Der humanisierte Bösewicht

Eine analytische Betrachtung der Verfilmung des Weltbestsellers "Das Parfüm" von Patrick Süskind

Von Antje PolanzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Antje Polanz

Selten sind an eine Literaturverfilmung so hohe Erwartungen geknüpft worden wie an die von Patrick Süskinds "Das Parfum", was zum Einen daran liegen mag, dass der 1985 erschienene Roman zu den Ausnahme-Megasellern deutscher Literatur von internationalem Rang gehört, zum Anderen aber wohl auch damit zu tun hat, dass der Autor über Jahre die immer wieder erbetene Vergabe der Filmrechte verweigerte. Weil sich das Buch und seine Hauptfigur Jean Baptiste Grenouille "im flüchtigen Reich der Gerüche" bewegen, galt der Roman vielen Regisseuren als unverfilmbar. Erst als der Produzent Bernd Eichinger 2001 die Filmrechte von Süskind erwirbt, ensteht in mehrjähriger Vorbereitung unter der Regie von Tom Tykwer der im Herbst 2006 angelaufene - mit einem Budget von 50 Millionen Euro -, bislang teuerste deutsche Kinofilm aller Zeiten.

Der kommerzielle Duft, der Eichinger umgebe, habe dem Film von Anfang an keine Chance bei der deutschen Filmkritik gelassen, versucht der "Spiegel" den Umstand zu erklären, dass die Kinoproduktion bis auf wenige Ausnahmen (u. a. der "Focus" und das ZDF-Kulturmagazin "Aspekte") einhellig schlecht in den Besprechungen aller großen deutschsprachigen Zeitungen wegkommt. Von "herber Enttäuschung" spricht die "F.A.Z.", bei dieser Produktion sei "das Kino in den Brunnen gefallen" urteilt der "Tagesspiegel". Man ist sich einig, dass dem Film die unverwechselbare Note des Buches fehle wie überhaupt ein eigener Geruch. Ungeachtet der "Fallbeil-Kritik" ("Spiegel") des deutschen Feuilletons kann die Constantinfilm AG mit jeder zweiten verkauften Kinokarte, die das "Parfum" in den ersten Wochen für sich verbuchen kann, einen "Traumstart" beim Kinopublikum vermelden, eine Resonanz, die Alexandra Stäheli in der "NZZ" damit erklärt, dass sich der Hype um einen Roman naturgemäß "virös" auf dessen Verfilmung übertrage: "Denn diejenigen, die das Buch kennen, möchten die eigene Imaginationskraft noch an fremden Bildern messen; und diejenigen, die es nicht gelesen haben, möchten endlich mitreden können". Die intensive Berichterstattung in der Entstehungsphase des Films hat sicherlich ein Übriges zum großen Besucherandrang bei seinem Start beigetragen.

Jedoch lässt der Umstand, dass sich Tykwers "Parfum" auch beim Kinopublikum nur wenige Wochen an der Spitze der Kinocharts halten kann, einmal mehr auf die seltene Gegebenheit aufmerksam werden, dass sich auch das Feuilleton in der Kritik des Films ungewohnt einig ist, was schon bei den zahlreichen "Nasen-Titeln" ("Ein großes Nasentheater", "Zeit", "Der Name der Nase", "Tagesspiegel", "Hauptsache Nase", "TAZ", "Um Nasenlänge verfehlt", "Spiegel") der Rezensionen beginnt, die damit gleich zu Anfang auf den als maßgeblich empfundenen "wunden Punkt" der Verfilmung verweisen: Den Duftzauber, den Süskind mit Worten so meisterlich zu entfachen wisse, suche Tykwers Kamera-Auge mit einer einfallslosen und als penetrant zu bezeichnenden "Dauerbelagerung" der Nase des Hauptdarstellers Ben Wishaw einzufangen. Sich des filmischen Ungenügens im "Reich der Düfte" offenkundig bewusst, suche der Regisseur durch eine geradezu erschlagende Bildgewalt den Riecheffekt beim Zuschauer erzwingen zu wollen. Von "Bilderbombenangriff" spricht der "Tagesspiegel", von "optischer Vergewaltigung" die "Berliner Zeitung", von "plakativ aufdringlich" der "Spiegel". Insbesondere Tykwers Hang zu Zoom-Einstellungen, so der Tonus, führe zu optischer Überforderung: "Da saust die Kamera wie entfesselt in Nasenlöcher und zoomt sich in Rattenfelle hinein" ("Tagesspiegel"). "Und die Kamera zoomt durch's Rattenfell auf die Würmer, die ihre Arbeit tun" ("F.A.Z."). Was die NZZ in ihrer Überschrift mit "Wenn Filme zu sehr riechen" bezeichnet, fasst die "F.A.Z." so zusammen: Der Roman sei regelrecht zu sehr verfilmt, als müsste anhand von Bildern "ständig beglaubigt werden, dass es sich tatsächlich um Süskinds Romanvorlage handelt". So stelle sich "nach der siebenundzwanzigsten Großaufnahme" ("Zeit"), bei diesem "rasenden Stillstand" ("Tagesspiegel") "schon früh die Langeweile" ein. Der Zuschauer sei "weder gerührt noch interessiert" stellt die "Welt" fest, "spröde" schleppe sich der Film dahin urteilt der "Spiegel".

