Poetik der Transformation

Neue Aufsätze zu Paul Celan und Übertragungen seiner Gedichte

Von Kim LandgrafRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kim Landgraf

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das umfangreiche übersetzerische Werk des jüdischen Dichters Paul Celan (1920-1970), der heute als einer der bedeutendsten deutschsprachigen Lyriker des 20. Jahrhunderts angesehen wird, ist lange Zeit wenig beachtet und in seiner Bedeutung für das Gesamtwerk unterschätzt worden. Erst die Publikation der von ihm übersetzten Lyrik und Prosa von über 30 Autoren aus insgesamt sieben verschiedenen Sprachen in Band IV und V der "Gesammelten Werke" (1983) hat die nähere Beschäftigung mit Celans Leistungen als Übersetzer in Gang gesetzt.

Zu Recht dabei wird auch in der vorliegenden Sammlung von Aufsätzen immer wieder auf die maßgebliche Studie von Leonard M. Olschner verwiesen, die 1985 unter dem Titel "Der feste Buchstab. Erläuterungen zu Paul Celans Gedichtübertragungen" bei Vandenhoeck & Ruprecht erschien und die in der Tat den Grundstein für weitere Forschungsunternehmungen in dieser Richtung gelegt hat. 1997 war dann in Marbach am Neckar die Ausstellung "Fremde Nähe. Celan als Übersetzer" zu besichtigen, die eine erstaunliche Fülle von meist bisher unbekannten Text- und Bildmaterialien präsentieren und erneut zu eingehender Auseinandersetzung mit diesem Thema anregen konnte.

Mittlerweile gilt die Arbeit des Übersetzers Paul Celan als "Königsweg zum Verständnis seiner eigenen Poetik und seiner eigenen Dichtung" (Axel Gellhaus) - und das eben nicht nur aufgrund seiner vielbeachteten Beschäftigung mit Osip Mandel'štam, dem Paten der Büchner-Preis-Rede von 1960 und Widmungsadressaten der "Niemandsrose" (1963). Dennoch steht eine gründliche Analyse der verschiedenen Übersetzungs-Verfahren Paul Celans sowie deren systematische Integration in eine umfassende Theorie der "Poetik der Transformation" bis heute aus. Selbst eine Typologie der Methodik liegt bisher nicht vor.

Auch der vorliegende Band, hervorgegangen aus einer Jerusalemer Tagung im Sommer 1996 zum Thema "Paul Celan - Übersetzer und übersetzt", kann diesen Anspruch im Augenblick nicht erfüllen. Zwar versuchen die einleitenden Beiträge von Axel Gellhaus und Jürgen Lütz eine "umfassendere Perspektive" einzunehmen, doch bleibt es am Ende auch hier bei vereinzelten Hinweisen. Ein Hinweis ist aus dem von Gellhaus herausgegebenen Marbacher Katalog schon bekannt: Übersetzung als "Fergendienst" über den Abgrund zwischen der Ausgangs- und Zielsprache hinweg, Dialektik von Fremdheit und Nähe gerade auch beim Übersetzen und als Erkenntnisproblem ("Fremde Nähe"), Poetologie der Begegnung auch hier, Paradoxie der Wiederholung des Unwiederholbaren und schließlich Übersetzung als Idealfall der Lektüre, die rezeptiv und produktiv zugleich ist. Schon aus dem Stichwortkatalog wird ersichtlich, wie eng Übersetzung bei Celan mit den Ansprüchen der eigenen Dichtung verzahnt ist, so wie sie die Büchner-Preis-Rede zu definieren versucht. Etwas hilflos erscheint dagegen der Beitrag von Lütz, den das Vorwort großspurig als "Poetologie der Übersetzung" unter Einbeziehung des "Meridian" und Osip Mandel'štams ankündigt. Ein ehrgeiziger Vorstoß, der längste und aufwendigste Artikel des Bandes, der viel erreichen will und auf der Strecke bleibt, weil er Kategorien etabliert, die nicht tragfähig sind oder nicht tragfähig gemacht werden, weil er zu oft Paraphrase und Akkumulation ist, ohne das Wesentliche zu Ende zu denken. So kommt man, befürchte ich, keinen Schritt weiter.

Alle übrigen Beiträge mit Ausnahme des Artikels von Martine Broda ("Traduit du silence: les langues de Paul Celan") befassen sich mit konkreten Beispielen, Übersetzungen Celans berühmter und weniger bekannter Gedichte von Apollinaire, Mallarmé und Rimbaud, von Mandel'štam, Dickinson, David Rokeah oder Übersetzungen einzelner Texte Paul Celans ins Englische, Spanische und Hebräische ("Todesfuge", "Todtnauberg", "Deine Augen im Arm" u. a.). Hier liegen zum Teil sehr genaue, saubere und argumentativ stichhaltige Analysen und Interpretationen vor, etwa die Beiträge von Ute Harbusch zum "Trunkenen Schiff", von Stéphane Mosès zu Celans Apollinaire ("Der Abschied" / "L'Adieu") oder von Shimon Sandbank zu den Schwierigkeiten der Übersetzung ins Hebräische, die zum Beispiel durch die Notwendigkeit, das Genus der 2. Person Singular im Hebräischen zu spezifizieren, zu gänzlich verschiedenen Interpretationen des Gedichts "Blume" kommen muß, je nach dem, ob man ein männliches oder ein weibliches Du annimmt. Oft ergeben sich dabei erst aus dem Vergleich zwischen Original und Übersetzung Erkenntnisse, die rückwirkend Celans Poetik und Sprache, das Problem der Metapher, den Umgang mit bestimmten rhetorischen Figuren (Inversion) erhellen und neue Sichtweisen freisetzen. Sehr überzeugend kann dann auf größere Zusammenhänge geschlossen werden. Gerade in diesen Teilen bietet der Band nicht nur anregende und interessante Lektüre, sondern wertvolle Bausteine für die weitere Beschäftigung mit Celan als Übersetzer.

Titelbild

Paul Celan: Poetik der Transformation.
Herausgegeben von Alfred Bodenheimer und Shimon Sandbank.
Max Niemeyer Verlag, Tübingen 1999.
190 Seiten, 48,10 EUR.
ISBN-10: 3484651288

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch