28.2.-8.3.2019 – Yallas Bauch

 

28.2.2019

Der Februar geht vorbei mit einem von den vielen Vor-Frühlingstagen.
Die Blumen vom Geburtstag waren nicht mehr schön, die Tulpen wild geworden. Ich habe alle Sträuße weggeräumt. Drei Rosen sind inzwischen getrocknet, die dürfen bleiben, bis ich einen Strauß Märzenbecher hereinhole. Den Geburtstagstisch habe ich nach einem Monat (das ist ein Rekord) aufgelöst, Bücher zu Büchern, Cremes zu Cremes, Gewürze zu Gewürzen, Süßes zu Süßem. Danziger Goldwasser zu der fast leeren Flasche ihresgleichen. Es war ganz leicht und schneller getan, als mir lieb war. Jetzt ist der Tisch frei für den Frühling. Ich bin wieder bei mir. 

Heute will ich die Tagebücher auf Mali-Notizen durchsehen, die ich 2017, 2018 im Text verwendet habe und solche, die 2018 noch hinein sollen. Es hat etwas von Fertigmachen, Fertigwerden, und es gibt mir Zutrauen, dass ich schaffen kann, was ich mir vorgenommen habe: drei Jahre.

Bis gestern war ich mir da nicht mehr sicher. 

1.3.2019

Plötzlich wurde es draußen laut, ein Rauschen ergreift meine Welt, die gerade noch ganz still gewesen ist. Und sie stinkt. Die Bauern rechnen mit Regen.
Der Abend ist noch offen für den großen Wagen und überhaupt. Eulen und Füchse sind gleichzeitig zu hören. Es tut sich was.
Und heute regnet es. Leise.  

2.3.2019

Jetzt packt mich Angst um Yalla. Vor ein paar Tagen habe ich gesehen, dass ihr Würstchen schwarz war. Das konnte nur Blut sein. Weil Yalla aber herumlief wie immer und ein paar Tage schon nicht mehr erbrochen hatte, wollte ich sie noch weiter beobachten, bevor ich zum Arzt ging. Am nächsten Tag war die Wurst halb schwarz halb braun wie immer. Und auch sonst nichts Auffälliges. Ich mache weiter mit dem Massieren ihres Bauches und rede ihr gut zu: „Das wird wieder gut. Du kannst das, du hast alles, was du brauchst“. Ich hole wieder hervor, was ich bei Dispenza gelernt habe. Gestern habe ich mit einer befreundeten Ärztin gesprochen, ihr Rat: Magenspiegelung, wenn Yalla wieder erbricht oder nicht „gut drauf“ ist. 
Wir haben auch über die Tierärztin – wäre meine nächste Adresse gewesen, habe die Telefonnummer schon bereitgelegt – gesprochen, die Krankheiten der Tiere – immer – mit deren menschlichen Partnern in Verbindung sieht. Wir probieren dieses Modell: Hatte ich Stress? Nein – die Arbeit hat mir Spaß gemacht. Ja, es geht um den Text mit meinem Vater. Den Vater, der nicht mehr gesprochen hat und den der Krieg wegen eines Magengeschwürs nicht mejr gebraucht hat.
Gestorben ist er fast 50 Jahre später an Magenkrebs.
Mein Magen verträgt fast alles, sag ich immer. Es muss schon ein schlechter Fisch sein – wie bei meinem ersten Flug nach Ouaga, der mich umhaut. 

Heute warte ich auf Yallas Würstchen: Es hat schwarze Streifen im Braun. 
Wir gehen durch den Wald, Yalla läuft mit wie immer, ich nehme Märzenbecher mit für den Küchentisch. 
Es ist Samstag, mir bleibt nur das Internet, wenn ich mehr wissen will über Hundemägen und ihre Krankheiten. Da gibt es viel und man kann viel falsch machen. Das zielt auf mich. Ich sehe nur Falsches: 
Ich habe meinen Hund behandelt wie mich selber, das Beste gibt es nicht für mich. Vielleicht kann ich es wieder gut machen.
Ich bin froh, wenn ich sie herumrennen sehe, nur weil sie herumrennen will.

3.3.2019

Es ist Sonntag. Eine in diesem Frühjahr neue Vogelstimme ruft mich aus dem Schlaf. Ich folge ihr und glaube dem, was ich von fern gehört habe: einen ziehenden Ton, wie ihn ein Star macht. 
Wo nehme ich nur diese Zuversicht her? Mit der Sonne und dem Wind ist sie auf einmal da. Dabei habe ich ganz vergessen, meinen Satz zu denken: will ich heute Abend…?

