Zeit nur in Burkina oder Mali geschlafen.
„Schönes Wetter“ sagen wir dann dazu und schämen uns nicht. Stimmt nicht: ich schon.

Ich habe eine Verabredung zur Sauna platzen lassen, weil mir schwindlig und leicht übel war  - was mich an den letzten Saunagang erinnert hat. War es das dann mit saunen? Was machen die alten Finninnen?
Sie gehen an den Tagen in die Sauna, die für die operierten Frauen vorgesehen sind: ohne Busen, mit einem oder – wie ich – mit zwei verschiedenen, einem kleinen oben und einem größeren weit unten. Ich erschrecke immer vor meinem Spiegelbild. Da ist noch der schlecht operierte Blinddarm, der mir einem Beutel am Bauch zurückgelassen hat, der größer geworden ist. Und dazu alles andere, was – fast – jede alte  Frau so hat. Es ist nicht mehr weit bis dahin, dass ich meinen Körper Menschen, die mich kennen, nicht mehr nackt zeigen will. Besonders denen nicht, die viel jünger sind. Dann wäre es nichts mehr mit  schwimmen und schwatzen, plantschen und plaudern. Es ist nicht nur ein Schatten, über den ich springen müsste.

Wenn ich diese Männer mit ihren Käppchen im Vatikan sehe und an die gewaltige Institution denke, zu der der Missbrauch von Kindern gehört – hat? – denke ich an das Buch, das ich heute gelesen haben werde, und möchte sie alle auf den Mond schießen.  
Eine Institution, die auf Glauben und Vertrauen baut, ist zur größten und perfidesten Falle geworden.

Eine Falle wie Ägypten und Libyen für die Menschen aus Äthiopien oder Somalia, aus Mali oder Niger…
Und wir machen uns Gedanken über Heimat. Ganz schön zynisch diese Exklusivität.

26.2.2019

Zynisch und obszön wie die Ungleichheit zwischen arm und reich, Tod und Leben in einer Welt, die für alle genug zum Leben hat.
Wir spazieren weiter auf unserem suizidalen Fortschrittspfad (Daniel Schwartz), sind satt und sagen: Der Sommer war schön! 

Als ich gestern mein Buch weglegen konnte – Jude ist tot und ein wenig Leben zu Ende –, war ich auf das schwarze Loch beim Einschlafen gefasst und wollte es anschauen, nicht zustopfen. Nur anschauen. Da muss ich eingeschlafen sein.
So mache ich es heute wieder.

Der Flügelschlag der Meisen rauscht durch die Luft. Das Klopfen des Spechtes begleitet ihn. Tschilpen, keckern, piepsen und pfeifen ist jetzt überall.

27.2.2019

„Der Papst zieht den Schwanz ein.“ so gestern der Tagesspiegel.
Dieser Satz geschieht ihm recht.