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Das Ministerium des äußersten Glücks

Roman

Von Arundhati Roy


Karsten Herrmann schrieb uns am 04.02.2018
Thema: Arundhati Roy: Das Ministerium des äußersten Glücks

Das Glück des Friedhofs

Ganze zwei Jahrzehnte mussten die Leser nach dem Welt-Bestseller „Gott der kleinen Dinge“ auf den neuen Roman der Inderin Arundhati Roy warten. In der Zwischenzeit wurde Roy zu einer Ikone der Kapitalismuskritiker und der Anti-Globalisierungs-Bewegung und verfasste statt Belletristik politische Essays. Der Zorn über Ungerechtigkeit, Korruption, Rassismus und Gewalt sprüht so nun auch noch aus jeder Seite ihres neuen Romans, der sich insgesamt als ein Buch mit Licht und Schatten, als ein ebenso stacheliges wie anziehendes Buch entpuppt.

Im Zentrum des 550 Seiten-Romans steht der in Alt-Dehli geborene und aufgewachsene Anjum, der sich zum Schrecken der Mutter als ein Transgender mit beiderlei Geschlechtsmerkmalen, als eine „Hijra“ entpuppt. Magisch fühlt sich Amjun von der „Khwabgah“, einem Haus der Hijras in der Nachbarschaft angezogen und wird dort in jungen Jahren aufgenommen: „Er betrat diese gewöhnliche, heruntergekommene Haus, als schritte er durch das Tor zum Paradies.“ Er, der sich als sie fühlt, wird in die Traditionen und Rituale der Gemeinschaft eingeführt und wird im Laufe der Zeit zu Dehlis berühmtester Hijra. Größtes Mutterglück erfährt sie, als sie das Findelkind Zunaib aufnimmt und in der Khwabgah großzieht. Doch auf einer Reise wird sie Opfer der antimuslimischen Stimmungsmache in Indien nach 9/11 und kommt in ein Lager, in der ihr Unsägliches widerfährt. Zurück in Dehli zieht sie sich auf den nahegelegenen Friedhof zurück und errichtet dort einen Hort der Menschlichkeit und des Glücks mit „Volksbad“, „Volkszoo“ und „Volksschule“.

In einem zweiten ausgedehnten Erzählstrang berichtet Roy vom Freiheitskampf in Kaschmir, in den vier ehemalige Studienfreunde auf verschiedenen Seiten verwickelt sind. Diabolischer Gegner der Freiheitskämpfer in Kaschmir ist  Amrak Singh, „ein Spieler, ein tollkühner Offizier, ein tödlicher Inquisitor und ein fröhlicher kaltblütiger Mörder“. Er ist in diesem Buch das Sinnbild für das Böse, das Berechnende und Zynische und wird am Ende doch seinen Preis bezahlen.

Arundhati Roy wechselt in ihren Erzählsträngen rasant die Zeiten und Räume, baut Tagebucheinträge, Briefe, Notizen, groteske Fragebögen und mäandernde Abschweifungen ein. Ihre Prosa wechselt dabei zwischen blumig-poetisch, obszön, zornig, versöhnend und mehr oder minder direkter politischer Agitation: Mit Verve klagt sie so immer wieder die Ungerechtigkeit in ihrem Heimatland an, die bitterste Armut auf der einen Seite, den unvorstellbaren Luxus auf der anderen Seite, geißelt Umsiedlungen, Betrug, Korruption und die blinde Gewalt zwischen Hinduisten und Moslems.

„Das Ministerium des äußersten Glücks“ ist ein zwiespältiges Buch, ein mehrfaches Zwitterwesen. Letztlich ist es ebenso monströs wie es Roys in die kapitalistische Jetztzeit katapultiertes Heimatland Indien mit seinen uralten Kastensystemen, religiösen Dogmen und finsteren Ritualen ist. Der Roman bringt den Leser zwischenzeitlich an die Grenzen des Verstehens und der Geduld, um dann aber die vielen Fäden und Ebenen zum Ende wieder erzählerisch großartig zusammenzuführen. Mit Amjums alternativem Lebensmodell auf dem Friedhof beschwört Roy die Möglichkeit eines anderen, besseren Lebens, die Möglichkeit von Glück und Menschlichkeit in einer enthemmten Welt.


Arundhati Roy: Das Ministerium des äußersten Glücks. Aus dem Englischen von Anette Grube. S. Fischer 2017. 550 Seiten. 24,00 Euro

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