Der Befund von Yallas Häufchen ist derselbe wie gestern. Halb braun, halb schwarz gestreift.
Dabei ist Yalla so ruhig oder lebhaft wie immer. Heute Nacht wollte sie unbedingt ein zweites Mal hinaus, kam nicht zurück, dann hörte ich sie auf der Wiese draußen wild bellen. Erst aufs Klingeln ist sie sofort gekommen, als wäre sie neben mir gewesen. Heute Morgen sehe ich den aufgebrochenen Grasstreifen vor meinem Gartentor. So nah waren die Wildschweine noch nie. Ich werde nicht herauskriegen, ob es Yalla war, die sie vertrieben hat. 

Wie gut doch Zuversicht tut. Mein Hund bekommt nur noch bestes Futter, morgen gehen wir zu unserem Tierarzt, mit ihm entscheiden wir dann, ob und wann eine Magenspiegelung nötig ist und welche Klinik sie macht. Es wird wieder gut werden, sage ich zu Yalla und zu mir. Und vertraue dem, was ich gesagt habe.

Dass Zuversicht Abwehr von Angst wäre?- so etwas Böses möchte ich nicht glauben. Heute. 

4.3.2019

Heute fliegen die Vögel nicht, sie werden geflogen. Nur wenige sind unterwegs und kein einziger hängt an meinen schaukelnden Futterangeboten. Wo verstecken sie sich bei diesem Sturm, der laut wie ein Flugzeug wird?
Ich war schon mit Yalla beim Tierarzt und habe drei Stuhlproben hingebracht. Mich hat es beim Heimweg fast vom Rad geblasen und Yalla wird über den Feldweg gejagt. Jetzt warten wir auf den Anruf, der uns weiterhelfen soll. Es ist so gut, etwas tun zu können.

Der Sturm tobt immer wilder, ich glaube, es ist schon ein Orkan. Da brauche ich gar nicht versuchen, den Ofen zum Heizen zu bringen. Warm anziehen muss reichen. Ich warte auf den Anruf vom Arzt. Wann machen die denn die Untersuchung? Ich kann mich nicht auf das konzentrieren, was ich mir vorgenommen habe: 2018 durchsehen. Da stifte ich nur Durcheinander. Ich gehe noch einmal draußen herum, vielleicht muss ich noch etwas sichern. Aber ich kann da auch nicht viel tun und warte darauf, dass es irgendwo kracht.  

5.3.2019

Das hätten sie mit mir nicht machen sollen. 
Als kein Anruf kommt, rufe ich nachmittags beim Tierarzt an. Die Sprechstundenhilfe sagt, das Ergebnis sei jetzt da und der Arzt würde mich anrufen. Wann? Sie seien bis 19 Uhr da. Ich gehe nur noch kurz mit Yalla hinaus, dann bleibe ich im Haus, draußen ist es bedrohlich wild und ich will den Anruf nicht verpassen. Es wird sechs Uhr, sieben Uhr. Nichts. Das war es. Vor acht Uhr morgens geht nichts mehr. So.
Was heißt das jetzt? Ich es mir aussuchen: der Befund ist ganz schlimm oder ganz harmlos. Kann ich mir das aussuchen? Solange ich wach bin – ja, wenn ich einschlafen will – nein. Und nach dem Aufwachen um halb sechs auch nicht. 
Acht Uhr. Ich erreiche den Arzt. Er hat das Ergebnis erst heute Vormittag. Falsche Informationen von den Sprechstundenhilfen. 
Jetzt warte ich wieder.
Warum bloß das Theater? Überflüssig, völlig überflüssig.
Bis auf dies: zwischendurch konnte ich die Gedanken wählen und mich entscheiden. Sollte ich weiter üben.
Denken, was ich will.’
Zwei Stunden später: der Arzt. Er hat sich beeilt. Im Stuhl nichts gefunden, jetzt ist das Blut dran. Er geht schrittweise vor, wie ich ihn kenne und es gut finde. Ich hatte schon gefürchtet, dass wir uns einen neuen Arzt suchen zu müssten. So schnell gebe ich auf.

Nebenbei habe ich mein Schreibprogramm dazu gebracht, mir seine Dienste zu verweigern. Hab viel probiert, auch das Finale: ein update machen. Nichts hat funktioniert.
Heute habe ich mir von apple die Hilfe geholt, die ich selbst hätte finden können, wenn.. . der Hund net gschissn hätt… 

Der Sturm ist zum Wind geworden, heftig, aber lange nicht so laut wie heute Nacht. Durch das tiefe Rauschen kam kein anderer Ton mehr durch.