Einstimmig moniert wird auch, dass Tykwer seinen Bildern das Grauen der Romanvorlage genommen habe: "Bloßes Sausen ums Grausen" stellt der "Tagesspiegel" fest, "Immun gegen das Böse" titelt die "F.A.Z.". Der Film schaffe es, "dem Zuschauer jegliche Beunruhigung zu ersparen", so die "Welt" und die "Zeit" diagnostiziert: "Tykwer und sein Produzent Bernd Eichinger setzen viel daran, ihre Bilder nicht vom perversen Innenleben dieses Helden infizieren zu lassen". Angesichts des Umstands, dass Süskinds Scheusal Grenouille im Film "auch in Lumpen (noch) verteufelt gut" aussehe ("Spiegel"), fragt die Kritik: "Aber was hat dieses Nasentheater mit der pathologischen Sinnes- und Gefühlswelt von Grenouille zu tun? Ist er nicht ein grauenvoller Experimentator, ein Frankenstein der Düfte [...]?" ("Zeit"). So kommt die "NZZ" zu dem Fazit: "Die Figur des kaum sprechenden, aber ständig schnüffelnden Grenouille, dargestellt vom Newcomer Ben Wishaw, bleibt so in ihrer charakterlichen Zeichnung vage und verschwommen - umso mehr, als sie sich in der zierlichen Gestalt des Schauspielers auch gar nicht so monströs und verschlagen zeigt, wie es ihre Taten vermuten liessen!".

Durchweg schlecht wird auch die Leistung Otto Sanders als Erzähler beurteilt: "Ungeheuer betulich", schreibt der "Tagesspiegel". Und der Soundtrack, der dem Zuschauer beim Wunder des Riechens zwar auf die Sprünge helfen solle, "der uns ins Ohr sticht, wenn wir riechen sollen" ("Welt"), der aber als "jungfrauenbekränztes Dauertremolo" ("Tagesspiegel"), als "immer gleiche Himmelschöre" ("Zeit") wie der Film selbst "nicht rieche" ("Welt").

Mit besonderer Spannung war die filmische Umsetzung des finalen Bacchanals erwartet worden, bei dem Grenouille mit der Macht des Duftes die Massen orgiastisch verzaubert. Überzeugt von einer gelungenen Lösung hatte Tom Tykwer vor Anlaufen des Films in einem Interview mit dem FOCUS geäußert: "So kamen wir auf die Idee einen Dominoeffekt aufzubauen dadurch, dass alle nach dem Taschentuch greifen. Das war so eine Durchbruchsidee, die jetzt so schlüssig wirkt und irgendwie so einfach ist."

Die Kritik jedoch findet die Szenerie hölzern und bringt ihre große Enttäuschung über das Ergebnis durch besonders polemische Kommentare zum Ausdruck: "Angestrengt sieht es aus", meint der "Tagesspiegel", es herrsche "der unerotische Geist eines Grünen-Parteitages" urteilt die "Zeit", es gehe zu "wie im Sinnlichkeitsworkshop Neheim-Hüsten" ("Berliner Zeitung"), ein "Treiben wie in einem spätabsolutistischen Ashram" ("Welt").

