Stilisiertes Preußentum

Die 'Begegnungen' des Joachim C. Fest

Von Florian FuchsRSS-Newsfeed neuer Artikel von Florian Fuchs und Axel FischerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Axel Fischer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Triumph der neokonservativen Fraktion hat sich in den letzten Wochen eindrucksvoll dokumentiert: Hier die Autobiografie von Günter Grass mit seiner SS-Beichte, auf der anderen Seite der zum "letzten Bürger" stilisierte Joachim C. Fest mit seiner "Ich nicht" Autobiografie - nämlich der antinazistischen Haltung des ehemaligen FAZ-Herausgebers. Der konservative Sieg hängt aufs Engste zusammen mit der Wiederverbürgerlichung der deutschen Kultur, der Restauration der bürgerlichen Werte und Tugenden, insbesondere der Naturalisierung solcher Kategorien wie Ökonomie und Familie.

So zeitigt die nachhaltige Auslöschung des hierzulande vermeintlich so weit verbreiteten "kritischen Bewusstseins" ihre Folgen. Die Nachrufe auf Fest sind Dokumente geistiger Kapitulation. Nur weil jemand skeptisch schaut, ist er noch lange kein Skeptiker. Nur weil einer die Stirn runzelt, denkt er nicht unbedingt nach. Der neoliberale Kapitalismus zerstört die gesellschaftlichen Bedingungen kritischen Denkens, so dass jemand wie Fest als aufrechter Antifaschist durchgehen kann.

Stellt man sich die jüngste deutsche Geschichte als Gerichtsprozess vor, so endet dieser nun mit dem Geständnis des Anklägers und dem Freispruch des Angeklagten in allen Punkten. Tatsächlich spricht Frank Schirrmacher in seinem "F.A.Z."-Nachruf auf Fest von einem Schlusskapitel, einer letzten "Pointe im Symbolischen", einer "Art geistiger Wiedergeburt, die ihm [Fest] ähnlich sieht."

Die Doktrinäre der Ordnung sollten sich aber nicht zu sehr auf die eigenen Schultern klopfen. Der Sieg ist weniger ihr Verdienst, als vielmehr Resultat der ökonomischen Entwicklung. Denn, wie Pierre Bourdieu immer wieder betont hat: Der Neoliberalismus ist eine konservative Revolution, die "scheinbar keine Ähnlichkeit mehr mit der alten Schwarzwälder Pastorale der konservativen Revolutionäre aus den dreißiger Jahren" hat, sondern sich "mit allen Insignien der Modernität" schmückt. "Die konservative Revolution neuen Typs suggeriert uns vielmehr, sie sei fortschrittlich, vernünftig, wissenschaftlich". Fest war ein Konservativer Revolutionär im Sinne Bourdieus, denn diese Revolution - so Bourdieu im Gespräch mit Günter Grass - "setzt die Vergangenheit wieder in ihre Rechte und gibt sich dabei als fortschrittlich aus, so dass diejenigen, die die Rückkehr zu den alten Zuständen bekämpfen, selbst in den Ruch kommen, von gestern zu sein." Sowohl Martin Walser als auch Schirrmacher betonen, dass Fest kein "rückwärtsgewandter" Konservativer gewesen sei, sondern ein moderner Konservativer, ein professioneller Techniker der neuen Medien, ein "leidenschaftlicher Journalist." Seinem Lebensthema - Adolf Hitler - habe er sich laut eigener Aussage "emotionslos, mit einer fast naturwissenschaftlichen Nüchternheit genähert".

Fests entscheidender Beitrag war es, eine bestimmte historische Erzählung annehmbar zu machen, eine bestimmte Perspektive auf die jüngste deutsche Geschichte: die von den aufrichtigen Deutschen, die schicksalhaft in einen Weltkrieg hineingezogen worden sind. Darauf zielt die "Aufgehobene Vergangenheit" Fests.

