Blom & Voss gegen den Krawatten-Mörder
Mit „Felix Blom – der Schatten von Berlin“ setzt Alex Beer ihre neue Reihe historischer Kriminalromane fort
Von Dietmar Jacobsen
Acht Monate sind vergangen, seitdem der gerade aus dem Gefängnis entlassene Meisterdieb Felix Blom und die ehemalige Prostituierte Mathilde Voss ihren ersten gemeinsamen Berliner Fall gelöst haben. Die böse Intrige eines mit ihm um die Gunst der wohlhabenden Auguste Reichenbach konkurrierenden Mannes hatte Blom für drei Jahre nach Moabit gebracht. Wieder auf freiem Fuß, benötigte er binnen kurzer Zeit eine Wohnadresse und eine Arbeitsstelle, um die ersehnte Freiheit nicht augenblicklich wieder zu verlieren. In dieser prekären Situation bot ihm Mathilde Voss eine „Zweckgemeinschaft“ an: Sorgt er als Mann, dem in Geschäftsdingen im Jahr 1878 mehr Vertrauen geschenkt wird als einer jungen Frau, mit dafür, dass Mathildes gerade frisch gegründetes Detektivbüro endlich aus den roten Zahlen kommt, hilft sie ihm dabei, seinen Verpflichtungen gegenüber der Berliner Polizei nachzukommen.
Was mit Felix Blom – der Häftling aus Moabit vor einem Jahr begann, hat die österreichische Schriftstellerin Daniela Larcher, die sich als Verfasserin von historischen Kriminalromanen Alex Beer nennt, nun mit Felix Blom – der Schatten von Berlin fortgesetzt. Erneut fußt ihr Buch auf einem verbürgten Fall, über den die Berliner Gerichtszeitung am 4. März 1879 ihre Leser und Leserinnen ins Bild setzte. In die Leichenhalle der unter dem St.-Hedwigs-Kirchhof gelegenen Kapelle war von Unbekannten in der letzten Februarnacht des Jahres eingebrochen und der sich in einem Holzsarg befindende Zinksarg eines kürzlich Verstorbenen so weit geöffnet worden, dass man bequem mit der Hand hineingreifen konnte. Da die Leiche aber offensichtlich unberührt geblieben war, nach Auskunft der Familie nichts fehlte und die Einbrecher keinerlei Spuren hinterließen, wanderte der Fall zu den Akten. Um knappe anderthalb Jahrhunderte später für eine ihre Romane stets sorgfältig recherchierende Autorin zum idealen Ausgangspunkt zu werden.
Und Beers beide Detektive haben einen lukrativen Fall wie den des Einbruchs in eine Leichenhalle und der damit verbundenen Störung der Totenruhe im bitterkalten Winter 1878/ 79 auch nötig. Denn es läuft gerade nicht so gut mit ihrer Detektei. Mathilde Voss muss sich mit ihren geliebten Zigarren einschränken. Das Geld für Miete und Heizmaterial geht zu Ende. Und obendrein hat man sich binnen Kurzem wohl auch noch nach einer neuen Unterkunft umzusehen, weil der Wohnblock, in dessen Erdgeschoss Mathilde und Felix ihr Büro betreiben, abgerissen werden soll, um einem schicken Neubau wie sie im Berlin der Gründerzeit gerade an allen Ecken und Enden aus dem Boden schießen, zu weichen.
Also machen sich die beiden Detektive im Auftrag der Schwägerin des verstorbenen Professors Rohland, für die Geld offensichtlich keine Rolle spielt, auf, um das Rätsel des geschändeten Grabes zu lösen. Eduard Rohland war zu Lebzeiten ein bekannter Archäologe, als Mensch beliebt und ohne Feinde, allerdings als Troja-Enthusiast ein energischer Gegner von Deutschlands populärstem Ausgrabungsfachmann Heinrich Schliemann. Ein ausgesprochen harmloser Bücherwurm alles in allem, so besonnen wie konfliktscheu und einem guten Cognac nie abgeneigt. Was könnte dieser Mann mit in sein Grab genommen haben, das eine so riskante Tat wie den Einbruch in eine Leichenhalle sowie das gewaltsame Öffnen eines dicht verschlossenen Sarges rechtfertigen würde?
Auch für ihren zweiten Felix-Blom-Roman hat Alex Beer, wie man das nicht anders von ihr kennt – ihre nach dem Ersten Weltkrieg spielende, bis dato fünfbändige Reihe um den Wiener Kommissar August Emmerich ist bis in die kleinsten Details akribisch recherchiert –, versucht, so nah wie möglich an der historischen Realität zu bleiben. Das reicht vom Wetter über die Kleidung, die ihre Personen tragen, bis zur politischen Situation, die an der Wende vom Jahr 1878 zum Jahr 1879 geprägt war von zwei zurückliegenden Attentaten auf den deutschen Kaiser, was Reichskanzler Otto von Bismarck einen zusätzlichen Anlass dafür lieferte, die sogenannten „Sozialistengesetze“ verabschieden zu lassen.