"Ich will einen möglichst authentischen Film drehen. Keinen sterilen Kostümschinken", hatte Tom Tykwer im Interview mit der Boulevardzeitschrift "Gala" angekündigt. Das ihm das gelungen sei, spricht die Kritik dem Regisseur einstimmig ab, wenn sie ihm bescheinigt, es handle sich um einen "Kostümfilm von der Stange" ("Welt"), der trotz seiner Opulenz "steril" ("F.A.Z.") bleibe, ein "biederes Werk" ("Zeit"), "geruchsneutral" ("Welt"), es wirke "alles chemisch gereinigt" ("F.A.Z."). Im "Zusammenstoß der zwei Alphatiere des deutschen Kinos" ("Welt") Eichinger und Tykwer, so das einhellige Fazit der Kritik, habe unverhohlen der Kommerz- und Vermarktungsaspekt über den der Kunst gesiegt: "Und vulgär ist der Versuch, einen Film anzubieten, der in jeder Einstellung nur von einem spricht, vom Verkaufen" ("Berliner Zeitung"). Tykwer habe "sich entmündigen lassen" ("Welt"). Zwar hatte dieser im Vorfeld beteuert: "Ich wollte unbedingt vermeiden, dass es ein Film ist, der den Aufwand und die Opulenz, die er ausbreitet, auf dem Präsentierteller ausstellt, sondern einfach ganz selbstverständlich in diese Welt gehört" ("Focus"). Doch die "Welt" diagnostiziert: "Das Rezept sieht eine gediegene Mischung aus ein wenig Filmkunst, viel Kommerz und allerhand Schauwerten vor [...] Das 'Parfum' illustriert einmal mehr die Marke Eichinger, aber wir erfahren wenig darüber, wofür eigentlich der Name Tykwer steht".

Was ähnlich dem unvergleichlichen Höhenflug des Buchs auch bei den Machern des Films als Traum "von der Überhöhung" begonnen habe, sei "am Ende doch wieder beim Malen nach Zahlen gelandet" ("Zeit"): "In manchen Einstellungen des Films ist diese Diskrepanz zwischen Großausdrucksanspruch und tatsächlichem Bild fast schmerzlich spürbar." ("Zeit")

Nicht nur das eigentlich "nicht greifbare, abstrakte Konzept" der Duftwelt ("Welt") war es, was die Verfilmung von Süskinds Roman von vorneherein zu einem schwierigen Unternehmen machte. Befragt zum Ausgangspunkt des Kinoprojekts, listet Bernd Eichinger in einem Interview mit der "F.A.Z." auf, wie viel noch aus Sicht der Macher gegen eine Verfilmung des Romans sprach: "Es gibt hier keinen Kampf zwischen Gut und Böse. Es gibt keinen Protagonisten, der für das Gute kämpft. Es gibt keine Liebesgeschichte, es gibt noch nicht einmal eine Geschichte, wenn Sie so wollen, denn es gibt keine Konflikte. Das allerschlimmste für einen Film ist, daß der Held nichts lernt." Und als Produzent des bislang teuersten deutschen Kinofilms fügt Eichinger hinzu: "Man kann scheitern, natürlich, aber man darf nicht am 'Parfum' scheitern." Die sich aus diesen Überlegungen ergebende Konsequenz für die Marschrichtung des Films lässt sich angesichts des fertigen Produkts so rekonstruieren: "eine Verniedlichung, eine Ästhetisierung [des Romans], die Tykwer zum Wohle der investierten 50 Millionen Euro betreibt" ("Welt"), eine Kompromisslösung, aus der kalten Faszination des Buchs große Gefühle für das Kino zu machen, die eine einschneidend veränderte Anlage der Hauptfigur des Romans, Jean Baptiste Grenouille, mit sich bringt: Im Film ist der Held ein empfindender. "Das Grenouille mehr zu menschlichen Regungen begabt sein wird als der mitleidlose Held in Süskinds Buch", so der "Spiegel" in einem Bericht von den Dreharbeiten, "wird deutlich genug, wenn Tykwer sagt: 'Er will, wie wir alle, geliebt werden'". Wo Süskind sich auf das Abgründige in der Zeichnung seiner Hauptfigur festlegt: "durch und durch böse", "ein Scheusal innen wie außen", ausgestattet mit einer "rabenschwarzen Seele" und einem Herzen, das "in einer steinernen Wüste lag", und somit an Grenouille nicht ein einziges gutes Haar lässt, denn alles was in der Welt Jean Baptistes "gut" genannt wird, ist "mörderisch gut", "haarsträubend himmlisch" und Freuden sind in seinem Reich "diebisch", schaffen Eichinger und Tykwer einen Spielraum, der anders als dem Leser des Buchs, dem Kinozuschauer die Möglichkeit zur Sympathie mit dem Helden eröffnet. Im Film ist er "kein Scheusal, sondern ein Künstler", definiert Eichinger in einem Interview mit dem "Spiegel" die veränderte Romanfigur, die bei Süskind beides vereint; man habe den Grenouille des Kinos als einen "Kerl" konzipiert, "den man liebt, obwohl er alle Grenzen der Moral überschreitet", ergänzt Tykwer.