Das Unternehmen von Fest und seinen "nahen" Freunden bestand darin, diese Werte wieder mit einem Bürgertum zu verbinden, das dadurch desavouiert worden war, dass es Hitler zur Macht verholfen hatte. Dabei kommt es ganz entscheidend darauf an, den ständischen Offiziersputsch von 1944 zum antifaschistischen Widerstand zu stilisieren - so als hätten nicht Beck, Goerdeler u. a. zwar im Westen Frieden geschlossen, den Vernichtungskrieg im Osten aber gerne fortgesetzt. Hierhin gehört auch Fests Albert Speer-Biografie: Sie sollte - unter Ignorierung schon des damaligen Forschungsstands - beweisen: Wenn selbst jemand wie Speer nichts von der Vernichtung wusste, wie hätten dann die normalen Deutschen davon etwas wissen können? Es gilt, aus Hitlers Schatten herauszutreten. Es geht Fest nicht darum, Hitler zu verherrlichen - auch wenn die Spekulationen über dessen vermeintliche "Größe" Anlass zu solchen Vermutungen gegeben haben. Auch die Entlastung der Deutschen, über die der Diktator gleichsam wie ein Schicksal hereinbrach, ist eher Nebeneffekt als Hauptsache. Worum es geht, ist Hitler zu bannen, ihn zu kontrollieren, ihn "erzählbar" zu machen. Und gerade die Annehmbarkeit Hitlers ist dabei von kaum zu überschätzender Bedeutung: "Das gebrochene Verhältnis der Deutschen zu ihrer Geschichte werde nirgends so deutlich wie im unsicheren Urteil über Hitler", hatte Fest in einem "F.A.Z."-Leitartikel festgestellt.

In dem Schlüsselbuch "Begegnungen" porträtiert Fest seine "nahen und fernen Freunde". Die nahen Freunde sind solche Persönlichkeiten wie Johannes Gross, für den die Betroffenheit, die viele Deutsche an den Tag legten, nur gespielt war. "Die Unfähigkeit zu trauern", zitiert ihn Fest, werde einst als "eine der größten Eseleien des 20. Jahrhunderts" gelten. Fest über Gross bzw. sich: "Er machte bei alledem nicht mit, sondern blieb einfach bei Verstand und versuchte, Herkunft und Motive jener moralischen Großmäuligkeit aufzudecken, die in den 60er Jahren zur neuen deutschen Ideologie wurde: Ein Wilheminismus neumodischen Zuschnitts." Fest will nicht selbst sagen, dass die Aufarbeitung der Geschichte, die nicht einfach Hitlerfaszination ist, nur gespielte Heuchelei sei und noch dazu lukrativ. Für solche infamen Denunziationen wird Gross von Fest in eine Reihe europäischer Moralisten vom Schlage Paul Valérys oder Jean Pauls eingereiht. Durch Gross rechnet Fest nachträglich noch einmal mit der Frankfurter Schule ab. Adorno habe - so Gross - "mit dem Schreckenswort [Auschwitz] bloß ein bißchen Aufsehen für sich machen" wollen.

Der "Außenseiter" Gross war dann in den 60er-Jahren in den "Führungskreis" der CDU aufgestiegen. Fest teilt die These des "unter die allzeit räuberischen Verbände [die Parteien] gefallenen Staates." Die Gruppierung um Gross, Rüdiger Altmann, Arnold Gehlen und Carl Schmitt forcierten die Verwandlung der Bundesrepublik in eine "formierte Gesellschaft".

Auch der Historiker Arnulf Baring zählt zu den "nahen Freunden" Fests. Er machte jüngst mit einer Rede vor dem Hessischen Landtag auf sich aufmerksam, in der er forderte, statt von Integration von "Eindeutschung" zu sprechen. Obwohl Teil des Establishments, wird Baring von Fest zwanghaft zum "Zweifler" und Nonkonformisten stilisiert. Selbst Barings "hochgestimmtem und zugleich besorgtem Enthusiasmus" komme das Tribut des "Zweiflers" zu. Ähnliches ließe sich auch von dem Verleger Wolf Jobst Siedler sagen, der ebenfalls diesem Kreis angehört und mit den gleichen Grundbegriffen arbeitet.

Die fernen Freunde hingegen sind ideologische Gegner, deren partielle Übereinstimmungen mit der Position Fests von diesem in kompromittierender Weise herausgestellt werden. Mit Sebastian Haffner ist sich Fest einig, dass Hitler "aller Welt offenbar gemacht hat, dass die Rhetorik von den ,Völkersignalen' und dem ,Letzten Gefecht', das Europa bis dahin [1933] in Angst und Schrecken versetzt hatte, nur ein ,Maulheldentum' war, das ,schon von Marx herkam.' Für Hitler sei die ganze Weltrevolution nicht mehr als ein ,mittleres Polizeiproblem' gewesen. ,Ein bisschen kläglich für die Revolutionäre, denken Sie nicht?' schloss er." Es ist immer das Gleiche: Seine fernen Freunde findet er gut, soweit sie seiner Meinung sind, wenn sie anderer Auffassung sind als er, dann sind sie nicht "frei von ideologischen Voreingenommenheiten."