6.3.2019

Der Föhn täuscht Frühling vor. Ich habe mich aufs Rad geschwungen und wir haben dem Arzt ein frisches, halbschwarzes Würstchen hingebracht, so wie er es mir aufgetragen hat, als er gestern Abend Yalla Blut für eine Untersuchung  abgenommen hat. Ich muss nicht warten, habe einen freien Tag. Den wollte ich endlich zum Weitermachen von 2018 verwenden. Aus dem Niger-Tagebuch die Stellen herausnehmen, die ich imTimia-Text verwendet habe, den einbauen, weil er ein rundes Bild abgibt. Jetzt bringe ich alles durcheinander. Vielleicht kann ich das gar nicht mehr: Übersicht schaffen, um ein Texthaus mit mehreren Stockwerken zu bauen? Wo die Grundlage so stabil sein muss, dass sie mehrere Schichten trägt. Kommt mir vor wie sechs leise sieben denken. (geklaut von Pumuckl). Ich kann nur noch Bungalow – habe ich vor ein paar Jahren beschlossen, als mir schon bei dem Gedanken an zwei Stockwerke schwindlig wurde. So wie ich ohnesinn angefangen habe, alles schön nebeneinander, hat es – ebenerdig – funktioniert. Und jetzt? Rückbau?
Schaffe ich das? Ich bin so müde. Möchte mal wieder ausschlafen.

Telefon: Ibrahim. Ich werde zurückrufen und fragen, wie es seiner Frau geht.

7.3.2019

Heute kam der Anruf schon, bevor ich mit dem Warten angefangen habe. Das Ergebnis der Blutuntersuchung: nichts Auffälliges an der Schilddrüse, Leber, Bauchspeicheldrüse usw. Irgendwie beruhigt mich das, vor allem die Bauchspeicheldrüse. Man muss weiter beobachten. 
Das Ergebnis der Untersuchung auf okkultes Blut steht noch aus, ich werde es beim Skifahren bekommen. 
Der Magen wird eingekreist. Mittlerweile bin ich ganz ruhig geworden. Wo auch immer es herkommt – es ist unser Leben. Ich werde alles dafür tun, dass es – wieder – gut wird.

8.3.2019

Bis Mittag konnte ich Zuversicht und Ruhe bewahren, dann war es damit vorbei. Das ist es heute immer noch. Kann ich meine Gedanken wählen? Im Liegen: nein. Beim Gehen: vielleicht? Oder denken sie mich?
Danach sieht es gerade aus.
Dann wollte ich wissen, wie das Wetter wird, und habe jetzt die Aussicht auf eine Skiwoche mit drei Stunden Sonne und dazu Sturm und Sturm und Sturm. Schneekettenpflicht, weil es schneit. Ich habe noch nie selbst die Ketten aufgezogen. Als das einmal nötig war, gab es einen Mann. Allein bin ich nicht mehr ins Gebirge gefahren, wenn es geschneit hat. Jetzt bin ich nicht allein und kann nichts ändern.
Ich versuche es mit. Es wird „sportlich“. Werde ich stolz sein, wenn ich es geschafft habe?
Geschafft, ohne zu sehen, wo ich bin. 
Ein Spatz ruft auf seinem Haus. Ich freue mich auf das Wiederkommen. 
Also bringen wir es hinter uns, das Skifahren. Danach kann ich erst mit dem Garten anfangen. Heute habe ich die Schaufel wieder hingeschmissen, nachdem ich das erste Loch für eine Krokuszwiebel gestochen hatte. Falsche Zeit.

10.3.2019

Die Wetteraussichten werden nicht besser. Es ist grauslich. Ich weiß nicht, wohin mit mir. 
Gestern habe ich notwendige Aktivitäten dagegengehalten, mein Auto musste ausgeräumt und gründlich saubergemacht werden, schließlich habe ich eine Mitfahrerin. Und man kann sich nicht vorstellen, wie das Auto hier nach einem Winter mit Hund ausschaut.
Aus meinem früheren Garten habe ich Krokusse mitgebracht und sie hier in den Boden gesteckt. Sie und die Schneeglöckchen haben sich inzwischen fast flächendeckend vermehrt. Dafür ist der Regen heute gut.  

Nein: das wird heute nix, ich höre hier auf und gehe schwimmen und ins Kino. 
Und morgen früh ins Gebirg.

Der Regen macht gerade eine Pause – das kann ich vielleicht schnell die wichtigsten Sachen ins Auto räumen: die Schneeketten zuerst!