Es stellt sich die Frage, ob das geliebt-werden-Wollen Grenouilles im Roman untrennbar mit dem kaltblütigen Willen zur Macht verknüpft ist? "Ja, lieben sollten sie ihn, wenn sie im Banne seines Duftes standen [...], ihn lieben bis zum Wahnsinn, bis zur Selbstaufgabe, [...] auf die Knie sollten sie sinken wie unter Gottes kaltem Weihrauch, wenn sie nur ihn, Grenouille, zu riechen bekamen! Er wollte der omnipotente Gott des Duftes sein [...]".

So wird diese Macht-Liebe im Film zur Liebe als Herzensangelegenheit. Tykwer formuliert seinen interpretatorischen Ausgangspunkt dabei wie folgt: "Dieser ganze Wahnsinn nach Anerkennung hat [bei Grenouille] nur dazu gedient, die Sehnsucht zu übertünchen [...]. Wir brauchen jemanden, der uns liebt" ("F.A.Z."-Interview), ein Verständnis des Helden und für den Helden, das die Romanvorlage nicht kennt, in der das Geruchsgenie unzweideutig die Liebe verachtet wie verneint, wenn es "die hohle dümmliche Tiefe des Liebenden" erkennt und sich schon von Anbeginn seines Lebens von ihr lossagt: "Es war ein wohlerwogener, fast möchte man sagen, ein reiflich erwogener Schrei gewesen, mit dem sich das Neugeborene gegen die Liebe [...] entschieden hatte."

Beim finalen Bacchanal muss sich das Riechgenie des Buchs der nicht länger abzuwendenden Erkenntnis stellen, niemals einen eigenen Geruch zu besitzen, womit auch seine prometheiisch betriebene Selbstverliebtheit jeden Boden verliert. Mit dieser "bahnbrechenden" Erkenntnis zum Negativen kann Grenouille beim Anblick der sich durch seine unwiderstehliche Duftmaske haltlos der Liebe hingebenden Massen nur Ekel empfinden. "Was er sich immer ersehnt hatte, daß nämlich die anderen Menschen ihn liebten, wurde ihm im Augenblick seines Erfolges unerträglich, denn er selbst liebte sie nicht, er haßte sie."

"Und er wünschte sich", so heißt es bei Süskind weiter, "daß sie merkten, wie sehr er sie haßte, und daß sie ihn darum, um dieses seines einzigen jemals wahrhaft empfundenen Gefühls willen wiederhassten". An keiner anderen Stelle zeigt sich der Film von der Romanvorlage inhaltlich so deutlich losgelöst wie in der auch bei Eichinger und Tykwer final gestalteten, jedoch mit genau umgekehrten Vorzeichen versehenen Liebesorgie. Der bei Süskind gerade hier als in mehrfacher Hinsicht hoffnungslos zur Liebe unfähig wie überhaupt als "hoffnungsloser Fall" gezeichnete Grenouille, der nicht in der Liebe, sondern in seinem Hass erkannt sein will, erlebt im Film an derselben Stelle die - wenn auch nur angedeutete, an Thomas Manns "Erwählten" und "Dr. Faustus" erinnernde - Idee vom doch noch zu denkenden "Durchbruch zum Guten". Als "eine Träne zuviel" bewertet die "F.A.Z." die Szenerie: "Und dann tut der Film etwas, was ein Verrat an seinem Helden ist [...]. Grenouille vergießt ein paar Tränen [...], und diese Regung bringt eine klebrige Sentimentalität ins Spiel, die alles, was man bis dahin gesehen hat, dementiert. Mit solchen Einfällen kann man einen Film ruinieren; man kann sie auch verstehen als ein Zeichen tiefster Verunsicherung."