Selbst Personen der Zeitgeschichte lässt Beer gelegentlich die Wege ihrer Helden kreuzen, etwa den Direktor der Berliner Nationalgalerie Max Jordan oder den Polizeipräsidenten Guido von Madai. Ob allerdings jene bestialische Mordmethode, die im 20. Jahrhundert unter dem Namen „Kolumbianische Krawatte“ bekannt wurde – durch einen Kehlquerschnitt zog man die Zunge des Opfers heraus, so dass sie unterhalb des Kinns wie eine Krawatte aus dem Hals hing – von deutschen Ganoven im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts bereits praktiziert wurde, darf wohl gefragt werden. In einem ansonsten so gut konstruierten Roman, dass es die genreüblichen Gewaltexzesse weder braucht, noch ihr Fehlen Lesevergnügen und Spannung beeinträchtigt, sorgen die entsprechenden Szenen immerhin für ein wenig wohliges Grauen.
Voss und Blom jedenfalls führt ihre Ermittlung vom Tatort, an dem sie Spuren eines mit einem Wachsabdruck nachgefertigten Schlüssels finden, über verrauchte Spelunken mit dubiosen Hinterzimmern und hochherrschaftliche Villen schließlich in die Nähe jenes Mannes, dem Felix Blom viel zu verdanken hat und von dem er deshalb eigentlich hoffte, dass er seine Finger diesmal nicht im Spiel haben würde. Aber die Geschäftsfelder von Gangsterboss Lugowski haben sich über die Jahre natürlich genauso erweitert wie die Zahl seiner Feinde in der Berliner Unterwelt zunahm. Und so ist es unvermeidbar, dass der einstige Schüler und sein Lehrer in Sachen Diebstahl sich eines Tages wieder gegenüberstehen und Ersterer sogar einen kleinen Rückfall in das Metier hat, dem er eigentlich für immer entkommen zu sein schien.
Felix Blom – der Schatten von Berlin ist ein unterhaltsamer, gut geschriebener historischer Kriminalroman. Er nimmt seine Leserinnen und Leser mit in das Berlin am Ende des Jahrzehnts nach der Reichsgründung, eine pulsierende Metropole auf dem Weg zur Weltstadt, verdeutlicht mit vielen kleinen Episoden sich vertiefende soziale Spannungen und schildert das Auftauchen neuer Mitspieler auf der politischen Bühne sowie die heftige Reaktion der etablierten Kräfte auf diese Infragestellung ihrer tradierten Macht.
Manchmal lässt Alex Beer ihre einfachen Protagonisten noch reden wie das „Berliner Tageblatt“ oder die „Gartenlaube“ – „Der Reichskanzler hat wohl einen Hinweis auf geplante revolutionäre Ereignisse bekommen und will zum Schutz von Staat und Gesellschaft der verderblichen Agitation der roten Reichsfeinde Einhalt gebieten“, äußert etwa ein junger Schupo gegenüber Felix Blom, als sie sich anlässlich einer „Sozi-Razzia“ über den Weg laufen. Und dass zwei hartgesottene Gangsterbosse wie Arthur Lugowski und Raik Hartmann, nachdem sie die Nationalgalerie ausspioniert haben, mit Skizzen zu ihren Leuten zurückkommen, die wie aus der Architektenmappe entnommen aussehen, ist auch ein wenig des Guten zu viel.
Alles in allem aber liegt ein großer Reiz in dieser sich über das Buch erstreckenden Zweiteilung des Personals. Zwei rivalisierenden Gangsterbossen – dem alteingesessenen Arthur Lugowski, Felix Bloms Ziehvater, steht mit Raik Hartmann ein neuer Typ des Gesetzlosen gegenüber, rücksichts- und skrupelloser – rücken zwei Polizisten – Heinrich Schlesinger (der aus Afrika Zurückgekehrte ist ein bisschen der „good cop“) und Bloms alter Feind Bruno Harting (der „bad cop“ würde Beers Helden am liebsten schnell wieder nach Moabit zurückschicken) – auf die Pelle. Und natürlich die zwei Detektive: Felix und Mathilde. Dass aus denen in Zukunft noch etwas mehr werden könnte als Geschäftspartner, ist an einigen Stellen des Romans zu ahnen. Passt die rigorose Mathilde doch viel besser zu dem Mann mit der auch in diesem zweiten Roman noch immer nicht ganz klaren Vergangenheit als die großbürgerliche Auguste. Die wird von der Autorin denn auch erst einmal nach Wien geschickt. Was Alex Beer sich dabei gedacht hat? Wir werden sehen, denn die Reihe ist zu gut, um nicht fortgesetzt zu werden.
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