Die Frauen, die Fest zu seinen "fernen Freunden" zählt, Ulrike Meinhof und Hannah Ahrendt - die hier einmal mehr als Stichwortgeberin in Sachen Totalitarismus herhalten muss -, können sich gegen diese Zuschreibung leider nicht mehr wehren. Eitle Selbstdarstellung als wohlwollender Freund umweht diese beiden Porträts, ebenso wie eine tote Erotik. Meinhof und Fest hätten einen "Reiz" verspürt - selbstverständlich nur im "Gegeneinander" der Meinungen und zweier "verschiedener Welten". Meinhof will mit ihm die Kontroverse in einem Cafe fortsetzen und schickt andere Interessierte weg, um mit ihm allein zu sein. Der Auserwählte inszeniert sich als lebenskluger Mahner. Was diese Frauen wirklich wollten, interessiert ihn nicht.

Hinter dem freundlichen Hinweis, die Studentenbewegung erinnere ihn an die Nazis und die Welt sei doch nicht nur schwarz und weiß, steckt die Versicherung, einen "genaueren" Blick zu haben. Fest bezeichnet sein Denken als "vorsatzlos", das von Meinhof hingegen sei aus der "marxistischen Mottenkiste". Die "Sprache des Protests" (Meinhof) ist für ihn ein "aus politische[m] und religiöse[m] unentwirrbar gemischte[r] Jargon". Die Apologie der Rangunterschiede, der Differenz, ist in allen Aktionen Fests virulent. Seine Predigt ist strikt konservativ: der Gesellschaft einen Sinn stiften, ohne sie zu verändern - höchstens von oben. In dem aufschlussreichen Essay "Preußens letzter Untergang" (F.A.Z., 1977) stellt er klar: Als Staat sei Preußen leider untergegangen, als Idee hingegen nicht totzukriegen. Eine "knappe Linie" führe "vom Prinzen Homburg über den Herrn von der Marwitz zum 20. Juli 1944." Fest ist fasziniert von dem preußischen Staat, der wie ein "Verklammerungsstück" "alle seine Bewohner verband, unterwarf und gleichmachte. Der Sinn für Disziplin, Unterordnung und Hingabebereitschaft hatte keinen über sich selbst hinausweisenden Gedanken, sondern war ausschließlich auf den Staat bezogen und im Staat dergestalt ethisch verankert, dass die Weigerung, dem allgemeinen Wohl zu dienen, einem Akt des Hochverrats gleichkam." Preußen sei die "eigentliche Heimat" der Aufklärung gewesen, ja - zitiert Fest den französischen Historiker Henri Brunschwig - "Frankreich weit voraus." Und warum? "Den Unterschied hat ein preußischer Minister dem Gesandten aus Paris gegenüber formuliert: die 'heilsame Revolution', die in Frankreich von unten nach oben gemacht worden sei, vollziehe sich in Preußen schrittweise von oben nach unten." Lobend erwähnt Fest auch die "schon von Friedrich vorangetriebene Judenemanzipation, deren widerstrebendste Gegner inzwischen die orthodoxen Juden selber waren." Preußen könne folglich noch heute als Vorbild gelten, denn: "Zu den Erstaunlichkeiten Preußens zählt, dass es ihm, trotz aller Lasten, die es den Bewohnern aufdrückte, aller Unzufriedenheiten, die es unter ihnen weckte, doch gelang, der nahezu totalen Inanspruchnahme den Charakter auferlegten Zwangs weithin zu nehmen; und zum ersten und vielleicht einzigen Mal in der Geschichte hat es zeitweise wenigstens, eine Ahnung davon spüren lassen, dass der Herrschertraum verausgabend geleisteter, sogar als Selbststeigerung empfundener Unterordnung unter das höhere Wohl des Staates in dieser Welt möglich ist." Entscheidend aber - und so rundet sich die Erzählung Fests dann ab - ist, dass Preußen "mit der ihm eingefleischten Zähigkeit nicht nur die Katastrophen von 1806/07 überwunden, sondern zugleich, wie in einem Akt trotziger Selbstbehauptung, Kräfte der Erneuerung mobilisiert" habe. Reformvorhaben seien einzig daran gescheitert, dass es in dem sandigen "Agrarstaat" "kein starkes, selbstbewusstes Bürgertum" gegeben habe, "das die Reformen abzustützen vermochte."


Titelbild

Joachim Fest: Begegnungen. Über nahe und ferne Freunde.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2005.
384 Seiten, 9,90 EUR.
ISBN-10: 3499620820

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