Ähnlich groß empfindet die "Welt" die Kluft zwischen Buch und Film-"Finale": "In diesem Moment wird dem Stoff seine letzte Radikalität geraubt". Tykwer lässt seinen Helden beim Anblick der sich um ihn herum Liebenden selbst Liebe anwehen, plaziert, wo das Buch einen Abgesang auf die Liebe hält, als "zweifellos [...] konservative Kalkulationsgrundlage", wie die "Berliner Zeitung" süffisant bemerkt, eine Liebesgeschichte: "Die Leute auf dem Marktplatz in Grass, die ihn [Grenouille] anhimmeln und dann in einen kollektiven Rausch verfallen, sind völlig irrelevant im Verhältnis zu dieser einen Person, um die es gegangen wäre", erläutert der Regisseur die Szene im Film ("F.A.Z."-Interview). Zur großen Liebe Grenouilles macht Tykwer ausgerechnet das "Mirabellenmädchen" (im Film dargestellt von Karoline Herfurth), von dem es im Buch heißt: "An das Bild des Mädchens aus der Rue des Marais, an ihr Gesicht, an ihren Körper, konnte er sich schon nicht mehr (nach ihrer Ermordung) erinnern."

Grenouille, über den der Erzähler im Roman sagt: "Freilich liebte er nicht einen Menschen [...]. Er liebte den Duft. Ihn allein und nichts anderes [...]", erlebt im Film in einer Vision mit Tränen in den Augen einen erfüllten Moment zwischenmenschlicher Nähe, wenn ihm sein erstes Opfer über die Wange streicht. Wie sich für die Macher des Films die Idee für eine am "Mirabellenmädchen" festgemachte Liebesepisode ergeben konnte, liegt auf der Hand, heißt es doch über die auch im Roman - allerdings nur in Form des Geruchs - stattfindende Wiederbegegnung Grenouilles mit seinem ersten Opfer: "Daß er diesen Duft in der Welt wiedergefunden hatte, trieb ihm Tränen der Glückseligkeit in die Augen." Die Romanfigur jedoch abstrahiert, wie dargelegt, den Duft von den Individuen. Dass der Held des Films es nicht tut, macht ihn einmal mehr im Unterschied zu dem des Buchs liebenswürdig, "ein Monster [...] dem wir unser Mitgefühl nicht versagen können" ("Focus"). Polemischer bringt die "NZZ" auf den Punkt, was die "Domestizierung" des Scheusals in der Konsequenz bedeutet: "Ja fast scheint es, als hätten Tykwer und Eichinger der Geschichte ihre schön-quälerische Ambivalenz geraubt, indem sie den von Süskind so lustvoll als Leser-Schreck gezeichneten, 'zeckenhaften', gewissenlosen Killer in einen jämmerlichen kleinen Frosch verwandelt haben."

