III.1.1 Genealogie der Literaturwiss.
Leseprobe
Von Lutz Danneberg
1.1 Altphilologie, Theologie und die Genealogie der Literaturwissenschaft
1.1.1 Philologia sacra und profana und die Gleichbehandlungsmaxime
»Wie ehedem die hebräische und die neutestamentliche Exegese Namen und Methode ganz von der griechisch-römischen Philologie entnehmen konnte und mußte, wegen der Ähnlichkeit des Substrats und des Zwecks, nur daß sie sich philologia sacra nannte«, schreibt 1847 Friedrich Traugott Friedemann in seiner programmatischen Abhandlung Der modernen Philologie wird fortdauernde Rücksicht auf die antike empfohlen, so habe denn auch »die moderne Philologie ganz an der Hand der antiken sich emporgerichtet und ebenfalls Namen und Methode sachgemäß von ihr entlehnt, wenn auch, wie natürlich, mit mancherlei Modifikatio- nen« (Friedemann 1847, 255 f.). Beide, philologia sacra wie philologia moderna, hätten sich bei ihrer Entwicklung an der antiken Philologie orientiert, und zwar aufgrund von Ähnlichkeiten des »Substrats «, gemäß ihrer »Sache« sowie hinsichtlich ihrer »Methode«, und es folgt ein Plädoyer dafür, dass es mehr oder weniger bei dieser Orientierung bleiben soll. Solche Empfehlungen zeugen selbst im 19. Jh. oftmals nicht von intimen Kenntnissen der mit Hilfe schlanker Entwicklungsformeln seiner Komplexität beraubten historischen Zusammenhänge, auf die man sich zur Plausibilisierung programmatischer Bekundungen beruft. Das zeigt sich kurioserweise an dem einzigen für die Abhängigkeit der philologia sacra von der philologia profana gebotenen Beleg. Verwiesen wird auf die philologia sacra des Salomo Glassius, deren ersten beiden Bücher 1623 erscheinen. 1634 um die grammatica sacra und 1636 um die rhetorica sacra erweitert, liegt sie schließlich 1705 – aus dem Nachlass durch eine logica sacra ergänzt – vollständig vor und wird ein ebenso berühmtes wie erfolgreiches Lehrbuch. Tatsächlich jedoch bezieht sich Friedemanns Hinweis auf die umfassende Bearbeitung dieses Werks vom Ende des 18. Jh.s durch die Theologen Johann August Dathe und Georg Lorenz Bauer, mit der bereits eine weitreichende Anpassung an die zeitgenössischen philologischen Auffassungen vollzogen wurde.
Keine Frage ist, dass Abhängigkeiten der philologia sacra von der philologia profana einerseits, der philologia moderna (die Neuphilologien) von der philologia antica andererseits bestanden haben. In beiden Fällen handelt es sich um komplexe, alles andere als unilineare Entwicklungen, bei denen sich die Übersichtlichkeiten oftmals eher dem marginalisierenden retrospektiven Blick verdanken. Die sich in der Fülle des Materials verbergenden Beziehungsgeflechte sind bis heute in der freilich nicht sehr umfangreichen Forschung zum Thema weithin unerkannt und unbekannt geblieben. [...]
Leseprobe aus dem Handbuch Literaturwissenschaft. Sie können den Handbuch-Artikel nach Anklicken der Zeile „Leserbrief schreiben“ rechts unten auf dieser Seite kommentieren.