Wie sehr es Eichinger und Tykwer auf den im Buch nicht zu findenden Faktor der Rührung als teilnehmende Identifikationsmöglichkeit des Zuschauers mit ihrem Helden ankommt, wird nicht zuletzt deutlich, wenn sie auf einen mehr denn je als aktuell bezeichneten Vereinsamungsaspekt der Romanfigur verweisen: "Ich hatte vergessen, wie sehr es [das Buch] [...] von dem Streben eines idiosynkratisch verbohrten Charakters nach Kontaktaufnahme handelt, und daß das die treibende Kraft des Buches ist", so Tykwer in einem Interview mit der "F.A.Z.". Bernd Eichinger äußert: "Ich glaube, die Vereinsamung etwa, um die es geht, ist heute ein noch viel größeres Thema, als sie es damals war" ("F.A.Z."-Interview). Die filmische Interpretation Grenouilles als unfreiwillig einsamem Held befindet sich ähnlich wie die des Liebesthemas jedoch im direkten Widerspruch zur Aussage des Romans, der eine Hauptfigur zeigt, die die Einsamkeit geradezu sucht: "Und alleine gelassen, endlich - mal wieder! - allein, greift Jean-Baptiste nach den ersehnten Gerüchen [...]. Und Grenouille [...] genoß es, allein zu sein [...]."

Tykwer und Eichinger lassen in ihrer Lesart außen vor, wie unvergleichlich gerade Süskinds Figuren, dem vermeintlichen Zeitgeist sich damit widersetzend, vom nicht zuletzt den Autor selbst umtreibenden Wunsch des Herrn Sommer in "Die Geschichte von Herrn Sommer" geprägt sind: "Ja so laßt mich doch endlich in Frieden."

Der Konstruktion eines Helden wird einmal mehr dadurch Vorschub geleistet, dass Eichinger und Tykwer ungleich dem geduckten "Zeck" des Buchs einen aufrecht gehenden, körperlich unversehrten Grenouille zeigen, ein im Urteil des "Spiegels" auch "in Lumpen (noch) verteufelt gut" aussehendes Scheusal, das damit neben seiner Liebenswürdigkeit einmal mehr für den Zuschauer attraktiv und anziehend wird. Die durch ihre Stigmatisierung gerade an der Hauptfigur unter negativen Vorzeichen zu erlebende intensive Körperlichkeit im Roman wird im Film praktisch zur Gänze auf das Umfeld des Helden verlagert. Die deshalb, so scheint es, vom Regisseur um so intensiver bei der Kulisse aufgetragene organische Note lässt die "NZZ" kommentieren: "Der unverkennbare Jauche-Look, um den sich eigens eine 'Dirt-Unit' am Set kümmerte - die jeden Tag von neuem das Barrio Gotico in Barcelona von oben bis unten mit Schlamm einseifte -, wird so zum corpus delicti einer mörderisch-getreuen Literaturadaption."

Ist Süskinds weitgehend im Dunkel agierende Romanfigur fast zwangsläufig auch äußerlich mehr Tier als Mensch, wirkt die vor und in dunkelbrauner Kulisse agierende Filmfigur in ihrer weißen, unversehrten Körperlichkeit unplausibel, kehrt jedoch so einmal mehr das im Film gesuchte Strahlen eines Helden hervor, das der Roman nicht kennt.

Das von der Kritik angesprochene und kritisierte "Zoom-Gebaren" Tykwers, mit dem dieser einmal mehr körperlich organische Authentizität und Intensität zu erreichen sucht, wirkt sich auch auf eine im Vergleich zur Romanvorlage stark veränderte Darstellung des Geruchs-Genies Grenouille aus, wobei nirgendwo sonst die Grenzen des Mediums Film gegenüber den entgrenzten Möglichkeiten der Romanvorlage Süskinds deutlicher zu Tage treten. Durch die immer distanzlos dicht am Riechenden wie an den Objekten seiner Witterungsaufnahme klebende Kamera geht ein wesentlicher Teil dessen verloren, das Grenouille als Genie kennzeichnet: die Leichtigkeit seines Riechens wie die von ihm spielerisch gemeisterten "Riechdistanzen". Eine weitere Ungereimtheit im Film macht die "Welt" in diesem Zusammenhang aus: "Der Film bewegt sich dabei (im Zoomen) auf den Geruch zu, obwohl uns Gerüche in der Regel entgegenwehen". Dieses unsichtbar leichte Entgegenkommen aber erweist sich für den Regisseur als offensichtlich kaum darstellbar, er wählt die Großaufnahme der Nase als Signal für den Zuschauer, dass der Held Witterung aufnimmt. Das Riechen im Film findet so unter umgekehrten Vorzeichen zu dem im Roman statt: Während es durch die Aufdringlichkeit des Kamera-Auges bei Eichinger und Tykwer von Enge spricht, die Dimension des Schwerfälligen, Angestrengten, ja Beklemmenden annimmt, erlebt das sonst in gekrümmter Haltung verharrende Menschentier des Buchs gerade und nur in den Momenten der Witterungsaufnahme die Leichtigkeit des Seins: "In dieser Nacht erschien ihm sein Verschlag wie ein Palast und seine Bretterpritsche wie ein Himmelbett. Was Glück sei, hatte er in seinem Leben bisher nicht erfahren. Er kannte allenfalls sehr seltene Zustände von dumpfer Zufriedenheit. Jetzt aber zitterte er vor Glück und konnte vor lauter Glückseligkeit nicht schlafen."

Von der Geschichte eines Geruchs-Genies in Süskinds Roman bleibt im Film genau genommen "nur" der von Eichinger angesprochene Parfüm-"Künstler", der, was der Kamera einzufangen keine Probleme bereitet, am Ingredienzienregal Baldinis "prima vista"-Düfte mischt.

Der wohl markanteste Unterschied von Buch und Film ist in der Konzeption der Hauptfigur an sich auszumachen: Während Tykwer und Eichinger einen, wie dargelegt, in vielerlei Hinsicht klassischen Helden zeigen, entwickelt Süskind konsequent den Anti-Typ. Der Film nimmt im Gegensatz zum Roman seinen Helden ernst, lässt Süskinds postmodern ironisches Spiel mit diversen Genietopoi der Literaturgeschichte unberücksichtigt, zeigt ironische Züge allenfalls in Dustin Hoffmans komikerhaften Darstellung des Parfumeurs Baldini. Das nahezu vollständige Fehlen parodistischer Elemente begründet Tykwer damit: "Süskind hat in seiner Art zu schreiben ein größeres Potential für süffisanten Humor. Das liegt mir nicht so, und ich weiß auch nicht, wie man das in Filmen rüberbringt" ("F.A.Z."-Interview).

Während der Autor dem Menschentier Grenouille den wirklichen Durchbruch zum "Menschen" verweigert, diesem ein Auftreten als Individuum nur mittels Duftmaske ermöglicht, stattet der Regisseur seinen Helden von Anfang an mit humanen Zügen aus und lässt ihn ungleich dem Anti-Entwicklungsroman Süskinds ein Stück weit Liebe lernen. Nicht zuletzt unterstreicht - mit einem auch im Film eingesetzten Erzähler - die an einen Märchenonkel erinnernde Stimme Otto Sanders das Wesen eines Helden, dem der Zuschauer seine Zuneigung nicht versagen kann, während der unbarmherzigen Hauptfigur des Buchs ein ebenso kühl distanzierter Erzähler korrespondiert. Wo das Buch Abstand zu seinem Helden wahrt, macht sich der Film nicht zuletzt in der Aufdringlichkeit seines subjektiven Kamera-Auges und dem Verzicht auf jeglichen ironischen Blickwinkel distanzlos gemein mit ihm.

Während Süskind die Lust beim Leser dadurch weckt, dass er seinen Helden "vom Himmel holt", dessen unterhaltsam gnadenlose "Entlarvung" betreibt, gehen Eichinger und Tykwer den umgekehrten Weg der Veredlung, indem sie das Gute im Scheusal suchen. Im Bemühen, der Geschichte Süskinds für das Kino den Schrecken zu nehmen, den Produzent und Regisseur angesichts der außerordentlich hohen und wieder einzuspielenden Produktionskosten als offenkundig zu risikoreich einstuften, geraten die Obsessionen und Abgründe, mit denen das Buch zielgenau trifft, im Film "harmlos und zahm" ("F.A.Z."). Der Film zeigt sich hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch nach Herzenswärme für seinen Duftkünstler-Helden und dem in Steinwüsten angesiedelten Herzen eines im Riechen hochbegabten Antigenies der Romanvorlage und entbehrt damit sowohl den "Parfum"-Duft Süskinds als auch einen eigenen. Er zeigt markante Brüche mit der Romanvorlage wie in sich selbst. Die Essenz für das Kino ist ein heterogener Kompromiss geworden.